Wer nie Geschlechtsverkehr hatte, spürt das: Psychische Gesundheit, soziale Kontakte und körperliche Fitness leiden darunter. Die gesellschaftlichen Folgen sind drastisch.
Eine neue Mega-Studie zeigt: Menschen, die nie Sex hatten, unterscheiden sich in vielen körperlichen, psychischen und sozialen Eigenschaften von der übrigen Bevölkerung. Besonders Männer fühlen bei Sexlosigkeit negative Auswirkungen: Sie reichen von Einsamkeit über schlechtere psychische Gesundheit bis zu einem geringeren sozialen Rückhalt.
Der Sexualtrieb gehört zu den stärksten menschlichen Trieben – und doch gibt es Menschen, die ihr ganzes Leben ohne Geschlechtsverkehr verbringen. Bisher galt dieses Phänomen als Randthema, oft wurde es mit freiwilliger Enthaltsamkeit oder mit religiösen Überzeugungen abgetan. Jetzt rückt eine in PNAS veröffentlichte Analyse das Thema in den Fokus: Forscher der Universität Amsterdam werteten Daten von über 400.000 britischen Teilnehmern des UK Biobank-Projekts im Alter von 39 bis 73 Jahren aus. Hinzu kamen 13.500 Personen einer australischen Vergleichskohorte im Alter von 18 bis 89 Jahren. Etwa ein Prozent aller Befragten hatte noch nie Sex; der Wert war bei Frauen und bei Männern ähnlich. Ziel der Studie war es, Auffälligkeiten aus medizinischer oder psychologischer Sicht herauszuarbeiten.
Die deutlichste Erkenntnis der Studie: Sexlosigkeit geht mit schlechterer psychischer Verfassung einher. Besonders Männer berichten häufiger von Nervosität, Einsamkeit und dem Gefühl, ihr Leben sei wenig sinnvoll, und von allgemeiner Unzufriedenheit. Auch objektive soziale Faktoren spiegeln das wider: Wer nie Sex hatte, lebt häufiger allein, hat seltener enge Vertraute und bekommt weniger Besuch von Freunden oder Familienmitgliedern. Fehlende Intimität und ein schwaches soziales Netz überschneiden sich oft.
Aus der Studie gehen nicht nur psychologische Erkenntnisse hervor, auch körperliche Befunde wurden begutachtet. So zeigten Männer ohne sexuelle Erfahrung im Schnitt eine geringere Muskelkraft, dies schlug sich etwa bei der Griffkraft nieder. Gleichzeitig verzichteten sie häufig auf Alkohol und Nikotin. Ein weiteres Muster: Sie waren überdurchschnittlich gut gebildet. In Summe ergibt das Profil von Menschen, die keinen Sex hatten: einen geringeren riskanten Substanzkonsum und einen höheren Bildungsgrad – aber auch weniger Partnerschaften, geringere soziale Einbindung und ein schlechteres Wohlbefinden.
Auch genetische Marker wurden analysiert. Ihre Auswertung zeigt, dass bei 17 Prozent (Männer) bzw. 14 Prozent (Frauen) die Unterschiede in der Wahrscheinlichkeit lebenslanger Sexlosigkeit auf genetische Faktoren zurückgehen. Die genetischen Muster überschneiden sich mit Profilen für Intelligenz, sozioökonomischen Status, Autismus und Anorexie. Gleichzeitig waren die Spuren im Erbgut mit einem niedrigeren Risiko für ein Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und für Substanzmissbrauch assoziiert. Aber auch die Umgebung prägt: Männer ohne Sexualpartner fanden sich häufiger in Regionen mit Frauenmangel oder größerer Einkommensungleichheit. Biografie und Biologie greifen also offenbar ineinander.
Ein Fazit für die ärztliche Praxis: Sexlosigkeit mag auf den ersten Blick wie eine Lebensentscheidung wirken. Doch die Daten legen nahe: Lebenslange Sexlosigkeit ist kein bloßes Detail der Biografie, sondern kann ein medizinisches Warnsignal sein – für Einsamkeit, fehlende soziale Einbindung und psychische Erkrankungen. Ärzte sollten hellhörig werden, wenn Patienten soziale Isolation, Nervosität oder Sinnverlust schildern. Denn dahinter kann auch ein Leben ohne intime Beziehungen stehen, mit erheblichen gesundheitlichen Konsequenzen.
Darüber hinaus thematisiert die Studie eine gesellschaftlich heikle Dimension. Die Autoren schreiben, sexlose Männer seien besonders gefährdet, sich in Online-Subkulturen wie den „Incels“ (involuntary celibate, unfreiwillig sexuell enthaltsam) zu verlieren: Gruppen, in denen Frustration in Misogynie und Radikalisierung umschlägt.
Leben ohne Sex: Ergebnisse der Studie auf einen Blick
Quelle
Abdellaoui et al.: Life without sex: Large-scale study links sexlessness to physical, cognitive, and personality traits, socioecological factors, and DNA. PNAS, 2025. doi: 10.1073/pnas.2418257122.
Bildquelle: Jakob Owens, Unsplash