Bei erhöhtem Cholesterinspiegel kommen oft Statine zum Einsatz – so weit, so bekannt. Aber kann der Lipidsenker Simvastatin auch bei Depression helfen? Spoiler: Es ist kompliziert.
Was auf den ersten Blick nach einer gewagten Off-Label-Idee klingt, hat durchaus Substanz: Seit Jahren wird diskutiert, ob Statine – insbesondere Simvastatin – nicht nur Cholesterin senken, sondern auch auf die Psyche wirken könnten. Erste kleine Studien machten Hoffnung, tierexperimentelle Daten sowieso – und wer weiß, vielleicht ließe sich mit einem bewährten Wirkstoff gleich doppelt punkten? Aber was ist an der Hypothese dran? Ein deutsches Forschungsteam hat jetzt genauer hingeschaut – in einer großen, placebokontrollierten Studie mit Patienten, die an Adipositas und Major Depression litten. Ob Simvastatin dabei wirklich mehr bewirken konnte als nur bessere Lipidwerte?
Der Gedanke, Simvastatin bei Depression einzusetzen, ist nicht ganz neu. Die Hoffnung nährte sich aus einer Vielzahl präklinischer und kleinerer klinischer Studien: Dort wurden dem Cholesterinsenker neben seiner bekannten lipidsenkenden Wirkung auch entzündungshemmende und neuroprotektive Eigenschaften zugeschrieben. Vorläuferstudien (hier und hier) zeigten vor allem bei milder bis moderater Depression und in Tiermodellen positive Effekte – etwa über die Hemmung des NLRP3-Inflammasoms oder eine NMDA-Rezeptormodulation. Die Pathophysiologie depressiver Störungen steht unter anderem mit neuroinflammatorischen Prozessen, Dysregulationen im Monoaminhaushalt und neuroendokrinen Veränderungen in Verbindung. So lag die Hypothese nahe, dass ein Wirkstoff wie Simvastatin hier therapeutisch nützlich sein könnte.
Mehrere randomisierte Studien untersuchten daher die Anwendung von Simvastatin als Zusatzbehandlung zu etablierten Antidepressiva. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2016 kam zu dem Ergebnis, dass Statine – insbesondere als Add-on-Therapie – zu einer signifikanten Besserung depressiver Symptome führen könnten. Ein systematischer Überblick aus dem Jahr 2021 bestätigte einen moderaten Effekt (SMD ≈ -0,47), insbesondere bei lipophilen Statinen wie Simvastatin. Trotzdem ist die Datenlage insgesamt heterogen, denn einige Analysen fanden gar keinen Effekt.
Die positiven Effekte zeigten sich vor allem bei leichter bis mittelschwerer Depression und meist nur in kleinen Studien. Für schwer therapierbare Depression oder komplexe komorbide Krankheitsbilder blieb die Datenlage weiterhin schwach. Eine groß angelegte randomisierte Studie fand beispielsweise keinen Nutzen für Simvastatin bei therapieresistenter Depression.
Einen entscheidenden Schritt weiter ging nun ein deutsches Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Christian Otte von der Charité Berlin. Im Gegensatz zu früheren, teils kleinen oder methodisch eingeschränkten Studien legte diese Untersuchung erstmals eine groß angelegte, placebokontrollierte, doppelblinde Multicenter-Studie vor – und damit den methodischen Goldstandard. Sie untersuchte gezielt eine klinisch hochrelevante Patientengruppe mit komorbider Major Depression und Adipositas (BMI ≥ 30). Dabei kombinierte die Studie eine standardisierte Antidepressiva-Therapie (Escitalopram 20 mg) mit einer festen Dosierung von Simvastatin (40 mg) oder Placebo über einen Zeitraum von 12 Wochen. Ziel war es, den potenziellen Zusatznutzen des Cholesterinsenkers auf depressive Symptome unter realistischen Behandlungsbedingungen objektiv zu prüfen. 160 Patienten nahmen daran teil. Der primäre Endpunkt war die Veränderung des MADRS-Scores (Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale) nach 12 Wochen. Sekundäre Endpunkte umfassten unter anderem subjektive Befindlichkeit (BDI-II), Lebensqualität, soziale Funktionsfähigkeit und biochemische Parameter.
