Psychotherapie und Medikamente: bisher Standard bei der ADHS-Behandlung. Doch bringt das überhaupt was – und gibt’s Alternativen?
Der Autor ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, kurz ADHS, beschreibt eine Verhaltensauffälligkeit mit Konzentrationsstörung, motorischer Hyperaktivität und gesteigerter Erregbarkeit, die meist in der Kindheit oder im Jugendalter in Erscheinung tritt. Weltweit sind etwa 5 Prozent aller Kinder und Jugendlicher zwischen 6 bis 18 Jahren betroffen. Mittlerweile wird ADHS immer salonfähiger und verschwindet langsam aus der Tabu-Ecke: So wird die Diagnose auch bei immer mehr Erwachsenen gestellt – und das mit einer weltweiten Häufigkeit von etwa 2,5 Prozent.
Obgleich auch Laien die Diagnose ADHS auf therapeutischer Ebene meist mit der Einnahme von Methylphenidat – einem Psychostimulanz und indirektem Sympathomimetikum – in Verbindung bringen, stehen heute weit mehr Behandlungsansätze als die Pharmakotherapie zur Verfügung. Fragen zur Wirksamkeit und Akzeptanz der verschiedenen Therapieformen bestehen jedoch bis heute: So haben Erstautor Eduardo Ostinelli und sein Forschungsteam von der Universität in Oxford nun eine systematische Übersichtsarbeit einschließlich Metaanalyse zum Thema veröffentlicht.
Durch eine systematische Literaturrecherche in internationalen Datenbanken konnten die Forscher auf 113 randomisierte und kontrollierte Studien mit insgesamt über 14.000 Teilnehmern zurückgreifen. Dabei differenzierten sie drei unterschiedliche therapeutische Herangehensweisen: Pharmakologische Interventionen wie beispielsweise die Therapie mit Methylphenidat, psychologische Behandlungen wie die kognitive Verhaltenstherapie und Achtsamkeitstrainings, sowie neurostimulatorische Verfahren einschließlich der transkraniellen Gleichstromstimulation.
Hierbei konnten Stimulanzien Kernsymptome wirksam reduzieren, die Akzeptanz der Therapie schwankte jedoch aufgrund bekannter Nebenwirkungen. Pharmakologische Wirkstoffe wie Atomoxetin, die nicht zur Gruppe der Stimulation gehörten, wirkten gleichermaßen effektiv – allerdings mit einer weitaus geringeren Patientenakzeptanz.
Die Symptomatik verbesserte sich ebenfalls signifikant durch psychologische Behandlungen wie kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeitstraining, Psychoedukation und kognitive Remeditation – jedoch ausschließlich auf einzelnen klinisch bewerteten Skalen. Sollten die behandelten Patienten entsprechende Skalen selbst bewerten, fielen die zunächst positiven Effekte dagegen weniger einheitlich aus.
Neurostimulatorische Verfahren hatten insbesondere für das Neurofeedback eine sehr begrenzte Evidenz. Dem gegenüber steht die Behandlung mit transkranieller Gleichstromstimulation: Sie erzielte moderate Effekte bei klassischen Symptomen und verbesserte exekutive Funktionen.Zusammenfassend erwiesen sich die Stimulanzien als wirksamster Behandlungsansatz, um Kardinalsymptome zu reduzieren. Sind Medikamente jedoch unverträglich oder werden gar abgelehnt, könnten psychologische und neurostimulatorische Ansätze eine wertvolle Alternative bieten.
Obgleich diese Ergebnisse erstmal ein bisschen Struktur in die therapeutische Unordnung bringen, müssen verschiedene methodische Einschränkungen unbedingt berücksichtigt werden. Zum einen unterschieden sich die untersuchten Studien stark in Studiendesign, Dauer, Population und Bewertungsskalen – und erschwerten einen direkten Vergleich. Auch die Beobachtungszeiträume fielen in vielen Studien mit einer Dauer von unter 12 Wochen relativ kurz aus. Weitere Forschung zur langfristigen Wirksamkeit und spät auftretenden Nebenwirkungen ist daher unbedingt wünschenswert. Auch an Daten zu funktionellen Behandlungsergebnissen – etwa zur Lebensqualität, zur beruflichen Teilhabe, zu sozialen Beziehungen sowie zu Begleiterkrankungen – mangelt es.
So betont auch ein SMC-Artikel zwar die hohe Qualität der Metaanalyse an sich, verweist aber auf diverse methodische Limitierungen durch die Heterogenität der betrachteten Studien – insbesondere im Falle psychologischer Interventionen. So weisen die Verfasser des Kommentars darauf hin, dass Psychotherapie nicht verblindbar sei und es kaum Studien mit guten Vergleichsgruppen gebe. Die Notwendigkeit psychotherapeutischer Ansätze sei jedoch nicht hinfällig, allein zur Behandlung sekundärer Probleme wie Angst, Beziehungskonflikte oder psychosozialen Belastungen. Die Metaanalyse erweist sich zudem als hilfreich, um wirksame von unwirksamen Ansätzen zu unterscheiden angesichts der Vielzahl neuer Therapieangebote.
Selbst wenn die Ergebnisse bereits darauf hindeuten, dass die Pharmakotherapie vemeintlich am wirksamsten sei, bleibt der individuelle Ansatz Trumpf. So können die Verträglichkeit bestimmter Wirkstoffe und das Ansprechen auf eine Psychotherapie selbstverständlich von Patient zu Patient ganz unterschiedlich ausfallen. Sowohl für letztgenannten als auch die behandelnden Ärzte bleibt also die Herausforderung, aus einem vielfältigen Angebot die beste Kombination für das beste Behandlungsergebnis auszuwählen.
Ostinelli E et al.: Comparative efficacy and acceptability of pharmacological, psychological, and neurostimulation interventions for attention-deficit hyperactivity disorder in children, adolescents, and adults: a systematic review and component network meta-analysis. Lancet Psychiatry, 2025. doi: 10.1016/S2215-0366(24)00360-2.
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