Als aggressivste Hirntumoren stellen Glioblastome den Endgegner in der Therapie dar. Gabapentinoide können das Tumorwachstum hemmen, indem sie den Kontakt zu neuronalen Schaltkreisen kappen – ein Durchbruch?
Das Glioblastom gilt als der aggressivste und am schwersten zu therapierende primäre Hirntumor bei Erwachsenen. Trotz multimodaler Standardtherapie aus maximaler Resektion, Radiotherapie und adjuvanter Chemotherapie liegt die mittlere Überlebenszeit in der Regel bei weniger als zwei Jahren. Eine Heilung konnte bislang nicht erreicht werden und Rezidive treten nahezu regelhaft auf. Vor diesem Hintergrund kommt neuen Forschungsansätzen eine besondere Bedeutung zu: In einem im Mai 2025 in Nature Communications veröffentlichten Paper untersuchten Forscher die Wirkung von Gabapentinoiden auf das Gesamtüberleben von Glioblastompatienten.
Im Rahmen einer großen retrospektiven Kohortenstudie analysierte das Team die synaptogene Wirkung des Proteins Thrombospondin 1 (TSP1). TSP1 ist ein von Astrozyten und Tumorzellen freigesetztes Glykoprotein, das im gesunden Gehirn die Bildung exzitatorischer Synapsen fördert. Glioblastomzellen nutzen diesen Mechanismus, indem sie TSP1 hochregulieren und dadurch die Ausbildung sogenannter neuronaler Tumor-Synapsen verstärken. Über glutamaterge Synapsen werden die Tumorzellen direkt in funktionelle Netzwerke integriert und erhalten kontinuierliche neuronale Aktivitätssignale. Diese Aktivität wiederum steigert intrazelluläre Calciumströme und begünstigt so Proliferation, Invasion und Therapieresistenz.
Die Einbindung in neuronale Netzwerke verschafft Glioblastomen einen doppelten Vorteil. Einerseits nutzen sie synaptische Transmission als trophischen Stimulus für das Wachstum, andererseits können sie durch Rückkopplung auch die Aktivität umliegender Neuronen beeinflussen, was zu einer pathologischen Erhöhung der Netzwerk-Exzitabilität führt. Dies erklärt, warum epileptische Anfälle bei Glioblastompatienten so häufig sind. Die Blockade von TSP1-vermittelten Signalwegen oder die pharmakologische Hemmung synaptischer Integration könnte daher den Tumor von dieser zusätzlichen Wachstumsquelle abkoppeln und gleichzeitig die neuronale Hyperexzitabilität reduzieren.
Gabapentin greift an einem entscheidenden Punkt dieser Pathophysiologie ein. Der Wirkstoff bindet an eine Untereinheit spannungsabhängiger Calciumkanäle und vermindert damit die präsynaptische Freisetzung von Neurotransmittern. Über diese Modulation synaptischer Aktivität kommt es nicht nur zu einer Abschwächung neuronaler Exzitabilität, sondern auch zu einer indirekten Reduktion von TSP1 im Serum. Die Studie konnte zeigen, dass Patienten unter Gabapentin signifikant niedrigere TSP1-Spiegel aufwiesen. Dies legt nahe, dass Gabapentin durch die Beeinflussung neuronaler Signalübertragung die tumorunterstützende Rolle von TSP1 abschwächt und somit ein doppelter Effekt erzielt wird: Die Stabilisierung neuronaler Netzwerke und ein möglicher Überlebensvorteil durch reduzierte tumorfördernde Signalwege.
Im Rahmen der retrospektiven Multi-Zentrum-Studie analysierten die Forscher Daten von insgesamt 1.072 neu diagnostizierten Glioblastom-Patienten nach operativer Resektion, die in zwei unabhängigen Kohorten erfasst wurden. Die Entdeckungskohorte („discovery cohort“) umfasste 693 Patienten aus dem Mass General Brigham (MGB)-System. Hier lag das mediane Gesamtüberleben aller Patienten bei 13,0 Monaten. Jene, die postoperativ Gabapentin erhielten, erreichten ein medianes Überleben von 16,0 Monaten, während Patienten ohne Gabapentin-Behandlung bei 12,0 Monaten lagen. Der Überlebensvorteil erwies sich als hochsignifikant (p ≤ 0,001). Zur Validierung wurden Daten aus einer externen Kohorte mit 379 Patienten der Universitäten von Kalifornien (UCSF) herangezogen. Hier betrug das mediane Überleben bei Gabapentin-Behandlung 20,8 Monate – im Vergleich zu 14,7 Monaten ohne Gabapentin. Auch in dieser Kohorte zeigte die multivariable Analyse einen signifikanten Vorteil durch Gabapentin.
Darüber hinaus positioniert die Beobachtung einen reduzierten TSP1-Serumspiegel durch Gabapentin nicht nur als potenziellen therapeutischen Ansatz, sondern auch als möglichen Biomarker zur Verlaufsbeurteilung. Die Autoren betonen jedoch die Grenzen der retrospektiven Studienarchitektur. Es braucht prospektive, kontrollierte und idealerweise randomisierte Studien, um die Ergebnisse zu bestätigen und zu prüfen, ob Gabapentinoide einen festen Platz in der Therapie des Glioblastoms finden können.
Die Arbeit macht deutlich, dass die Einbettung von Glioblastomen in neuronale Netzwerke mehr ist als ein biologisches Randphänomen. Vielmehr könnte sie therapeutisch nutzbar sein und eine neue Dimension in der Behandlung eröffnen.
Bernstock et al.: Gabapentinoids confer survival benefit in human glioblastoma. Nat Commun, 2025. doi: 10.1038/s41467-025-59614-4
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