Das Baby ist da – die Nabelschnur wird gekappt. Doch inzwischen weiß man: Geduld zahlt sich aus. Warum schon 60 Sekunden Warten Frühgeborenen einen besseren Start ins Leben ermöglichen.
Insbesondere bei Frühgeborenen (< 37. SSW) ist der Zeitpunkt der Nabelschnurabklemmung entscheidend für das Überleben und klinische Verläufe. In der Vergangenheit wurde oft sofort (< 15 s) abgeklemmt. Neue Evidenz zeigt jedoch, dass eine Verzögerung starke positive Auswirkungen auf die Sterberaten vor der Entlassung aus dem Krankenhaus hat. Daher aktualisierte das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) die Leitlinie zum verzögerten Abklemmen der Nabelschnur bei Frühgeborenen.
Die Leitlinie stützt sich auf zwei große Metaanalysen mit über 12.000 Frühgeborenen und individuellen Teilnehmerdaten-Metaanalysen, die 2023 in The Lancet veröffentlicht wurden (hier und hier). Darin wurde unter anderem das sofortige Abklemmen (< 15 s) mit dem verzögerten Abklemmen (≥ 30 s) verglichen.
Frühgeborene, deren Nabelschnur zwischen 30 und mindestens 180 Sekunden nach der Geburt abgeklemmt wurde, hatten ein um 32 Prozent geringeres Risiko, vor der Entlassung zu sterben, als diejenigen, deren Nabelschnur sofort abgeklemmt wurde (Odds Ratio [OR], 0,68; 95 % CI, 0,51–0,91). Gleichzeitig erzielten längere Wartezeiten von 120 Sekunden oder mehr die besten Ergebnisse. Die Wahrscheinlichkeit, vor der Entlassung zu sterben, war bei diesen Patienten um 69 Prozent geringer als bei denen, deren Nabelschnur sofort abgeklemmt wurde (OR, 0,31; 95 % CI, 0,11–0,80). In der Post-hoc-Analyse stellte die Arbeitsgruppe fest, dass auch schon eine Wartezeit von mindestens 60 Sekunden die Sterblichkeit um 37 Prozent senkte (OR, 0,63; 95 % CI, 0,44–0,88).
Angesichts der begrenzten Übertragbarkeit einer Verzögerungszeit von mehr als 120 Sekunden empfiehlt die ACOG in ihrer Leitlinie vorerst Zurückhaltung. Bei Frühgeborenen, die keine sofortige Wiederbelebung benötigen, sollte mindestens 60 Sekunden gewartet werden, bevor die Nabelschnur abgeklemmt wird. Wenn Kinder zwischen der 28. und 36. Schwangerschaftswoche nicht von dieser Verzögerung profitieren können – etwa wenn das Neugeborene nicht atmet, die Mutter stark blutet oder eine Hypotonie besteht – kann das Ausdrücken der Nabelschnur eine Alternative sein. Diese Methode senkte in Studien zwar nicht die Sterblichkeit, reduzierte jedoch den späteren Bedarf an Bluttransfusionen.
Eine weitere Individualisierung ist außerdem nötig, wenn das Kind nicht vital ist, eine Mehrlingsschwangerschaft besteht, eine fetale Wachstumsrestriktion (FGR) erkannt wurde, kongenitale Fehlbildungen auftreten oder wenn eine Plazenta praevia vorliegt.
Solche Änderungen benötigen eine sorgfältige und multidisziplinäre Zusammenarbeit, um eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Daher sind zunächst weitere Belege erforderlich, bevor eine routinemäßige Praxis des langen Aufschiebens (> 120 s) des Abklemmens der Nabelschnur bei Frühgeborenen empfohlen werden kann.
Cave: Die Belege für die Vorteile dieser Verzögerungsdauer stammen aus sorgfältig ausgewählten klinischen Studien und „lassen sich möglicherweise nicht auf Neugeborene übertragen, bei denen bei der Geburt eine sofortige Wiederbelebung erforderlich ist, oder auf Situationen, in denen keine angemessene Beurteilung und Versorgung des Neugeborenen möglich ist, während die Nabelschnur noch intakt ist“, so die Autoren.
Quellen:
ACOG et al.: An Update to Clinical Guidance for Delayed Umbilical Cord Clamping After Birth in Preterm Neonates. Obstetrics & Gynecology, 2025. doi: 10.1097/AOG.0000000000006020
Seidler et al.: Deferred cord clamping, cord milking, and immediate cord clamping at preterm birth: a systematic review and individual participant data meta-analysis. Lancet, 2023. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02468-6
Seidler et al.: Short, medium, and long deferral of umbilical cord clamping compared with umbilical cord milking and immediate clamping at preterm birth: a systematic review and network meta-analysis with individual participant data. Lancet, 2023. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02469-8
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