Nackenschmerzen sind nicht selten – doch selten unkompliziert: Bei Diagnose und Therapie macht man potenziell viel falsch und wenig richtig. Weshalb die aktuelle Leitlinie primär von Dingen abrät.
Ein beliebter Trinkspruch im Norden Deutschlands lautet „Nich’ lang schnacken, Kopp in’ Nacken!“, was so viel bedeutet wie „Quatsch nicht, kipp’ den Schnaps runter“. Während der Genuss von Hochprozentigem der Gesundheit eher abträglich ist, kann Halsgymnastik bei Nackenschmerzen hilfreich sein. Was sonst noch bei Diagnostik und Therapie zu beachten ist, hat die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) recherchiert und kürzlich in der aktualisierten S3-Leitlinie Nicht-spezifische Nackenschmerzen veröffentlicht.
Laut einer Befragung hatte jeder zweite Deutsche im vorangegangenen Jahr mindestens einmal Nackenschmerzen. Sie sind damit der dritthäufigste Beratungsanlass in hausärztlichen Praxen, wie die Autoren schreiben. Meist findet sich keine konkrete Ursache – die nicht-spezifischen Schmerzen sind also die Regel. Eine Einteilung in akut, subakut und chronisch bezeichnen die Autoren als schwierig, weil nicht definiert ist, ob man die Zeit ab Eintritt der Schmerzen oder ab Eintritt in die Praxis zählt. Zudem: „Die Abgrenzung von akuten und chronischen Nackenschmerzen ist in der Praxis auch von untergeordneter Bedeutung.“
Dennoch unterscheiden die Autoren gelegentlich zwischen akut und chronisch: Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), wie Ibuprofen, Diclofenac oder Naproxen, können bei akuten, sollten aber nicht bei chronischen Schmerzen eingenommen werden. Für Opioide dagegen gilt die restriktivere Empfehlung „sollen nicht“ bei akuten Schmerzen, „sollten nicht“ bei chronischen.
Warum NSAR bei akuten Nackenschmerzen nur eine „kann“-Empfehlung bekommen, ist als pragmatischer Kompromiss zu verstehen. Denn auf der einen Seite werden die Mittel sehr häufig verordnet und gehören laut Weltgesundheitsorganisation zu den Schmerzmitteln der ersten Wahl. Auf der anderen Seite haben sie in einem Review von 2017 im Vergleich zu Placebo die Schmerzen zwar leicht gelindert, was aber klinisch nicht relevant war. Außerdem sehen die Autoren ein „erhebliches Potenzial für unerwünschte Arzneimittelwirkungen“ – von Übelkeit über gastrointestinale Ulcera bis hin zu Herzinsuffizienz. Aus streng wissenschaftlicher Sicht fällt die Nutzen-Schaden-Bilanz also eher negativ aus. Das salomonische Urteil der Autoren: Sie „erkennen den Stellenwert von NSAR im Rahmen der primären Therapie bei akuten Nackenschmerzen an, sprechen jedoch aufgrund der geringen Wirksamkeit bei gleichzeitigem Risiko für unerwünschte Wirkung keine Positivempfehlung aus“.
Weil die meisten Betroffenen nach vier bis sechs Wochen wieder beschwerdefrei sind, wollen die Autoren sie im Sinne einer quartären Prävention vor schädlicher Diagnostik und Therapie schützen. So stehen den 9 positiven und 10 neutralen Empfehlungen insgesamt 17 negative und 7 deutlich negative gegenüber: NSAR sollen nicht parenteral verabreicht werden, zur Behandlung gänzlich ungeeignet sind Cannabis, Muskelrelaxantien bei chronischen und Opioide bei akuten Nackenschmerzen.
Weitere No-Gos: Ohne konkreten Verdacht auf strukturelle Ursachen wie Fraktur, Entzündung, Radikulopathie, Neuropathie oder Tumor soll man eine mögliche Ursache weder mit Bildgebung noch mit Labortests weiter abklären. Denn: „Aufgrund der niedrigen Vortestwahrscheinlichkeit besteht ansonsten ein hohes Risiko für falsch-positive Ergebnisse.“ Mit anderen Worten: Ein positives Testresultat wäre höchstwahrscheinlich sowieso nicht korrekt, also bringt der Test auch nichts.
Die einzigen Behandlungen, die die Autoren mit einer „soll“-Empfehlung auszeichnen, sind Bewegungstherapie bei chronischen Schmerzen sowie körperliche Aktivität, wobei die streng genommen nicht unter Therapie, sondern unter „Selbstmanagement“ fällt. Zur Anschauung verweisen die Autoren – wieder ganz pragmatisch – auf das Youtube-Video einer Ergotherapeutin, die fünf einfache Dehnübungen gegen Nackenschmerzen zeigt.
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