Zwei zentrale Endpunkte zur Wirksamkeit, die in nahezu allen onkologischen Studien erhoben werden, sind das Gesamtüberleben (Overall Survival, OS) und das progressionsfreie Überleben (Progression-Free Survival, PFS).
Das OS wird seit geraumer Zeit als anerkannter "harter" und patientenrelevanter Endpunkt betrachtet und gilt nach wie vor als Goldstandard für die Bewertung onkologischer Studien.1,2 In der Realität onkologischer und hämatologischer klinischer Studien gestaltet sich die Implementierung des OS jedoch teilweise herausfordernd. Dank neuer, hochwirksamer Medikamente verlängern sich die Überlebenszeiten von Patienten* und dementsprechend auch die erforderlichen Beobachtungszeiten immer mehr.3
Deshalb wurden bei einem Großteil der seit 2009 in Europa zugelassenen Medikamente in Abstimmung mit der European Medicines Agency (EMA) Surrogatendpunkte wie das PFS als primärer Endpunkt in Zulassungsstudien genutzt.4-6
Das PFS ist die Zeitspanne zwischen Randomisierung und Krankheitsprogression oder Tod, je nachdem, was zuerst eintritt. Ein wesentlicher Vorteil des PFS besteht darin, dass es nicht durch die Wirkung nachfolgender Therapien beeinflusst wird. Zudem erfordert es in der Regel eine geringere Anzahl von Patienten und Ereignissen, um statistisch belastbare Ergebnisse zu erzielen. Dies ist ein bedeutender Vorteil bei seltenen onkologischen Erkrankungen, bei denen sich die Rekrutierung geeigneter Patienten oft schwierig und langwierig gestaltet. Darüber hinaus kann die Wahl des PFS als primärer Endpunkt einen wichtigen Beitrag leisten, die Dauer klinischer Studien zu begrenzen, wodurch potenziell die Zulassung neuer Therapien beschleunigt wird und Patienten letztendlich einen schnelleren Zugang zu neuen erfolgversprechenden Therapien erhalten.5
Da eine Krankheitsprogression meist durch bildgebende Verfahren oder Laborparameter dokumentiert wird und für Patienten nicht unmittelbar spürbar sein kann, wird das PFS als Surrogatendpunkt eingestuft. Surrogate gelten generell als valide, wenn sie nachweislich prädiktiv für einen klinisch-relevanten Sachverhalt sind.7,8
Im onkologischen Kontext wird das PFS daher häufig als Surrogat für das OS verwendet, insbesondere dann, wenn ein direkter Nachweis des Überlebensvorteils aus methodischen oder praktischen Gründen schwierig ist. Eine formale Validierung des PFS als Surrogat im Rahmen onkologischer Studien kann im Einzelfall jedoch herausfordernd sein. Sind Fallzahlen und Beobachtungszeiträume primär auf die Berechnung des Endpunkts PFS ausgerichtet, so fehlt möglicherweise die statistische Belastbarkeit, um auch für das OS signifikante Effekte nachzuweisen und damit die Korrelation zwischen beiden Endpunkten zu belegen.9
Das PFS konnte als Surrogatparameter für OS in einzelnen onkologischen Indikationen bereits validiert werden. In einem systematischen Review von 31 Studien (10.450 Patienten) zum rezidivierten oder refraktären Multiplen Myelom (RRMM) konnte 2024 eine starke Korrelation von PFS mit OS nachgewiesen werden.10 Die Auswertung ergab, dass jeder Anstieg des medianen PFS (mPFS) um einen Monat mit einem Anstieg des medianen OS (mOS) um 1,72 Monate verbunden war. Diese Korrelation blieb auch über verschiedene Behandlungsregime hinweg konsistent. Die Autoren schlussfolgerten daraus, dass beim RRMM das PFS als robuster Surrogatendpunkt für das OS angesehen werden kann und seine Verwendung in klinischen Studien sowie bei regulatorischen Entscheidungen unterstützt werden sollte, insbesondere dann, wenn OS-Daten noch nicht ausgereift oder durch nachfolgende Therapien verzerrt sind.10
