Fiebert das Kind, sind die Eltern alarmiert und versuchen reflexhaft, das Fieber zu senken. Mit diesem Missverständnis räumt jetzt eine neue Leitlinie auf – und singt ein regelrechtes Loblied auf das Fieber.
Im Song „Fever“ besingt Elvis Presley die verzehrende Kraft der Liebe. Der Schlusssatz „Was für eine wunderbare Art, zu brennen“ ist nicht nur psychologisch, sondern auch physiologisch korrekt: Denn Fieber ist keine Krankheit, sondern ein evolutionär uralter Trick, das Immunsystem im Kampf gegen Keime zu unterstützen. Fieber primär als Freund und nicht als Feind zu betrachten, ist auch die Kernbotschaft der soeben erschienenen S3-Leitlinie „Fiebermanagement bei Kindern und Jugendlichen – Versorgung von akut auftretendem Fieber bei ansonsten gesunden Kindern und Jugendlichen im ambulanten Setting“ unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
Weil Eltern laut Umfragen „häufig auf Fieber mit Unsicherheit, Angst und Sorge reagieren“, wie die Autoren konstatieren, ist parallel zur medizinischen Version eine 11-seitige Patientenleitlinie erschienen, die dringend in jeder Hausarzt- und Kinderarztpraxis ausliegen sollte. Sie nimmt Eltern die Sorgen, indem sie schreibt: „Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage, die besagt, dass Fieber bei zuvor gesunden Kindern und Jugendlichen schädigend ist.“ Eltern sollten also gute Nerven haben und dem natürlichen Gang der Dinge vertrauen, statt aktivistisch zu intervenieren. Ein Schaubild zeigt die Fieberphasen und führt eine Liste mit Alarmzeichen auf, bei denen ein Arzt aufgesucht werden soll.
Red Flags sind unter anderem getrübtes Bewusstsein, Empfindlichkeit bei Berührung, starke Schmerzen, schrilles Schreien, nicht-wegdrückbarer Hautausschlag, Austrocknung, sehr schnelles Atmen oder sehr blasse, graue oder blaue Haut. Auch sollte das Fieber nicht länger als drei Tage andauern. Zur Messung des Fiebers ist über alle Altersstufen hinweg der Po der beste Ort. Sind die Kinder älter als ein Jahr, misst ein Infrarotthermometer im Ohr die Temperatur ausreichend genau, eventuell kann auch das Stirn- und Schläfenthermometer genutzt werden. Recht fehleranfällig ist das Messen unter der Zunge und ganz verabschieden soll man sich vom Messen unter der Achsel.
Im Grund ist die exakte Fiebermessung gar nicht so wichtig, weil es keine Obergrenze gibt, ab der Fieber gefährlich werden kann. So verwenden die Autoren auch den Begriff Hyperpyrexie bewusst nicht. Die Empfehlung zur Fiebersenkung lautet: „Fieber bei einer Infektion ist normalerweise selbstlimitierend. Bei zuvor gesunden fiebernden Kindern und Jugendlichen gibt es keine Indikation, das Fieber aufgrund der Höhe der Temperatur zu senken.“ Eine Ausnahme sind Babys unter drei Monaten, bei denen Temperaturen über 38 Grad auf eine schwere bakterielle Infektion hindeuten können.
Etwas irreführend ist es deshalb, Ibuprofen und Paracetamol als „fiebersenkende Mittel“ zu bezeichnen, denn nicht das Senken des Fiebers ist Ziel der Einnahme, sondern das allgemeine Wohlbefinden des Kindes. Das bedeutet: Geht es den Kindern den Umständen entsprechend gut, soll man auf die Mittel ganz verzichten. Man soll das Kind auch weder kühlen noch aufheizen, mit dem Ziel, das Fieber zu beeinflussen, sondern nur, um es dem Kind angenehm zu machen.
Neben Trinken und Schlafen (nicht zum Fiebermessen wecken!) ist eine liebevolle Zuwendung für das Kind wichtig – und ganz ohne Nebenwirkungen zu haben. Die haben Ibuprofen und Paracetamol nämlich durchaus. Schwere Nebenwirkungen sind zwar selten, aber bei der häufigen Gabe der Mittel kommen doch hohe absolute Zahlen zustande. So sterben in den USA jährlich etwa 100 Menschen an Überdosierungen. Zu Acetylsalizylsäure geben die Autoren keine Empfehlung ab, merken aber an, dass der Zusammenhang mit dem gefürchteten Reye-Syndrom wissenschaftlich nicht mehr haltbar ist. Forschungsbedarf sehen die Autoren in der Frage, ob Fieber nicht sogar unterstützt werden sollte – Mäuse-Studien favorisieren diese thermosupportive Strategie. Ist das Fieber vorbei, sollen die Kinder noch einen Tag zu Hause bleiben. Darin sind sich die Autoren völlig einig, auch ganz ohne Evidenz.Die Leitlinie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
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