Viele Menschen greifen an stressigen Tagen zu kohlenhydratreichen Snacks. Das verschafft kurzfristig Entspannung – führt aber langfristig in einen Teufelskreis. Was bedeutet das für die Therapie von Depressionen?
Am Ende eines schlechten Tages greifen viele instinktiv zu Süßigkeiten und Snacks, um Trost zu finden. Und das funktioniert oft erstaunlich gut. Psychisches Wohlbefinden, Essen und Gewicht hängen eng miteinander zusammen – sogar noch enger, als bislang gedacht. Aktuelle Forschungen zum Thema Darm-Hirn-Achse zeigen: Über unsere Ernährung können wir nicht nur Einfluss auf unsere seelische Gesundheit nehmen – sondern sie sogar gezielt über unseren Bauch steuern.
Eine Depression führt nicht nur zu einer gedrückten Stimmung, sondern ändert oft auch den Appetit: Manche Menschen essen deutlich weniger, andere wiederum greifen während einer depressiven Episode verstärkt zu kohlenhydratreichen Lebensmitteln und Süßigkeiten. Diese Verbindung von Psyche und Appetit zeigt sich auch in aktuellen Studien (z. B. hier). Je schwerer die Depression und insbesondere die begleitende Angstsymptomatik, desto stärker scheint das Verlangen nach Kohlenhydraten.
Diese Veränderungen führen häufig zu Gewichtszunahme, insbesondere zu mehr viszeralem Bauchfett. Dieses begünstigt die Bildung entzündungsfördernder Stoffe, vor allem verschiedener Zytokine, welche dann wiederum die Serotoninbildung hemmen können. Die Folge: Ein Teufelskreis aus schlechter Stimmung, falschem Essverhalten und verstärkten depressiven Symptomen. Es wird bereits untersucht, ob eine gezielte Ernährung die Depression positiv beeinflusst und langfristig verbessern kann.
Unser Mikrobiom wirkt direkt in unsere Gefühlswelt hinein. So wurden bei Patienten mit Depression und Angsterkrankungen signifikante Veränderungen in der Darmflora beobachten (hier). Typische Befunde waren weniger entzündungshemmende Bakterien wie Faecalibacterium und mehr entzündungsfördernde Arten wie Eggerthella. Ein gesundes und vielfältiges Mikrobiom hingegen stabilisiert Stimmung, Stress und Hirnfunktion (hier).
Insbesondere in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen kann Essen eine zentrale emotionale Funktion erfüllen. Gemeinsames Kochen oder das Teilen von Mahlzeiten stärken das Gefühl von Verbundenheit, Vertrauen und sozialer Zugehörigkeit. Diese Rituale vermitteln Geborgenheit und Schutz, können aber auch dazu führen, dass emotionale Bedürfnisse – zum Beispiel Trost, Stressabbau oder Unsicherheit – durch übermäßiges Essen kompensiert werden. In vielen Fällen entsteht dadurch das sogenannte „emotionale Essen“ oder „Kummeressen“, bei dem nicht körperlicher Hunger, sondern emotionale Auslöser im Mittelpunkt stehen.
Achtsamkeit spielt hier eine entscheidende Rolle: Sie unterstützt Menschen dabei, ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und zu unterscheiden, ob der Griff zum Schokoeis wirklich Selbstfürsorge bedeutet oder lediglich ein kurzzeitiger Trostmechanismus in belastenden Situationen ist. Durch achtsames Wahrnehmen können auch soziale Einflüsse – wie Gruppendruck beim gemeinsamen Essen – besser reflektiert werden. Damit lassen sich übermäßiges Essen und Gewichtszunahme besser kontrollieren (hier und hier).
Regelmäßige Mahlzeiten in strukturierter und achtsamer Atmosphäre können nachhaltig depressive Symptome lindern und unsere psychische Resilienz langfristig stärken (hier). Eine antientzündliche, zuckerarme Ernährung entlastet Körper und Geist. Besonders gut: viel Gemüse, Kräuter, Omega-3-Fettsäuren aus Fisch, Nüssen und Leinöl, fermentierte Produkte wie Joghurt oder Kefir und ballaststoffreiche Vollkornprodukte.
