Mit dem Alter kommen die Gebrechen – so weit, so bekannt. Weniger bekannt ist jedoch, dass Osteoporose die verzögerte Rechnung für den jugendlichen Lebensstil sein kann. Wie man schon früh ein starkes Fundament aufbaut.
„Das kann nicht sein, ich bin doch 1,68 m!“ Leider sagt unser Wand-Maßband etwas anderes: 1,64 m. Die Patientin ist zur Gesundheitsuntersuchung gekommen, wie viele andere auch. Sie ist 75 Jahre alt und wiegt 70 kg. Sie hat einen Bluthochdruck, der aber ganz gut eingestellt ist, sonst keine bekannten schweren Vorerkrankungen. Was bei der körperlichen Untersuchung aber auffällt, sind die schrägen, von der Wirbelsäule nach seitlich unten verlaufenden Falten am Rücken: bekannt als „Tannenbaumphänomen“. Kein Wirbelsäulenklopfschmerz, kein erinnerliches Trauma. Trotzdem muss jetzt weiter abgeklärt werden – der Verdacht der Osteoporose steht im Raum.
Den Begriff muss man heute eigentlich niemandem mehr erklären, gerade die älteren Patienten kennen ihn. Kein Wunder, da die Prävalenz bei über 70-Jährigen mit bis zu 45 Prozent angegeben wird. Osteoporose ist nicht direkt lebensbedrohlich wie eine koronare Herzerkrankung oder eine Krebserkrankung. Aber trotzdem auf ihre eigene Art gefährlich. Es drohen Knochenbrüche (z.B. der berühmte Oberschenkelhalsbruch) mit verminderter Mobilität und chronischen Schmerzen – und die sind leider immer noch der berüchtigte „Anfang vom Ende“: Sturz, Fraktur, verminderte Mobilität, darauf folgt eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Pflegebedürftigkeit…
Ich versuche immer, die Osteoporose-Prophylaxe ab ca. 40 Jahren mal anzusprechen. Denn letztlich ist die bittere Wahrheit: Wir können den Knochenverlust nur verlangsamen – wir haben immer noch keine Möglichkeit gefunden, den Knochen wirklich AUFZUBAUEN. Obwohl viele Patienten wissen, dass es Medikamente gegen Osteoporose gibt, ist diese Tatsache den meisten nicht bewusst. Deswegen predige ich immer wieder eine adäquate Vitamin-D-Versorgung und vor allem Sport (und dabei Krafttraining mit Einfluss der Schwerkraft). Denn auch das wissen wir inzwischen: Schwimmen und Radfahren sind super Ausdauertrainings, aber helfen wenig für die Knochendichte (zwischenzeitig wurde sogar ein nachteiliger Effekt diskutiert, der sich aber nicht bestätigt hat).
Aber ich frage mich oft, ob 40 Jahre nicht eigentlich viel zu spät ist und nicht die Kollegen aus der Kinder- und Jugendmedizin das Thema auf dem Plan haben müssten. Denn letztlich sind beim Thema Osteoporose zwei Dinge zu berücksichtigen: Einerseits die Abbaurate über die Zeit – ab ca. 30 Jahren nimmt die Knochendichte leider nur noch ab, nicht mehr zu. Ein Thema, über das ich häufig mit meinen Patienten ins Gespräch komme. Andererseits ist es natürlich entscheidend, wie hoch der Ausgangswert ist, ab dem der Knochenabbau ANFÄNGT – die sogenannte „Peak Bone Mass“. Dabei ist wahrscheinlich der Zeitraum vor der Pubertät – in dem garantiert noch NIEMAND über Osteoporose spricht – noch wichtiger ist als danach.
Bei meinen eigenen Kindern habe ich das Glück, dass sie sich gerade hier auf dem Land immer viel bewegt haben und jetzt auch Hobbys ausüben, die sich positiv auf die Knochendichte auswirken (Kampfsport, Handball). Aber wenn ich sehe, dass Kinder im Alter von 6–7 Jahren heutzutage bereits durchschnittlich 133 Minuten pro Tag vor dem Bildschirm verbringen, bin ich mir sehr sicher, dass sie in der Zeit keinen „Impact-Sport“ machen, der die Knochendichte erhöht. Das Ergebnis davon sehen wir aber nicht jetzt – sondern erst in 40 Jahren!
Im Erwachsenenalter sieht es dann nicht besser aus. Gefühlt spricht mich jeder Dritte, der mehr als zwei Tabletten nimmt (z. B. für den Blutdruck), auf „Magenschutz“ an. Wer auch immer diesen Namen erfunden hat – das war extrem gute PR-Arbeit: Die Leute denken, dass man den Magen vor so ziemlich jeglicher Tablette „schützen“ muss. Dass dieser auch das Osteoporose-Risiko erhöht, wissen die wenigsten.
Das in Kombination mit einer bekanntermaßen immer älter werdenden Bevölkerung lässt mich manchmal echt erschaudern. Die Babyboomer kommen erst jetzt in das Alter, wo eine Osteoporose häufiger manifest wird. Und Osteoporose ist eine sehr teure Erkrankung, da die Folgekosten (OPs bei Frakturen, Pflegebedürftigkeit) extrem hoch sind – oft über viele Jahre hinweg. Da müssten wir DRINGEND gegensteuern.
Das Problem: Krafttraining im Fitness-Studio ist teuer und für viele, gerade ältere Menschen, noch immer eine große Hemmschwelle. Ich behelfe mir meistens damit, dass ich den Patienten ein paar Übungen für zu Hause zeige, um erstmal einen Einstieg zu haben – z. B. den Wandsitz (Rücken an einer Wand, Beine 90-Grad-Winkel und dann halten). Das ist natürlich nicht perfekt, aber immer noch besser, als auf die Fraktur zu warten. Und ich bin immer wieder erstaunt, wie viele dann auf den Geschmack von Sport kommen und zu Hause selbst „turnen“ oder sich wirklich einer Gruppe anschließen (so auch bei dieser Patientin, nachdem sich die Diagnose "Osteoporose, aber ohne Fraktur" in der Knochendichtemessung bestätigt hatte).
Aber letztlich brauchen wir auch für diese Patienten (wie so oft) passende „echte“ Präventionsangebote. Also Angebote, die die Erkrankung wirklich verhindern, anstatt nur „hinterherzulaufen“. Klar wäre es schön, auf Dauer noch Medikamente zu haben, die beim AUFBAU von Knochenmasse helfen, aber auch das würde wieder die nächste teure Therapie bedeuten. Wir brauchen endlich ECHTE Prävention: Mehr Bewegungsangebote ab dem Kindesalter, konsequente Aufklärung für Eltern (Stichwort „Elterntaxi“), Erzieher und Schulen (Sportlehrkräfte!). Werden wir selbst die Früchte dafür ernten? Nein. Nichtsdestotrotz wäre es richtig und wichtig – denn so schön technischer Fortschritt ist: Mehr „kranke Jahre“ sind schon jetzt kaum noch bezahlbar. Das Ziel muss also lauten, mehr gesunde Jahre zu haben.
Ich habe dazu ein schönes Zitat gefunden: „Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren; die zweitbeste ist jetzt.“
Bildquelle: Aldo Houtkamp, Unsplash