Nach riskanten Investitionen steckt das Versorgungswerk der Zahnärzte Berlin in einer Finanzkrise. Unabhängig von der Aufarbeitung bleibt die Frage: Welche Zukunft haben Versorgungswerke?
Das Versorgungswerk der Zahnärzte Berlin (VZB), das rund zwei Milliarden Euro für die Altersvorsorge seiner Mitglieder verwaltet, hat erhebliche Schwierigkeiten. Grund dafür sind Investitionen in Start-ups, Unternehmensbeteiligungen und Immobilien – teils ohne ausreichende Sicherheiten. Nach Einschätzung des neuen Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses, Thomas Schieritz, müssen die rund 10.000 Mitglieder in Berlin, Brandenburg und Bremen mit sinkenden Rentenansprüchen und höheren Beiträgen rechnen.
Um gegenzusteuern, hat das VZB eine Neuausrichtung seiner Anlagestrategie angekündigt: Künftig sollen die Gelder breiter gestreut werden, um Risiken besser abzufedern. Mitteilungen zu Rentenanwartschaften werden bis Jahresende ausgesetzt. Zudem prüft die Vertreterversammlung mögliche Schadensersatzansprüche gegen frühere Ausschussmitglieder. Die Staatsanwaltschaft ermittelt ebenfalls.
Bereits 2003 musste das VZB eine Rentenkürzung von 16 Prozent vornehmen. Versorgungswerke sichern in der Regel eine bestimmte Mindestrente zu. Über die Garantie hinaus können die Mitglieder von Kapitalerträgen profitieren.
Rudolf Henke © Jochen RolfesDoch jenseits des aktuellen Krisenfalls stellt sich eine grundlegende Frage: Wie zukunftsfähig sind Versorgungswerke? Einblicke gibt Rudolf Henke. Er ist Vorstand der ABV – Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen.
DocCheck: Herr Henke, anders als bei der gesetzlichen Rentenversicherung gibt es kein Sicherungssystem für Versorgungswerke. Müssen Mitglieder im schlimmsten Fall mit erheblichen Verlusten leben?
Henke: Für die gesetzliche Rentenversicherung gibt es die Bestandsgarantie durch die Bundeszuschüsse und die rückzahlungspflichtige Rentengarantie des Bundes für kurzfristige Einnahmeausfälle.
Da [bei Versorgungswerken] Verluste bei einzelnen Anlageklassen oder Investments normal sind und immer wieder vorkommen, sind sie „eingepreist“. Das bedeutet, dass sie meist durch Gewinne an anderer Stelle (über)kompensiert werden. Gelingt dies in einzelnen Geschäftsjahren nicht, werden die Reserven herangezogen. Anschließend müssen sie dann wieder aufgefüllt werden, was die Möglichkeiten zur Dynamisierung in den Folgejahren einschränken kann.
Senkungen zugesagter Renten hat es in der über 100-jährigen Geschichte der Versorgungswerke noch nicht gegeben. Die Risikovorsorge war immer ausreichend bemessen. Es gibt keinen konkreten Grund, daran zu zweifeln, dass dies auch aktuell und in Zukunft ausreichend ist und sein wird.
DocCheck: Versorgungswerke müssen eine Balance finden zwischen Rendite und Sicherheit. Welche rechtlichen Vorgaben bestehen bei der Kapitalanlage – und wo liegen die Grenzen?
Henke: Aufgrund der föderalen Struktur unterscheiden sich die Vorgaben in den jeweiligen Ländern. In der Regel richtet sich die Kapitalanlage mittelbar nach den Vorgaben des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) in Verbindung mit der ergänzend ergangenen Anlageverordnung (AnlV).
In § 215 Abs. 1 VAG sind in allgemeiner Form die Anforderungen an die Kapitalanlage niedergelegt: „Die Bestände des Sicherungsvermögens nach § 125 sind unter Berücksichtigung der Art der betriebenen Versicherungsgeschäfte sowie der Unternehmensstruktur so anzulegen, dass möglichst große Sicherheit und Rentabilität bei jederzeitiger Liquidität des Versicherungsunternehmens unter Wahrung angemessener Mischung und Streuung erreicht werden.“ In der Anlageverordnung werden diese Anforderungen weiter konkretisiert.
Allerdings gibt es einige Bundesländer, in denen das Landesrecht eine entsprechende Verweisung nicht kennt und in denen auch keine eigenen gesetzlichen Vorgaben erlassen wurden. In Bundesländern, in denen keine landesgesetzlichen Regeln existieren, werden die Vorgaben für die Kapitalanlage von den jeweiligen Versorgungswerken mittels Binnenrecht durch das entsprechende Organ des Versorgungswerks bestimmt.
DocCheck: Manche Ärzte haben den Eindruck, sie könnten kaum Einfluss auf die Anlagestrategie ihres Versorgungswerks nehmen. Stimmt das – oder gibt es doch Mitwirkungsmöglichkeiten?
Henke: Versorgungswerke werden von dem jeweiligen Berufsstand in Selbstverwaltung geführt. Jedes Mitglied besitzt das aktive und passive Wahlrecht zu den Selbstverwaltungsgremien. In diesen nehmen die Mitglieder durchaus Einfluss auf Anlageentscheidungen, etwa im Sinne des Klimaschutzes oder der Good Governance.
DocCheck: Sehen Sie die Zukunft der Versorgungswerke insgesamt gefährdet oder halten Sie das System weiterhin für tragfähig?
Henke: In der über 100-jährigen Geschichte der berufsständischen Versorgung hat nicht einmal im Zusammenbruch von 1945 ein Versorgungswerk die zugesagten Rentenzahlungen nicht leisten können. Es gibt keinen vernünftigen Anlass, an der Leistungskraft dieses Systems zu zweifeln.
DocCheck: Vielen Dank für die Einblicke!
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