Von einer vermeintlichen Spielerei zur festen Therapiesäule: Gesundheits-Apps werden auch in der Psychiatrie immer wichtiger. Doch wo sind ihre Grenzen?
Was noch vor wenigen Jahren nach visionärer Zukunftsmusik klang, ist inzwischen Alltag in Praxen und Kliniken geworden: Seit der Einführung des Digitalen Versorgungsgesetzes im Jahr 2019 dürfen Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) als „App auf Rezept“ verschrieben werden – vorausgesetzt, dass das BfArM sie geprüft und ihnen ein überzeugendes Nutzen-Risiko-Profil attestiert hat.
Digitale Gesundheitsanwendungen bieten häufig Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), Psychoedukation, Tagebuchfunktionen und Symptomchecks. Interaktive Features und multimediale Inhalte ermöglichen eine personalisierte Begleitung des Patienten – von der Frühintervention über die Therapiestabilisierung bis hin zur Rückfallprophylaxe.
Mittlerweile reicht die Bandbreite der Apps zur kognitiven Verhaltenstherapie über Symptomtagebücher und digitale Trainings bis hin zu VR-gestützten Expositionsprogrammen bei Angststörungen. Insbesondere für psychische Erkrankungen wie Depression, Angst und emotional-instabile Persönlichkeitsstörung entstehen laufend immer neue Angebote – oft mit vernetzter Begleitung durch die verschreibenden Therapeuten. Aber die entscheidende Frage bleibt: Wie wirksam sind diese digitalen Anwendungen wirklich?
Aktuelle Studien belegen die wachsende Evidenz der DiGA in der Psychiatrie: So konnte beispielsweise priovi (DiGA bei Borderline-Persönlichkeitsstörung) in einer Studie aus dem Jahr 2023 eine klinisch relevante Reduktion der Borderline-Symptomatik und einen deutlichen Rückgang depressiver Symptome im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigen. Zudem war die Zahl der Suizidversuche in der priovi-Gruppe signifikant geringer.
Aber auch depressive Verstimmungen lassen sich mit DiGAs inzwischen nachweislich lindern. In der 2024 veröffentlichten eFICASY-Studie konnte die Seite edupression über 12 Wochen lang signifikante Verbesserungen bei Patienten mit leicht- bis mittelgradiger Depression vorweisen.
Bei aller Innovation gibt es aber auch die Kehrseite der DiGA-Medaille: Viele Gesundheits-Apps am Markt weisen keine ausreichende klinische Evidenz auf. Jede Anwendung sollte vor der Verordnung sorgfältig geprüft werden – auf Wirksamkeit, Datenschutz und Funktionalität. Eine falsche Selbstdiagnose durch ungeprüfte Apps kann gefährlich sein und ärztliche Hilfe verzögern.
Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch für die Versorgung geeignet. Viele Gesundheits-Apps im Netz sind nicht medizinisch zertifiziert und ihre Wirksamkeit ist unklar. Die psychische Erkrankung ist komplex – und so muss jede digitale Anwendung sorgsam mit konventionellen Therapien abgestimmt werden. Datensicherheit, digitale Kompetenz und weitere Faktoren, die die Anwendung im Alltag erschweren können, sind entscheidend. Besonders relevant: Digitale Anwendungen dürfen die professionelle Diagnostik und Therapie nicht ersetzen, sondern sollen sie sinnvoll ergänzen.
Zusätzlich ist entscheidend, die verordnete App auch regelmäßig zu nutzen. So zeigte eine Auswertung aus dem Jahr 2025, dass 28,3 % der Nutzer die digitale Behandlung gegen Depressionen bereits nach weniger als einem Monat abbrechen – empfohlen werden jedoch mindestens 90 Tage Nutzungsdauer. Dabei fällt der Effekt in Studien mit eng begleitetem Onboarding oft besser aus als in der Praxis.
DiGA stellen keine Konkurrenz zur klassischen Psychotherapie oder Pharmakotherapie dar, sondern eine eigenständige, sinnvolle Ergänzung. Der große Vorteil von DiGA: Sie machen Therapie orts- und zeitunabhängig möglich, verkürzen Wartezeiten und bieten einen niedrigschwelligen Zugang gerade für Betroffene, die sonst wenig Unterstützung bekommen würden. Sie können das Stigma psychischer Erkrankungen abbauen und lassen sich flexibel an die individuelle Lebenssituation anpassen.
Faktoren wie technische Affinität, Motivation und das Betreuungssetting sollten bei der Auswahl und Nutzung immer berücksichtigt werden. Damit die DiGAs ihr volles Potenzial auch ausschöpfen können, sollten sie im Zusammenspiel mit einem ganzheitlichen Behandlungskonzept und der aktiven Einbindung von Behandlern und Patienten eingebettet werden.
Mit fortschreitender Evidenz und zunehmender Verfügbarkeit bieten die DiGAs eine personalisierte, niedrigschwellige Unterstützung im ambulanten wie auch stationären Bereich. Der differenzierte Blick auf Nutzen, Risiken und offene Herausforderungen bleibt unverzichtbar – denn die digitale Therapie ist längst mehr als ein vorübergehender Trend.
Preiß et al.: Randomized controlled clinical trial of the efficacy of the digital self‑help program edupression.com® in mild‑to‑moderate unipolar depressive patients (eFICASY‑study). Neuroscience Applied, 2023. doi: 10.1016/j.nsa.2023.103615.
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