Adipositas-Patienten verlieren deutlich mehr Gewicht, wenn sie die dreifache Standarddosis Semaglutid pro Woche erhalten. Doch das hat seinen Preis: mehr Nebenwirkungen. Lohnt sich das – und was ist eigentlich mit Tirzepatid?
GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid gelten als Gamechanger. Sie senken nicht nur den Blutzucker, sondern wirken auch gegen Adipositas und verringern das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse – eine echte Revolution für Millionen Patienten. Doch nicht alle profitieren gleichermaßen von den Wirkstoffen. Vielmehr gibt es deutliche Unterschiede beim Gewichtsverlust und beim Effekt auf den HbA1C-Wert. Für Hersteller liegt der Gedanke nahe, vorhandene Substanzen in höherer Dosierung zu erproben – in der Hoffnung auf stärkere Effekte. Genau das untersuchte nun die internationale STEP UP-Studie.
An der randomisierten, placebokontrollierten Phase-IIIb-Studie nahmen 1.407 Erwachsene mit Adipositas, aber ohne Typ-2-Diabetes teil. Die Forscher verglichen Semaglutid in unterschiedlichen Dosierungen mit Placebo. Ihre Teilnehmer waren im Durchschnitt 47 Jahre alt, 74 % weiblich, wogen im Mittel 113 kg und hatten einen mittleren BMI von 39,9 kg/m².
Die Daten zeigen im untersuchten Zeitrahmen von 72 Wochen einen klaren Vorteil für die höhere Semaglutid-Dosierung von 7,2 mg gegenüber 2,4 mg und Placebo. Unter 7,2 mg sank das Körpergewicht im Mittel um 18,7 % – verglichen mit 15,6 % unter 2,4 mg und 3,9 % unter Placebo.
Wie zu erwarten, gingen die stärkeren Effekte mit einer höheren Rate an Nebenwirkungen einher. Gastrointestinale Beschwerden traten bei rund 71 % der Patienten unter 7,2 mg Semaglutid auf (vs. 61 % bei 2,4 mg und 43 % unter Placebo). Zudem wurde bei knapp 23 % der Behandelten ein Missempfinden (Dysästhesie) beschrieben, verglichen mit 6 % unter 2,4 mg und kaum Fällen im Placebo-Arm.
Interessanterweise war die Rate schwerwiegender Nebenwirkungen unter 7,2 mg (6,8 %) zwar höher als unter Placebo (5,5 %), aber niedriger als in der Gruppe mit 2,4 mg (10,9 %). „Schwerwiegende Nebenwirkungen (also mit Krankenhauseinweisung, neu entstehender Behinderung, Schwangerschaftsschädigung, Tod) sind […] recht selten und somit nicht erkennbar häufiger als unter der bisherigen Höchstdosis“, sagt Dr. Stefan Kabisch von der Charité. „Auffällig ist eine Nebenwirkung, die in der Außenwahrnehmung von Semaglutid keine große Rolle spielte: Sensibilitätsstörungen/Missempfindungen der Haut.“ Diese würden offenbar dosisabhängig auftreten.
Kabisch ordnet ein: „Der Zusatzeffekt der höheren Dosis ist messbar, aber moderat. Entscheidender dürfte die Verträglichkeit sein, die bereits viel frühzeitiger durch Nebenwirkungen eingeschränkt sein kann.“ Auch sei die Studiendauer von 72 Wochen zu kurz, um harte Endpunkte wie Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bewerten.
Eine weitere Studie zeigt, dass eine höhere Semaglutid-Dosis Menschen mit Typ-2-Diabetes und Adipositas deutliche Vorteile bringen kann. In der Phase-IIIb-Studie STEP UP T2D wurden insgesamt 512 Erwachsene mit einem durchschnittlichen Körpergewicht von 110 Kilogramm, einem mittleren BMI von 38,6 kg/m² und einem HbA1c-Wert von 8,1 % über einen Zeitraum von 72 Wochen begleitet. Sie erhielten zusätzlich zu einer Lebensstilintervention entweder Semaglutid in einer hohen Dosierung von 7,2 mg, die Standarddosis von 2,4 mg oder ein Placebo.
Mit 7,2 mg Semaglutid sank das Körpergewicht im Schnitt um 13,2 %, während es in der Placebogruppe nur 3,9 % waren. Außerdem erreichten deutlich mehr Teilnehmer die klinisch relevanten Abnehmziele, der HbA1c-Wert sank im Durchschnitt um 1,5 Prozentpunkte und der Taillenumfang verringerte sich um 6,5 Zentimeter.
Doch der Nutzen hoher Semaglutid-Dosen ist mehr als fraglich, wenn man einen Blick auf Tirzepatid wirft. Bei der SURMOUNT-1-Studie erzielten Patienten mit 15 mg Tirzepatid im Schnitt einen Gewichtsverlust von über 20 %. „Vergleicht man die Studienergebnisse mit denen von Tirzepatid 15 Milligramm in SURMOUNT-1, ist der mittlere Gewichtsverlust von Tirzepatid deutlich stärker“, sagt Dr. Timo Müller vom Helmholtz Zentrum München. Auch bei der Verträglichkeit schneide Tirzepatid günstiger ab, so Müller. Es gebe weniger Übelkeit und weniger Erbrechen.
Der Bochumer Diabetologe Prof. Michael Nauck ergänzt: „Die Dosiserhöhung wirkt sich fast nur auf die Gewichtsreduktion, aber nicht wesentlich auf den Glukose-Stoffwechsel aus. Also ist dieser Weg nur interessant, wenn das Therapieziel eine noch ausgeprägtere Gewichtsabnahme ist.“ Für die Behandlung von Typ-2-Diabetes sei der klinische Zusatznutzen eher gering.
Bleibt als Fazit: Die Studien liefern zwar Belege, dass eine höhere Semaglutid-Dosis die Gewichtsabnahme messbar verbessert – allerdings zum Preis von mehr Nebenwirkungen und nur mit begrenztem Zusatznutzen gegenüber 2,4 mg. Die große Frage lautet: Brauchen wir 7,2 mg Semaglutid überhaupt, wenn Tirzepatid verfügbar ist? Oder bleibt die Hochdosis nur eine Nischenoption für Patienten, die GLP-1-Analoga bereits gut vertragen, aber maximale Effekte erzielen wollen?
Bildquelle: Elena Koycheva, Unsplash