Das Ergebnis: Simvastatin zeigte keinen signifikanten Zusatznutzen gegenüber Placebo in Bezug auf die depressive Symptomatik. Beide Gruppen profitierten in vergleichbarem Maß von der Escitalopram-Therapie. Auch in den sekundären Parametern fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Zwar führte Simvastatin erwartungsgemäß zu einer Reduktion von LDL- und Gesamtcholesterin sowie des Entzündungsmarkers CRP – doch dies hatte keinen messbaren Einfluss auf die psychischen Symptome der Patienten.
Die Studie zeigt damit klar: Simvastatin besitzt in der untersuchten Dosierung und Therapiedauer keinen antidepressiven Zusatznutzen bei Patienten mit komorbider Depression und Adipositas. Frühere positive Ergebnisse aus kleineren, methodisch limitierten Studien konnten nicht repliziert werden. Die gut dokumentierten kardiovaskulären Effekte bleiben davon unberührt: Sie rechtfertigen eine Verordnung im Sinne der kardiovaskulären Prävention – insbesondere bei psychiatrischen Patienten, die hier oft unterversorgt sind.
Ein möglicher Grund für die Diskrepanz zu früheren Studien: Diese untersuchten oft Patienten mit leichteren Symptomen oder ohne komorbide Erkrankungen. Die neue Studie wählte eine realitätsnahe, aber auch komplexe Patientengruppe – mit Adipositas und mittelschwerer bis schwerer Depression. Der „entscheidende Schritt weiter“ liegt damit genau hier: in der hohen externen Validität und methodischen Strenge – und somit der Übertragbarkeit auf die klinische Praxis.
Die Entscheidung, gerade diese Patientengruppe zu untersuchen, ist keineswegs zufällig. Denn Depression und Adipositas treten überdurchschnittlich häufig gemeinsam auf – und das in einer bi-direktionalen Wechselwirkung: So ist das Risiko für eine Depression bei adipösen Menschen um etwa 37–58 % erhöht, während Depressive wiederum ein um 37–70 % erhöhtes Risiko für Adipositas haben. Auf biologischer Ebene sind chronische Entzündungsprozesse, hormonelle Veränderungen, Veränderungen der HPA-Achse und neuroendokrine Dysbalancen mögliche gemeinsame Nenner. Auf psychologischer Ebene spielen Stigmatisierung, soziale Isolation, verändertes Essverhalten und Inaktivität eine Rolle – insbesondere bei atypischer Depression mit gesteigertem Appetit.
Das Wissen um diese enge Verbindung hat therapeutische Konsequenzen: Es unterstreicht die Notwendigkeit, beide Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls interdisziplinär zu behandeln. Die Hoffnung, einen Wirkstoff wie Simvastatin gleich doppelt wirksam einsetzen zu können, ist damit zwar enttäuscht worden – doch liefert die neue Studie wertvolle Impulse für die differenzierte Betrachtung zukünftiger Therapieansätze.
Simvastatin besitzt viele nützliche pharmakologische Eigenschaften – doch eine antidepressive Wirkung bei Patienten mit komorbider Adipositas ließ sich in der aktuellen Studie nicht nachweisen. Simvastatin ist entzündungshemmend und wirkt sich günstig auf metabolische Parameter aus – doch ein routinemäßiger Einsatz zur Depressionsbehandlung ist derzeit nicht zu rechtfertigen. Künftige Studien sollten längere Therapiedauern und gezielte Subgruppen untersuchen – etwa mit Blick auf die Frage, ob und welche Patientenprofile von einer Zusatzbehandlung profitieren könnten. Bis dahin bleibt Simvastatin ein wichtiges Medikament zur Senkung kardiovaskulärer Risiken – nicht aber ein Antidepressivum.
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