KOMMENTAR | Laut US-Daten kann Akupunktur chronische Rückenschmerzen bei Älteren lindern – allerdings nur moderat. Reicht das für eine Empfehlung? Ein Blick in die Studie.
Chronische Rückenschmerzen, speziell Kreuzschmerzen, sind die Volkskrankheit Nummer eins. Knapp ein Drittel aller Erwachsenen und rund ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland leiden daran. Medikamente wirken oft nur kurzfristig und bringen Nebenwirkungen mit sich. Auch OPs führen nicht immer zum gewünschten Ergebnis. Und dann kommt ausgerechnet die Akupunktur wieder ins Spiel. Bewirken Nadeln tatsächlich mehr als nur den Placeboeffekt? Eine neue, große US-Studie liefert jetzt neuen Zündstoff für die Debatte.
Bisher war die Evidenzlage zur Akupunktur bei älteren Menschen dünn. Jetzt gibt es sie: 800 Patienten ab 65 Jahren, Durchschnittsalter 73, wurden 1:1:1 randomisiert drei Gruppen zugewiesen. Sie erhielten eine übliche Versorgung, eine Standard-Akupunktur (8 bis 15 Behandlungen über 12 Wochen) oder eine Standard-Akupunktur mit zusätzlich 4 bis 6 Erhaltungssitzungen. Wer Nadeln bekam, hatte nach 6 und auch nach 12 Monaten weniger Schmerzen und weniger Einschränkungen als Probanden der Kontrollgruppe. Das wurde anhand von Veränderungen des Roland-Morris Disability Questionnaire (RMDQ)-Scores gemessen.
Die Studie im Überblick. © DeBar et al: Acupuncture for Chronic Low Back Pain in Older Adults. A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open 2025
Rund 39 Prozent in der Akupunkturgruppe und rund 44 Prozent in der Akupunkturgruppe mit Erhaltungssitzungen erreichte klinisch bedeutsame Verbesserungen im RMDQ. In der Kontrollgruppe galt das nur für rund 29 Prozent. Die Effekte hielten außerdem über ein Jahr an. Erhaltungssitzungen brachten keinen zusätzlichen Nutzen, was die Kosten kalkulierbarer macht.
Hinzu kommt: Abgesehen von leichten Hautirritationen oder Schmerzen an den Einstichstellen fanden sich kaum relevante Nebenwirkungen. Im Vergleich zu Opioiden, NSAIDs oder Gabapentinoiden sind unerwünschte Effekte vernachlässigbar.
Aber reicht das wirklich? Kritische Stimmen weisen darauf hin, dass die Unterschiede auf der 24-Punkte-Skala des Roland-Morris-Fragebogens bei allen Teilnehmern im Mittel gerade einmal bei 1,0 (Akupunktur) bis 1,5 Punkten (Akupunktur mit Erhaltungssitzungen) lagen. Statistisch signifikant, ja – aber für alle Schmerzgeplagten auch relevant? Das ist fraglich, doch auch hier lohnt ein Vergleich. Viele Medikamente erreichen ebenfalls nur moderate Verbesserungen – bei deutlich höheren Risiken. NSAIDs verursachen gastrointestinale Blutungen, Opioide machen abhängig, Gabapentinoide erhöhen Sturzrisiken. Wenn Akupunktur ähnliche Effekte bringt, aber ohne die Nebenwirkungen, dann spricht das für sie. „Nicht spektakulär, aber sicher“ – so lassen sich die Effekte bei der gesamten Kohorte zusammenfassen.
Noch schwerer wiegt jedoch ein methodischer Punkt: Es gab keinen Sham-Akupunktur-Arm. Patienten erhalten bei Sham-Interventionen eine Behandlung, die wie Akupunktur erscheint, den Prinzipien der Methode jedoch nicht entspricht. So lassen sich die Effekte der Nadelung von Effekten unterscheiden, die allein auf Erwartungshaltung, Zuwendung oder das Ritual der Therapie zurückzuführen sind.
Das Thema hat große Relevanz, speziell bei Schmerzpatienten. Beispielsweise konnten in einer anderen Studie offene Placebo-Injektionen Rückenschmerzen deutlich lindern. In dieser Arbeit bleibt jedoch unklar, wie groß der spezifische Effekt der Nadelung ist – und wie viel allein durch Erwartung, Aufmerksamkeit und die rituelle Komponente der Therapie zustande kam.
Die Studie hat aber nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gesundheitspolitische Bedeutung. Sie wurde u.a. durchgeführt, um Daten für das große US-Krankenversicherungsprogramm Medicare zu liefern. Und diese Daten zeigen: Akupunktur kann messbare Verbesserungen bringen, wenn auch nicht bei allen Menschen. Für Deutschland stellt sich eher die Frage, ob der momentan eng definierte Leistungsanspruch gesetzlich Versicherter für eine Akupunktur bei chronischen Schmerzen der Lendenwirbelsäule oder bei Kniegelenksarthrose (wenn die Schmerzen seit mindestens 6 Monaten bestehen) auszuweiten ist.
Die neue US-Studie beendet die Debatte um Evidenz bei der Akupunktur nicht, aber sie liefert neue Aspekte. Akupunktur bei chronischen Rückenschmerzen älterer Menschen wirkt messbar, anhaltend und sicher. Sie ist kein Wundermittel, aber auch kein Hokuspokus. Vielleicht ist es an der Zeit, weniger ideologisch über Akupunktur zu streiten – und sie einfach dort einzusetzen, wo sie ihre Stärken hat: bei Patienten, die alles andere schon versucht haben, die an Nebenwirkungen von Pharmakotherapien leiden – und für die jeder kleine Fortschritt zählt.
Die Studie auf einen Blick:
Die Studie findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Taychin Olanwichitwong, Unsplash