Noch nie gab es so viele Mediziner wie im letzten Jahr, so die BÄK. Trotzdem klagen Patienten über lange Wartezeiten und Versorgungsengpässe – ein Widerspruch? Naheliegende Strategien wie mehr Arztstunden greifen zu kurz. Andere Länder zeigen, wohin die Reise gehen könnte.
Neue Trends schwarz auf weiß: Jetzt hat die Bundesärztekammer (BÄK) Zahlen zum Berufsstand veröffentlicht. So waren 2013 bundesweit 357.252 Kolleginnen und Kollegen ärztlich tätig – plus 2,5 Prozent gemessen am Vorjahreszeitraum. Auch tragen immer mehr Frauen einen weißen Kittel. Ihr Anteil stieg von 44,3 Prozent (2012) auf 45,0 Prozent (2013). Was auf den ersten Blick recht optimistisch klingt, ist nicht ohne gesundheitspolitischen Sprengstoff.
So hat sich die Altersverteilung deutlich stärker zu höheren Lebensjahren hin verschoben. Zwar erhöhte sich der Anteil von Ärzten unter 45 leicht um 0,8 Prozentpunkte auf 18,0 Prozent. Zeitgleich gab es bei den über 59-Jährigen einen Anstieg auf 15,6 Prozent (Vorjahr: 15,4 Prozent). In den Bereichen von 40 bis 49 verzeichnet die Statistik einen Rückgang von 27,9 Prozent auf 26,6 Prozent. Allerdings traten in 2013 genau 3,8 Prozent mehr Ärzte ihren wohlverdienten Ruhestand an als noch in 2012. „Die Statistik belegt eindeutig, dass die demografische Entwicklung auch die Ärzteschaft erfasst hat“, sagt Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK). „Seit Jahren nimmt das Durchschnittsalter der Ärztinnen und Ärzte zu.“ Ein weiterer Aspekt: Junge Kolleginnen und Kollegen achten stärker auf ihre Work-Life-Balance als die Generation zuvor. Laut Informationen des Statistischen Bundesamts hat sich die Zahl an Medizinern in Teilzeit von 31.000 (2001) auf 54.000 (2011) erhöht. Montgomery: „Junge Menschen mit einer hochqualifizierten Ausbildung sind zu Recht nicht mehr bereit, ihren Lebensstil, ihre Lebensqualität und ihre Arbeitnehmerrechte an den Pforten der Krankenhäuser und Arztpraxen abzugeben.“
Damit nicht genug: Laut BÄK würden allein schon wegen der „Zunahme der Behandlungsintensität in einer alternden Gesellschaft“ mehr Ärzte benötigt als je zuvor. Im ambulanten Bereich schnellten Behandlungszahlen um 136 Millionen nach oben, und im stationären Bereich waren es plus 1,8 Millionen – jeweils im Zeitraum von 2004 bis 2012. Montgomery weist auf zusätzliche Untersuchungen beziehungsweise Eingriffe hin, die aufgrund des medizinischen Fortschritts heute möglich seien. „Dies erfordert ebenso mehr Personal, wie die durch die wissenschaftliche Entwicklung bedingte zunehmende Spezialisierung der Medizin.“
Bereits heute zeigen sich je nach Bundesland unterschiedliche Arztdichten. Besonders gut ist die Versorgung in Hamburg (151 Einwohner auf einen berufstätigen Arzt), Bremen (175) und Berlin (187). In Thüringen (249), Sachsen (255), Niedersachsen (261), Sachsen-Anhalt (262) und Brandenburg (276) sieht es eher schlecht aus. Eine mögliche Erklärung: Für viele Mediziner sind Großstädte attraktiv. Landarztpraxen in Flächenländern bleiben oft ohne Nachfolge, sollte ein Inhaber seinen Ruhestand antreten. Daran haben Gesetzesinitiativen der letzten Bundesregierung nur wenig geändert.
In diesem Zusammenhang geht die Statistik auf ausländische Ärztinnen und Ärzte, die nach Deutschland kommen, ein. Von 1993 (10.275 Kollegen) bis 2013 (31.236) ist deren Zahl stetig angestiegen. Allein 2013 waren es 10,3 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Besonders deutlich zeigt sich dieser Effekt in Krankenhäusern. Noch ein Blick auf die Herkunftsländer: Besonders häufig kamen Mediziner aus Rumänien (3.454), Griechenland (2.847), Österreich (2.611) und Polen (1.830) zu uns. Nach Kontinenten aufgeschlüsselt, waren 73,3 Prozent aus Europa, 17,9 Prozent aus Asien, 5,1 Prozent aus Afrika und 2,9 Prozent aus Amerika. Engpässe lassen sich damit aber auch nicht nachhaltig lösen.
Deshalb fordern BÄK-Vertreter mehr Ärzte respektive mehr Studienplätze, ohne über deren Finanzierung zu sprechen. Tatsache ist, dass heute Überversorgung und Unterversorgung Hand in Hand gehen. Beispielsweise kommen in Berlin auf einen berufstätigen Arzt 187 Einwohner. Nur einen Steinwurf weit entfernt in Brandenburg sind es 276 Menschen. Selbst in der Bundeshauptstadt gab es eklatante Unterschiede: Während der hausärztliche Versorgungsgrad in Treptow-Köpenick 95,9 Prozent betrug, waren es in Charlottenburg-Wilmersdorf 170,7 Prozent. Dort gehen Senatsgesundheitsverwaltung, Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen neue Wege. Ein gemeinsamer Zulassungsausschuss steuert anhand von Planungsdaten Umzüge und Neuansiedlungen von Praxen. Noch stehen Kinder- und Hausärzte im Fokus. Das Prinzip soll früher oder später auf 18 Facharztgruppen ausgeweitet werden. Für ländliche Gegenden mit Versorgungsengpässen könnte es sich lohnen, über Konzepte aus anderen Ländern nachzudenken. Bei Bagatellerkrankungen bietet der finnische Konzern Laastari Patienten die Möglichkeit, ohne große Wartezeiten eine „Walk-in-Klinik“ zu besuchen oder Ärzte per Video zu konsultieren. Ähnliche Angebote gibt es mittlerweile in vielen US-amerikanischen Einkaufszentren. Und Online-Praxen wie DrEd entlasten Ärzte beziehungsweise Patienten, sollte es um vergleichsweise harmlose Leiden gehen. Früher oder später wird sich Deutschland auch neuen Wegen öffnen müssen.