Viele Patienten mit Reizdarmsyndrom erhoffen sich von Probiotika Linderung, manche sogar Heilung. Aber wie viel können sie wirklich? Was ihr Patienten empfehlen könnt – und wo es mehr Forschung braucht.
Für Eilige gibt es am Ende des Artikels eine Zusammenfassung der Empfehlungen für die Praxis.
Probiotika gelten als vielversprechender Ansatz bei Patienten mit dem Reizdarmsyndrom. Besonders in den vergangenen zehn Jahren hat das Interesse daran deutlich zugenommen – nicht zuletzt, weil immer mehr Forscher die Rolle des Mikrobioms bei der Entstehung und Behandlung der Erkrankung untersuchen. Die Zahl an Papers geht steil nach oben, mit einem Maximum von knapp 6.400 im Jahr 2022:
Quelle: PubMed
Zwei neuere Reviews bzw. Metaanalysen zeigen jedoch, wie schwierig es weiterhin ist, Patienten eine klare Empfehlung zu geben.
Für ihr Review mit Metaanalyse sichteten Vivek C. Goodoory und Kollegen die Literatur bis März 2023. Berücksichtigt wurden ausschließlich randomisierte, kontrollierte Studien, in denen Erwachsene mit Reizdarmsyndrom entweder Probiotika oder Placebo erhielten. Insgesamt erfüllten 82 Studien mit mehr als 10.000 Patienten die Kriterien. Ihre Ergebnisse zeigen: Einzelne Bakterienstämme könnten tatsächlich positive Effekte haben – doch die Beweislage bleibt dürftig. So fanden sich moderate Hinweise, dass bestimmte Escherichia-Stämme die Gesamtsymptomatik lindern können. Für Lactobacillus-Stämme und insbesondere Lactobacillus plantarum 299V war die Evidenz noch schwächer, für Kombinationen verschiedener Präparate sogar sehr gering.
Bei Bauchschmerzen deuteten die Daten auf einen möglichen Nutzen von Saccharomyces cerevisiae I-3856 und von einzelnen Bifidobacterium-Stämmen hin, allerdings mit niedriger Evidenz. Für Blähungen war die Datenlage besonders schlecht – hier ließ sich kein verlässlicher Effekt nachweisen. Immerhin: In Bezug auf die Sicherheit geben die Daten Entwarnung: In 55 Studien mit mehr als 7.000 Teilnehmern zeigte sich kein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen durch Probiotika im Vergleich zu Placebo.
Zu ähnlich durchwachsenen Resultaten kam eine Review und Metaanalyse unter Federführung von Georgios Konstantis aus Griechenland. Sein Team durchforstete die gängigen medizinischen Datenbanken und sichtete alle Publikationen bis Januar 2023. Die Forscher suchten nur randomisierte, kontrollierte Studien, in denen Erwachsene mit Reizdarmsyndrom anhand der Rom-IV-Kriterien eingeschlossen worden waren. Insgesamt erfüllten sechs doppelblinde, placebokontrollierte Studien mit 970 Probanden die Anforderungen. Analysiert wurden neun verschiedene Probiotika-Stämme.
Einen klaren Rückgang der Gesamtsymptomatik, gemessen anhand des IBS Severity Scoring Systems (IBS-SSS), konnten die Autoren nicht feststellen. Auch die Lebensqualität verbesserte sich durch die Einnahme von Probiotika nicht. Anders sah es jedoch bei einzelnen Beschwerden aus: Bauchschmerzen gingen signifikant zurück, ebenso Blähungen. Zu schweren Nebenwirkungen kam es nicht.
Die Auswertung zeigte eine hohe Heterogenität der Studien – sprich: Die Ergebnisse variierten stark, unter anderem weil unterschiedliche Probiotika-Stämme und Methodiken zum Einsatz kamen. Als Resümee, so die Forscher, können Probiotika Schmerzen und Blähungen beim Reizdarmsyndrom lindern, doch ein Durchbruch in der Behandlung sei noch nicht erreicht worden.
Die Autoren beider Arbeiten weisen in ihren Diskussionen auf mehrere Probleme hin, beginnend bei einer kaum noch überblickbaren Vielzahl an Präparaten und Stämmen. Auch die Studienlage ist äußerst heterogen: Während manche Untersuchungen einzelne Bakterienstämme in den Fokus rücken, prüfen andere komplexe Mischungen aus mehreren Organismen.
Ein weiteres Problem: Viele der bislang durchgeführten Studien sind methodisch kaum belastbar. Oft handelt es sich um kleine Patientenkollektive, Anwendungsbeobachtungen ohne Placebo-Kontrolle oder Studien, die nur an einem einzigen Zentrum durchgeführt wurden. Interessenkonflikte durch Hersteller-finanzierte Studien machen die Sache nicht besser. Entsprechend vorsichtig fallen die Schlussfolgerungen aus systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen aus: Die Autoren weisen zwar auf mögliche Effekte hin, fordern aber größere und vor allem methodisch bessere Studien.
Immerhin zeigen die Arbeiten, dass immunkompetente Patienten Probiotika meist gut vertragen. Signifikante Unterschiede hinsichtlich des Verum- und des Placebo-Arms gab es in den eingeschlossenen Studien nicht. Möglich sind schwere Komplikationen dennoch. In der Literatur wird etwa von einer Fungämie durch Saccharomyces boulardii bei Intensivpatienten mit parenteraler Ernährug bzw. Immunsuppression berichtet. Außerdem haben Ärzte eine Lactobacillus-Bakteriämie/Sepsis dokumentiert. Sie kann bei stark Immunsupprimierten, bei Frühgeborenen, bei Patienten mit schweren Grunderkrankungen bzw. bei Patienten mit zentralem Venenkatheter auftreten.
Patienten mit Probiotika-Wunsch: Tipps für die Beratung
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