Ein neuer Skandal erschüttert den Arzneimittelmarkt: Mehrfach sind gefälschte Parenteralia in die legale Lieferkette gelangt. Das ließe sich durch technische Sicherheitsstrategien vermeiden. Allerdings wird das ambitionierte System securPharm kaum vor 2017 flächendeckend zur Verfügung stehen.
Wieder einmal haben es Kriminelle auf den veritablen Arzneimittelmarkt abgesehen. Nach aktuellem Ermittlungsstand gelang es Betrügern, in italienischen Kliniken größere Mengen verschiedener Parenteralia zu erbeuten. Dazu gehört laut Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der Europäischen Arzneimittelagentur EMA vor allem das Krebsmedikament Herceptin® (Trastuzumab), aber auch das Zytostatikum Alimta® (Pemetrexed), das Hormon Humatrope® (Somatropin) und der monoklonale Antikörper Remicade® (Infliximab). Gauner stahlen gebrauchte Durchstechflaschen, um sie nachher zu manipulieren. Die Präparate kamen anschließend über Großhändler und Parallelvertreiber in den Handel, nicht jedoch über Originalhersteller. Eine Firma hatte Alarm geschlagen.
Zwar seien laut BfArM noch keine Fälschungen in Apotheken, Arztpraxen oder Kliniken entdeckt worden. Experten fordern alle Betroffenen aber zur erhöhten Wachsamkeit auf. „Falls ein Patient das Medikament Herceptin® wider Erwarten zuhause hat, sollte er es nur nach Rücksprache mit einem Arzt oder Apotheker anwenden“, so Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer. „Der Fachmann kann prüfen, ob die jeweilige Packung bzw. Charge wegen Fälschungsverdachts behördlich zurückgerufen wurde.“ Mögliche Anhaltspunkte sind Manipulationen am Gummistöpsel, an der Bördelkappe oder am Deckel. Auch stimmen Chargennummer und Verfallsdatum auf der Flasche teilweise nicht mit Daten auf der äußeren Verpackung überein. Italienische Etiketten wurden mitunter wenig professionell überklebt. Und nicht zuletzt fiel auf, dass der Inhalt einiger Herceptin®-Fläschchen flüssig war. Normalerweise sollten die Gefäße ein weißes Pulver enthalten.
Nicht nur teure Medikamente stehen auf der Agenda von Betrügern, sondern auch preisgünstige Pharmaka wie Omeprazol. Seit Ende März müssen sich zwei Brüder aus Hamburg deshalb vor Gericht verantworten. Laut Anklage der Stuttgarter Staatsanwaltschaft hatten sie jahrelang entsprechende Kapseln in Spanien produzieren lassen. Hier zu Lande ergänzten sie Verfallsdaten und Chargennummern des Originalherstellers – nach aktuellen Erkenntnissen bei mehr als 600.000 Packungen. Über einen Zwischenhändler gelangten Plagiate in den pharmazeutischen Großhandel. Das kriminelle Duo machte vor allem durch große Stückzahlen einen satten Gewinn. Die Staatsanwaltschaft geht von 15 Millionen Euro aus. Beim Wirkstoff selbst gab es keine Beanstandungen – anders als bei den jetzt entdeckten Parenteralia.
Nach dem aktuellen Skandal um gefälschtes Herceptin® und andere Pharmaka haben betroffene EU-Länder umgehend reagiert. Hier reicht das Spektrum von Rückrufaktionen betroffener Chargen bis hin zu Einschränkungen bei Parallelimporten. Dieser Aktionismus greift immer nur in der akuten Notlage. Einige Monate später sind schon wieder Fälschungen in der legalen Vertriebskette, nur eben bei anderen Medikamenten. Auch in Deutschland führt der Skandal zu neuerlichen Diskussionen. „Dieser Fall macht deutlich, dass wir gut daran tun, schnellstmöglich den Schutz der legalen Vertriebswege für Arzneimittel EU-weit, aber auch in Deutschland, noch weiter zu erhöhen und so an die zunehmenden Herausforderungen anzupassen“, erklärt securPharm-Geschäftsführer Martin Bergen. „Fälscher werden immer dreister und deshalb ist es extrem wichtig, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Patienten maximale Sicherheit zu gewährleisten.“
Genau hier spielt securPharm seine Stärken aus. Das System setzt auf zweidimensionale Data-Matrix-Codes, um aus jedem Gebinde ein Unikat zu machen. Über eine Datenbank lässt sich der Weg jeder Packung von der Produktion bis zum Abverkauf nachvollziehen. Bis zur Umsetzung der neuen Sicherheitskonzepte vergeht aber noch viel wertvolle Zeit. Zwar haben Regierungsvertreter die europäische Richtlinie 2010/84/EU bereits 2012 mit der 16. AMG-Novelle in deutsches Recht umgesetzt. Genaue Ausführungsbestimmungen sind voraussichtlich in diesem Jahr zu erwarten. Wie Hersteller beispielsweise Sicherungsverschlüsse von Verpackungen umzusetzen haben, muss durch eine europäische Norm bis Ende 2014 geklärt werden. Das betrifft auf die Frage, für welche Arzneimittel besondere Regelungen gelten. Eine „white list“ umfasst verschreibungspflichtige Präparate mit Ausnahmegenehmigung, während auf der „black list“ OTC-Medikamente stehen, die über securPharm gesichert werden sollen. Angesichts der vielfältigen Fälschungsaktivitäten sind Lockerungen mit äußerster Vorsicht zu genießen, Stichwort Omeprazol. Drei Jahre später, also 2017, geht securPharm flächendeckend an den Start. Bis dahin haben Fälscher noch Zeit, Lücken im Sicherheitsnetz gewinnbringend auszunutzen. Aber securPharm ist auch nicht perfekt. Fällt in einer Apotheke beispielsweise der Internetzugang aus, lässt sich die Datenbank zum Abgleich nicht ansteuern.Wie sollen Apotheker in dieser Situation - beispielsweise während des Nacht- und Notdienstes - reagieren? Und falls Betrüger Barcodes von Originalverpackungen kopieren, erkennt das System auch erst im Nachgang, dass krumme Dinge gedreht wurden. Beide Szenarien sind zwar unwahrscheinlich, aber denkbar.