Man unterscheidet 16 verschiedene Tumoren der Schilddrüse – eine neue Leitlinie hilft, den nötigen Durchblick zu behalten. Außerdem darin enthalten: So manche gute Nachricht.
Das Schilddrüsenkarzinom verbreitet bei weitem nicht so einen Schrecken wie andere Krebsarten: Es ist mit knapp 6.000 Neuerkrankungen pro Jahr nicht nur relativ selten, fünf Jahre nach der Diagnose leben auch noch über 90 Prozent der Patienten. Das liegt vor allem daran, dass drei Viertel aller Karzinome auf die verästelt wachsenden, papillären Karzinome entfallen, die am wenigsten gefährlich sind. Die aggressiven, undifferenziert wachsenden, anaplastischen Karzinome machen dagegen nur etwa 3 Prozent der Karzinome aus. Eine radikale Entfernung des befallenen Organs ist kein Problem, da es sich auch ohne Schilddrüse gut leben lässt, was die Therapie enorm erleichtert. Einer der Wermutstropfen ist allerdings die frühe Erkrankung: Frauen trifft es im Schnitt bereits mit 51, Männer mit 55 Jahren.
Wie die einzelnen Karzinomtypen zu unterscheiden und zu therapieren sind, haben nun die Deutschen Gesellschaften für Allgemein- und Viszeralchirurgie, für Endokrinologie und für Nuklearmedizin erstmals in der S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom aufgearbeitet. Die aktuelle WHO-Klassifikation unterscheidet 16 verschiedene Tumortypen; von benignen Formen wie dem follikulären Adenom, über Low-Risk-Formen wie dem hyalinisierenden trabekulären Tumor, bis hin zu malignen Formen wie dem anaplastischen Schilddrüsenkarzinom. Die Vorgängerversion unterschied nur 11 Typen und das Hürthle-Zell-Karzinom wurde jetzt zum onkozytären Schilddrüsenkarzinom umbenannt.
Da Karzinome der Schilddrüse meist zufällig bei Routine-Ultraschalluntersuchungen in einem frühen Stadium entdeckt werden, ist ein Screening nicht sinnvoll. Ein Versuch in Südkorea ließ zwar die Diagnosen hochschnellen, nicht jedoch die Sterberaten sinken. Um das Entartungsrisiko von Schilddrüsenknoten abzuschätzen, empfehlen die Autoren einen B-Mode Ultraschall. Der kann das Risiko unter anderem anhand der Reflexionsintensität des Gewebes abschätzen – die Palette reicht von stärker echogen über echogleich, schwächer echogen und stark schwächer echogen bis echofrei. Auch der Spiegel des Thyreoidea stimulierenden Hormon (TSH) soll bei jeder Knotenabklärung ermittelt werden. Allerdings ist die Verbindung zwischen TSH-Wert und Krebsrisiko etwas kurios: In Studien wurde sowohl ein Zusammenhang mit besonders hohen als auch mit besonders niedrigen Werten gefunden.
Therapiemethode der Wahl ist die Operation – da man die Schilddrüsenfunktion gut substituieren kann, wird bei den meisten malignen Befunden zur Thyreoidektomie geraten. Die ist zudem Voraussetzung für eine Radioiodtherapie; hier macht man sich den glücklichen Umstand zunutze, dass Schilddrüsenkarzinome Iod anreichern, also auch das systemisch verabreichte radioaktive Natrium-Iodid.
Wegen seiner durchschlagenden Wirkung und seiner geringen Nebenwirkungen wird die Radioiodtherapie adjuvant, kurativ und palliativ eingesetzt. Neben dem Primärtumor erreicht das Iod auch verborgene Tumorgewebe wie Metastasen, Resttumore und Zweittumore. Das funktioniert so gut, dass die Grenze zwischen kurativ und palliativ mitunter verschwimmt: „Mehrere nicht kurative Radioiodtherapien können den Krankheitsverlauf so verzögern, dass das Schilddrüsenkarzinom nicht lebenslimitierend ist“, heißt es in der Leitlinie. Kleiner Haken: Nicht alle Typen reichern das radioaktive Jod gleich gut an. Das medulläre Schilddrüsenkarzinom etwa nimmt Iod gar nicht auf, weil dabei die Calcitonin-produzierenden C-Zellen entartet sind, die sich am Jod-Umsatz nicht beteiligen.
Auch erfreulich: Frauen mit einem Schilddrüsenkarzinom können ohne Probleme Kinder bekommen. Sie sollten allerdings nicht vor einer Radioiodtherapie schwanger werden, sondern damit bis zu einem Jahr nach Therapieende warten. Kommt die Therapie nach der Schwangerschaft, sollten Mütter möglichst erst ein halbes Jahr nach dem Abstillen mit einer Radioiodtherapie beginnen, weil sich das radioaktive Material im laktierenden Brustgewebe anreichern kann.
Die Leitlinie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Sunguk Kim, Unsplash