Trotz aktueller Leitlinien versagen immer wieder bewährte Therapiestrategien. Aus der Einsicht „jeder Tumor ist anders“ stammen neue Ansätze, die Wirkung von Zytostatika zu modellieren und Chancen gegen Risiken abzuwägen.
Neulich erzählte mir eine Onkologin von einer Patientin und vielen Fragen, die sie damit beschäftigen: Bei Anneliese K.*, 51 Jahre alt, stellen die Ärzte ein Mammakarzinom fest. Die genauere klinische Untersuchung ergibt einen T2-Tumor, die Lymphknoten sind bereits befallen. Das mäßig-gradig differenzierte (G2) invasiv duktale Karzinom ist Her2/neu negativ. Die Ärzte empfehlen ihr entsprechend den Leitlinien eine Chemotherapie mit drei FEC (5-Fluoro-Uracil, Epirubicin, Cyclophosphamid)-Zyklen, gefolgt von drei Zyklen Docetaxel. Damit wollen sie eine Komplettremission erreichen und danach brusterhaltend operieren. Anstelle des erhofften Erfolgs bricht Anneliese K. die FEC-Therapie wegen starker Nebenwirkungen ab. Neue Aufnahmen zeigen zudem, dass sich der Tumor während der Chemotherapie vergrößert hat. Daraufhin operieren die Chirurgen sofort.
Vielleicht wären Anneliese K. mit einer anderen Therapie unnötige Beschwerden erspart geblieben. Andere Wirkstoffe hätten den Tumor möglicherweise erfolgreicher und ohne die starken Nebenwirkungen bekämpft. Welche Möglichkeiten gibt es, um vom „Ausprobieren“ zu mehr Zielsicherheit bei der Auswahl geeigneter Therapieoptionen zu gelangen? 15 bis 20 Prozent aller Mammakarzinome sind „triple-negative“ Tumore, für die es keine spezifische Chemotherapie oder zielgerichtete andere Optionen gibt. Die Empfehlung lautet zumeist: Standardtherapie mit Anthracyclinen und Taxanen. Die Palette der Auswahlmöglichkeiten unter den verfügbaren Zytostatika umfasst etliche Strategien, die sich alle in mehr oder minder großen Studien bewährt haben und sich in den aktuellen Leitlinien wiederfinden. Neben den Monotherapien mit Epirubicin oder Cyclophosphamid gefolgt von Docetaxel kann dabei auch Paclitaxel als Taxan zum Einsatz kommen. FEC und FAC (Doxorubicin statt Epirubicin) stehen als Beispiele für weitere Auswahlmöglichkeiten mit Wirkstoffkombinationen. Einige große Studien wie etwa SUCCESS oder GAIN laufen noch oder wurden gerade erst angefangen. Häufig ist der Gebrauch von Anthracyclinen mit Schäden am Knochenmark und kardialen Risiken verbunden, auf Patienten mit Herzproblemen muss der Arzt dabei besonders aufpassen.
Nicht zuletzt spielen auch die Wünsche der Patienten eine Rolle: Möglichst schonend oder doch lieber sehr aggressiv? Tests, die vom Genom des Tumors auf die Prognose der weiteren Entwicklung schließen lassen, sollen Arzt und Brustkrebspatientin die Entscheidung leichter machen. Beispiele dafür sind „Oncotype DX“, „MammaPrint“, „EndoPredict“ oder PAM50 (DocCheck berichtete). Alle davon sind klinisch getestet und zum Teil auch von der FDA zugelassen. Die Tests finden sich auch in den aktuellen Empfehlungen der AGO. Das „+“ bei der Empfehlung für Oncotype und EndoPredict gilt aber nur für ausgewählte Patientinnen, bei denen die anderen Kriterien keine eindeutige Entscheidung zulassen. Auch der Algorithmus Adjuvant! Online soll durch Eingabe aller bekannten Daten über den Tumor eine Entscheidung über den Sinn einer endokrinen Therapie und/oder Chemotherapie geben. Bei den Erstattungen für die Tests sind die Kassen jedoch sehr zurückhaltend und bezahlen den Test nur in Einzelfällen, auch wenn dieses Vorgehen von vielen Seiten heftig kritisiert wird (DocCheck berichtete).