Zusätzlich zum PFS wird in onkologischen Studien zunehmend auch das sogenannte PFS2 erfasst. Dieser Endpunkt beschreibt die Zeitspanne zwischen Randomisierung und dem Fortschreiten der Erkrankung unter der ersten Nachfolgetherapie oder dem Tod, unabhängig von der Ursache. Studien über verschiedene Tumorentitäten hinweg zeigen, dass PFS2 häufig eine bessere Korrelation mit dem Gesamtüberleben aufweist als das herkömmliche PFS. Damit kann es einen aussagekräftigen Hinweis auf den langfristigen klinischen Nutzen einer Therapie liefern, insbesondere in Indikationen mit vielen potenziellen Folgetherapien. Auch wenn die Erhebung von PFS2 mit einem moderat höheren Aufwand verbunden ist, liefert es frühzeitig relevante Zusatzinformationen, die sowohl in der klinischen Beurteilung als auch für regulatorische Entscheidungen zunehmend an Bedeutung gewinnen.11,12
Der Stellenwert des PFS in der Bewertung onkologischer Studien wird weiterhin kontrovers diskutiert, besonders im Kontext von Nutzen- und Kostenbewertungen im Gesundheitswesen.8 In klinischen Kreisen etabliert sich jedoch zunehmend die Ansicht, dass die Relevanz des PFS vor allem von Art und Stadium der onkologischen Erkrankung abhängt. Besonders relevant ist dieser Endpunkt, wenn eine kurative Therapie nicht mehr möglich ist. Auf dieser Grundlage haben sowohl die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA als auch die EMA das PFS bereits vielfach als validen Wirksamkeitsnachweis anerkannt.4,5 Auch in der wissenschaftlichen Fachwelt findet das PFS zunehmend Akzeptanz: In einer Delphi-Studie stuften 56 % der befragten Expertinnen und Experten das PFS als geeigneten Endpunkt zur Bewertung onkologischer Studien ein.13 Da das PFS mithilfe objektiver Verfahren wie Bildgebung und Laborparametern erhoben wird, kann es die Wirkung der Therapie auf den Tumor zuverlässig abbilden und eine recht exakte Prognose zur Krankheitsentwicklung ermöglichen.5
Aus Patientensicht bedeutet eine möglichst lange Zeitspanne ohne Krankheitsprogression, verbunden mit guter Lebensqualität und möglichst geringen therapiebedingten Nebenwirkungen, einen unmittelbaren Vorteil. Ein verlängertes PFS bei gleichbleibender Gesamtüberlebenszeit kann zudem dazu führen, dass belastende weitere Therapielinien hinausgezögert oder ganz vermieden werden. Dies reduziert nicht nur die körperliche und psychische Belastung, sondern auch den Bedarf an zusätzlichen medizinischen Interventionen. Darüber hinaus schafft ein stabiles PFS mehr Planbarkeit im Alltag und gibt den Betroffenen sowie ihren Angehörigen ein höheres Maß an Sicherheit.6,14–16
Für die umfassende Bewertung onkologischer Therapien spielt neben PFS und OS auch das Sicherheitsprofil eine zentrale Rolle. Eine längere progressionsfreie Zeit verliert an Wert, wenn sie mit erheblicher therapiebedingter Toxizität einhergeht und sich das Gesamtüberleben nur gering verlängert.5,16 Umgekehrt kann eine gute Verträglichkeit bei vergleichbarer Wirksamkeit ein entscheidendes Kriterium für die Entscheidung zwischen mehreren Behandlungsoptionen darstellen. Ergänzend rücken zunehmend auch Patient-Reported Outcomes (PROs) zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQoL) in den Fokus. Werden diese mit validierten Instrumenten erhoben, gelten sie als patientenrelevante Endpunkte. Zeigt sich unter einer Therapie, bei vergleichbarer Wirksamkeit und Sicherheit, im Alltag eine spürbare Entlastung, kann dies einen klaren therapeutischen Nutzen bedeuten.5,13
OS und PFS zählen zu den etablierten Endpunkten bei der Bewertung neuer Therapien in onkologischen Studien. Beide stehen für unmittelbare Therapieziele und bilden in der Praxis zentrale Entscheidungsgrundlagen für Therapieentscheidungen. Ihre Aussagekraft ist jedoch nicht absolut. Sie wird wesentlich vom Erkrankungstyp, vom Krankheitsstadium und von der Studienkonzeption beeinflusst. Daher sollten OS und PFS nie isoliert interpretiert werden, sondern stets im Kontext der jeweiligen klinischen Situation. Ergänzend ist eine Gesamtbetrachtung sinnvoll, die auch sicherheitsrelevante Aspekte, die Verträglichkeit der Therapie sowie patientenbezogene Endpunkte wie die Lebensqualität berücksichtigt.
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Fußnote
* Das in diesem Text gewählte generische Maskulinum bezieht sich ausdrücklich auf alle Geschlechteridentitäten.
Referenzen
Bildquelle: shutterstock.com/Felipe Sanchez
NP-DE-MMU-WCNT-250006 (Aug25)