Bei Patrick steht die J1 an, eine Jugenduntersuchung bei Kindern zwischen 12 und 14 Jahren. Er druckst rum: „Online steht was von mindestens vierzehn Zentimetern …?“ Mein Appell: Überlasst die Aufklärung nicht dem Internet.
Mal wieder eine U11, die Vorsorgeuntersuchung mit ungefähr zehn Jahren. Ich untersuche einen Viertklässler und frage die üblichen Dinge. Was macht der Sport, was die Schule, gibt es gesundheitliche Probleme? Meist sind die Mütter anwesend. So lief das Gespräch ab:
Kinderdok (während der körperlichen Untersuchung): „Ich gucke auch mal kurz dein Genitale an, wenn das ok ist?“
Sven: „Jaja.“ Er zuckt mit den Schultern.
Meine Aufgabe ist es, den kompletten körperlichen Status zu erheben. Dazu gehört selbstverständlich auch die Untersuchung von Penis und Hoden. Wie ist die Entwicklung? Die Jungs sind in diesem Alter zwar noch vorpubertär, aber: Gibt es Vorhautengen, sind die Hoden sauber in den Hodensäcken sichtbar und entwickelt, was macht die Genitalhygiene?
Kinderdok: „Kannst du denn die Vorhaut zurückziehen? Machst du das ab und zu, so zum Saubermachen und so?“
Sven: „Die was?“
Kinderdok: „Die Vorhaut, vorne an deinem Penis, die Haut.“ Ich blicke fragend zur Mutter. Sie zuckt mit den Schultern.
Sven: „Äh. Wie jetzt?“
Heute steht eine Jugenduntersuchung an, die J1. Vier Jahre später, ein anderer Junge, nennen wir ihn Patrick. Auch bei dieser Untersuchung gehört ein Check des Genitales dazu. Hat die Pubertät schon eingesetzt, das Längenwachstum des Penis, die Größe der Hoden, Schambehaarung? Patrick hat keine Hemmungen und kennt mich schon lange, er lässt mich „mal schauen“, die obigen Fragen, die ich bei der J1 ebenso stelle, beantwortet er souverän.Patrick: „Klar, Vorhaut. Geht zurück. Alles prima.“ Fragen zu möglichen Sexualkontakten beantwortet er einsilbig. Die Scham überwiegt.
Später beim Gespräch mit der Mutter – auch hier sind in 80 % die Mütter dabei – druckst er rum.
Mutter: „Du wolltest noch was fragen.“
Patrick: „Mmmh. Ja. Also.“
Kinderdok: „Frag ruhig, was möchtest du wissen?“
Patrick: „Ja, also, der Zipfel da unten …“ (ja, er sagt Zipfel) „ist ganz schön klein. Im Internet steht was von mindestens vierzehn Zentimetern.“
Tja, nun. Immerhin fragt er medizinisches Fachpersonal, um seine Google-Recherche zu verifizieren. Er ist sichtlich verunsichert. Bei der J1 muss man als Jugendarzt häufiger den Dr. Sommer geben. Das ist gut und das ist okay – und mir hundertmal lieber, als wenn Patrick sich in diesem Alter (13–15 Jahre) Vorbilder auf Pornoseiten sucht. Was er vermutlich schon getan hat.
Wir sprechen zu dritt über Aufklärung, Einfluss von Social Media, falschen Vorstellungen und Body Positivity. Die Mutter ist sehr offen, konnte aber wohl zuhause den Befürchtungen des Jungen nichts entgegenhalten.
Kinderdok: „Hat denn dein Vater mal mit dir gesprochen?“
Patrick: „Nö.“
Mutter: zuckt mit den Schultern.
Ihr habt Söhne. Ihr habt einen Penis. Ihr habt eigene Sorgen und Komplexe und eine eigene sexuelle Sozialisierung durchlebt. Ihr habt die Bravo gelesen oder euch mit Kumpels ausgetauscht. Ihr hattet vielleicht schon ein paar Partnerinnen, auf jeden Fall gab es eine Frau in eurem Leben, mit der ihr mindestens ein Kind gezeugt habt. Auch wenn ihr keine medizinischen Experten seid: Damit habt ihr auf jeden Fall mehr Erfahrung als euer pubertierender Sohn.
Lasst nicht zu, dass er auf sich allein gestellt im Netz danach sucht, was normal ist und was nicht. Setzt euch hin und sprecht mit euren Jungs. Klärt sie auf über Normalitäten, über Genitalhygiene, Erektionen und Samenergüsse – das ist euer Job!
Bildquelle: Morin Nishanthini, Unsplash