Therapeuten, die sticheln und spotten – das gehört in der provokativen Psychotherapie dazu. Doch wie sehr kann man Patienten helfen, indem man sie triezt?
Gesprächspsychotherapie, da denkt man oft an wohlige Kuscheldecken-Atmosphäre und stundenlanges, empathisches Zuhören. Aber was, wenn der Therapeut gar kein Mitgefühl spendet, sondern mit frechem Grinsen dreiste Fragen stellt? Willkommen in der Welt der provokativen Psychotherapie. Hier wird gelacht, gestichelt und manchmal ordentlich auf den Schlips getreten – alles mit therapeutischer Absicht.
Die provokative Psychotherapie wurde Anfang der 1960er Jahre von dem US-amerikanischen Therapeuten Frank Farrelly entwickelt. Einer oft erzählten Anekdote zufolge erlebte er während stundenlanger, erfolgloser Gesprächspsychotherapiesitzungen plötzlich einen Wendepunkt: In einer Mischung aus Frustration und Ironie stimmte Farrelly einem Patienten überspitzt zu und bestätigte damit dessen negative Selbsteinschätzung. Doch statt zu resignieren, reagierte der Patient völlig anders – er widersprach energisch und begann zum ersten Mal, seine eigenen Fähigkeiten und positiven Eigenschaften aufzuzählen. Aus diesem völlig unerwarteten Aufbäumen folgerte Farrelly, dass humorvolle Provokation die eigenen Blockaden wirksam angreifen kann.
Übertreibung, Spott und paradoxe Interventionen führen ihm zufolge dazu, die eigene Selbstsabotage auch als solche zu erkennen. Wer lacht, kann plötzlich widersprechen, handeln, umdenken. Zack – Blockade geknackt!
Der Ansatz hat zahlreiche Weiterentwicklungen und Anhänger hervorgebracht. Es existieren verschiedene Workshops zur provokativen Systemarbeit oder provokativem Coaching (ProSA, ProCo) und sogar ganze Institute. Kritiker bemängeln allerdings, dass das Vorgehen gerade bei verletzlichen Patienten Risiken bergen kann und nicht pauschal für jeden geeignet ist.
Obwohl Humor nachweisbar positive Effekte auf Symptome wie Depressionen und Ängste zeigen kann, bleibt der Nachweis für den spezifischen Effekt der provokativen Psychotherapie absolut vage: Es existieren weder randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) noch belastbare Meta-Analysen. Die Forschung beschränkt sich auf Einzelfallberichte und kleine Praxisstudien. Die zentralen Wirkfaktoren – die therapeutische Beziehung und emotionale Aktivierung – sind ohnehin kein Alleinstellungsmerkmal dieses Ansatzes, sondern Grundpfeiler einer jeden Psychotherapie.
Provokative Psychotherapie ist sicherlich kein Rezept für jedermann. Was die Idee aber zeigt: Humor und Herausforderung können eine Veränderung bewirken. Verschiedene institutionell angebotene Workshops nutzen die Techniken bereits, um kognitive Blockaden zu sprengen und festgefahrene Glaubenssätze wertschätzend aufzulösen. Farrellys Credo der „respektvollen Respektlosigkeit“ kann daher im Einzelfall sicherlich therapeutisch hilfreich sein – bleibt aber ein Balanceakt auf einem äußerst schmalen Grat.
Wer provokative Techniken anwendet, sollte sich nicht vom Showeffekt blenden lassen, sondern die Risiken und Grenzen klar reflektieren. Ohne exzellente therapeutische Beziehung und viel Erfahrung kann Provokation schnell zur Grenzverletzung werden – und das hilft am Ende wirklich niemandem.
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