Der Vagusnerv spielt eine zentrale Rolle als Kommunikationsachse zwischen Darm und Gehirn. Er übermittelt sensorische und motorische Informationen und reagiert auf mechanische, chemische und hormonelle Reize. Er kann außerdem über den sogenannten antiinflammatorischen Reflex die Spiegel pro-inflammatorischer Zytokine regulieren und so Einfluss auf Entzündungsprozesse im Körper nehmen – was insbesondere auch bei psychischen Erkrankungen eine Rolle zu spielen scheint.
Die Modulation der Vagusnervaktivität kann direkt die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn modulieren und damit Einfluss auf Appetit und Stimmung nehmen. In den letzten Jahren wurden spezielle Geräte zur transkutanen Vagusnervstimulation (tVNS) entwickelt, mit denen sich diese Achse direkt beeinflussen lässt. Bei der tVNS wird der aurikuläre Ast des Nervus vagus elektrisch stimuliert, wodurch subkortikale Kerngebiete (u.a. Locus coeruleus und Nucleus tractus solitarii) und kortikale Regionen aktiviert werden können.
Studien zeigen, dass die tVNS die Konzentrationen wichtiger Neurotransmitter wie Noradrenalin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA) erhöhen und so eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit bewirken kann. Die tVNS kann darüber hinaus die neuronale Plastizität fördern, die Hirnfunktion positiv beeinflussen und depressive Symptome reduzieren. Positive Effekte wurden sogar bis zu sechs Monate nach tVNS-Behandlung nachgewiesen, etwa bei Epilepsiepatienten, deren Stimmung sich nach der Anwendung nachhaltig verbesserte (hier).
Die Reise zwischen Bauch und Kopf ist immer individuell. Die Entdeckung, wie gezielt Nervenzellen und Mikrobiom unser Wohlbefinden steuern, schenkt Patienten, Angehörigen sowie Behandlern Hoffnung. Vielleicht helfen in Zukunft gezielt angepasste Ernährungstherapien gegen Übergewicht, Stress und psychische Erkrankungen – vielleicht lernen wir dadurch auch, unseren Körper wieder mehr zu spüren und achtsamer mit uns selbst und anderen umzugehen.
Unser Verdauungssystem ist sensibler, als viele glauben: Es „spürt“ emotionale Belastungen und reagiert darauf – etwa über anti-inflammatorische Bakterien, komplexe Nervenbahnen und eine ausgewogene Ernährung, die allesamt zur Heilung von Körper und Seele beitragen können. Für eine zeitgemäße Seelenhygiene ist die Darm-Hirn-Achse ein zentraler Orientierungspunkt. Unser Bauch spricht mit unserem Kopf – leise, beharrlich, manchmal überraschend – aber immer bedeutsam! Vieles von dem, was wir als „Bauchgefühl“ erleben, ist das Ergebnis einer hochkomplexen, intelligenten Kommunikation zwischen Körper und Geist.
Thurn et al.: Altered food liking in depression is driven by macronutrient composition. Psychological Medicine, 2025. doi: 10.1017/S0033291724003581
Cao et al.: Gut microbiota variations in depression and anxiety: asystematic review. BMC Psychiatry, 2025. doi: 10.1186/s12888-025-06871-8
Averina et al.: Human Gut Microbiota for Diagnosis and Treatment of Depression. Int J Mol Sci, 2024. doi: 10.3390/ijms25115782
Clerici et al.: Gut Microbiome, Diet and Depression: Literature Review of Microbiological, Nutritional and Neuroscientific Aspects. Current Nutrition Reports, 2025. doi: 10.1007/s13668-025-00619-2
Abukmail et al.: Moderate- to Long-Term Effect of Dietary Interventions for Depression and Anxiety, Annals of Internal MedicineI, 2025. doi: 10.7326/ANNALS-24-03016
Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. – Ernährungsempfehlungen, abgerufen am 17.09.2025. online
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