Immer noch schwer tun sich Tests damit, die Wirkung einer bestimmten Kombination von Anti-Tumor-Agentien vorauszusagen. Schon seit einigen Jahrzehnten sollen Tumorzellen aus der Biopsie in der Zellkultur (ex vivo-Chemosensitivitäts-Tests) Hinweise darüber liefern, welche Resistenzen der Arzt bei der Therapie befürchten muss. Bisher haben sich aber Tests mit einer Einzelzellkultur wie beispielsweise der „Sartori-Test“ noch nicht wirklich in der Praxis durchgesetzt. Bei einer Sensitivität von 80 bis 90 Prozent und einer Resistenzvorhersage mit über 90 Prozent Sicherheit nach acht bis zehn Tagen liefern sie jedoch gute Informationen. Aber das Modell einzelner Tumorzellen in der Mikrotiterplatte berücksichtigt nicht das Zusammenspiel von Krebszelle und Fibroblast bei soliden Tumoren. Ebenso fallen Prozesse unter den Tisch, die bei der Attacke des Immunsystems gegen die entarteten Zellen des eigenen Körpers ablaufen. Ob und wie ein solches Wechselspiel die Wirkung einer Chemotherapie oder die Resistenz gegen andere Therapeutika beeinflusst, ist bisher kaum bekannt.
Neuere Modelle bauen daher auf ein dreidimensionales Tumormodell. Aus der Biopsie formen die Wissenschaftler von „Rational Therapeutics“ in den USA oder „Spherotec“ aus Martinsried bei München sogenannte „Sphäroide“ mit einem Durchmesser von 100-500 Mikrometern, die die Umgebung des Tumors mit abbilden. Im Gegensatz zum zweidimensionalen Modell modellieren diese Zellaggregate auch das Mikromilieu mit unterschiedlichen pH- und Sauerstoffkonzentrationen im Tumor sowie die morphologischen Charakteristika des Karzinoms. Das Biomarker-Profil dieser Zellen erlaubt eine Vorauswahl möglicher Optionen der Chemotherapie, ebenso wie den Test neuartiger Wirkstoffe. Während das US-Modell schon auf dem Markt etabliert ist, haben die deutschen Entwickler gerade eine deutsche Multi-Center-Studie abgeschlossen und zur Veröffentlichung eingereicht. Die angeblich vielversprechenden Ergebnisse sollen dann in den nächsten Wochen bekannt werden.
Zwar keine Voraussage über die Wirkung beabsichtigter Therapien, aber immerhin eine sehr zeitige Information darüber, dass die Therapie versagt hat, geben Tests auf „Circulating Tumor Cells“ (CTC). „CellSearch“ aus den USA nützt in Deutschland zurzeit vor allem Patienten mit metastasierendem Mammakarzinom und hat inzwischen auch seinen Weg in die AGO-Leitlinien gefunden. Auch im Rahmen der SUCCESS-C-Studie und einer gerade neu anlaufenden prospektiven Studie (TREAT) sollen die Möglichkeiten eines solchen Prognosetools untersucht werden. Mehr als fünf Tumorzellen pro 7,5 ml Blut signalisieren demnach „Alarm“ und deuten darauf hin, dass sich der Tumor weiter ausbreitet. Ganz neu ist ein Test, der nicht die Zellen selber, sondern deren DNA sucht und begutachtet. So ist zirkulierende Tumor-DNA auch ohne korrespondierende zirkulierende Zellen nachzuweisen. Eine ganz aktuelle Studie beim Kolonkarzinom demonstrierte eine hohe Empfindlichkeit und Sicherheit solcher Analysen.
Wie tückisch Tests bei Tumorzellen sein können, zeigt ein Beispiel aus Kanada. In Neufundland und Labrador wurden Biopsien bei Mammakarzinomen zwischen 1997 und 2005 nach dem ersten Befund bezüglich des Hormonrezeptorstatus noch einmal in einem Fachlabor nachuntersucht. Fast 40 Prozent der ursprünglich 1088 negativen Ergebnisse mussten danach zu „positiv“ korrigiert werden, ein Vorfall der nicht nur Folgen für die Frauen hatte, die dann ganz anders behandelt worden wären, sondern der auch für reichlich Verunsicherung bei Ärzten und ihren Patientinnen sorgte. Pharmafirmen betreiben die Forschung nach neuen Wirkstoffen mit viel Einsatz. Dagegen scheinen Entscheidungshilfen für oder gegen den Einsatz solcher – meist sehr teuren – Mittel noch nicht richtig etabliert, wie auch Daniel Hayes von der Universität Michigan in einem Kommentar in „Science Translational Medicine“ im Sommer vergangenen Jahres konstatiert. Dabei würden verlässliche Werkzeuge zum Test von Tumor und Therapie wohl nicht nur Kosten, sondern den betroffenen Frauen wohl auch viele Schmerzen und zuweilen auch Verzweiflung ersparen. * Name von der Redaktion geändert