Jucken und Schmerzen im Genitalbereich? Grund dafür könnte ein Lichen sclerosus sein. Was außer Einschmieren noch hilft – und welche Rolle der berühmte letzte Tropfen spielt.
Lichen sclerosus (LS) ist eine widersprüchliche Krankheit: Sie betrifft überwiegend die äußeren Geschlechtsorgane, ist aber nicht sexuell übertragbar. Sie kann sehr belastend sein und ist gut behandelbar, gilt gleichzeitig aber als deutlich unterdiagnostiziert. Frauen trifft sie vor allem während und nach der Menopause sowie im Grundschulalter, Männer dagegen vor allem im dritten Lebensjahrzehnt. Und während hierzulande vor allem der Anogenitalbereich und kaum der übrige Körper betroffen ist, gibt es Beobachtungen aus dem Irak, dass es dort genau andersherum ist.
Ebenso unklar ist die Geschlechterverteilung: Während manche Erhebungen Frauen zehnmal so häufig wie Männer betroffen wähnen, gibt es Meldungen aus Griechenland, wonach es Frauen und Männer gleich oft trifft. Apropos Männer: Obwohl die Beschneidung des Gliedes primär ein religiöses Ritual ist, bewahrt es Männer vor der krankheitstypischen Vorhautverengung. Und schließlich wird eine familiäre Veranlagung vermutet, aber gefunden hat man entsprechende Gene noch nicht.
Auch die soeben erschienene S3-Leitlinie Lichen sclerosus unter der Federführung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe gibt widersprüchliche Signale: Sie lässt einerseits die Studien der letzten vier Jahre unberücksichtigt, weil sie eine Adaptation der „EuroGuiDerm Guideline on lichen sclerosus“ ist, die nur die bis September 2021 erschienene Literatur einschließt. Andererseits prophezeit die Leitlinie aufgrund des „zunehmenden wissenschaftlichen und klinischen Interesses an LS“ baldige Erweiterungen der Therapie.
Belastend ist die entzündliche Hauterkrankung vor allem deshalb, weil die Veränderungen – von hellweißen, pudrigen Plaques bis hin zu Vernarbungen und Verwachsungen – oft stark jucken und schmerzen, was Frauen und Männern die Freude am Sex nehmen und das Wasserlassen erschweren kann. Das hat mitunter weitreichende Folgen, wie etwa ein schwächeres Selbstwertgefühl aufgrund der „Sorge um das genitale Erscheinungsbild“ oder sogar den Verlust des Partners. Zudem droht die Gefahr der Entartung: So haben laut einer dänischen Studie Frauen mit Lichen sclerosus der Vulva verglichen mit gesunden Frauen ein 16-fach erhöhtes Risiko, ein Vulvakarzinom zu entwickeln.
Die Behandlung ist mit dem Auftragen von Glukokortikoidsalbe der Klasse III und IV sowie Vaseline oder anderen Emollientien relativ unaufwendig und nicht invasiv. Auch wenn sich damit die Symptome meist innerhalb von 10 Tagen deutlich verbessern, ist eine vollständige Heilung selten. Auch eine Sklerosierung kann nicht immer verhindert werden. Glücklicherweise lassen sich Glukokortikoidsalben jahrelang „ohne nennenswerte klinisch relevante unerwünschte Wirkungen“ anwenden. Als Therapie der zweiten Wahl nennt die Leitlinie topische Calcineurininhibitoren wie Tacrolimus. Von topischen Hormonen wird, trotz eines vermuteten Zusammenhangs, strikt abgeraten. Für Plaques außerhalb des Genitalbereichs empfiehlt die Leitlinie UV-Licht.
Bei anhaltenden, mechanischen Problemen beim Sex und Wasserlassen können Erwachsene auch operiert werden. So empfiehlt die Leitlinie für Männer mit Harnröhrenstriktur eine Urethroplastik mit Mundschleimhauttransplantat. Das Verfahren ist so anspruchsvoll wie es klingt und gehört deshalb in die Hände von Spezialisten. Zudem gilt: „Schmerzhafter Geschlechtsverkehr sollte vermieden werden.“ Intimität kann man schließlich auch anders erleben: Eine Alternative „ist der nicht-penetrierende Geschlechtsverkehr“.
Abschließend noch ein Appell an alle Männer, sich die Kultur des Sitzpinkelns samt Klopapiergebrauch anzueignen: Da Urin als Triggerfaktor für Lichen sclerosus angesehen wird, rät die Leitlinie, „den letzten Urintropfen nach der Miktion sorgfältig zu entfernen“.
Die Leitlinie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Martin Baron, Unsplash