Mit Fieber noch weiterarbeiten, sich selbst behandeln und die Meinung des Kollegen anzweifeln: Ärzte sind die schlechteren Patienten. Warum fällt es euch so schwer, die Kontrolle abzugeben?
Ein Artikel von Alexandra Vorik
„Und sonntags operieren wir in der Küche. Dann essen wir aber auswärts, ich muss die Instrumente ja abkochen.“ Was bei Loriot Satire war, hat im Ärztedasein einen wahren Kern: Viele Mediziner greifen lieber selbst zum Rezeptblock, als den Arztkittel gegen die Patientenrolle zu tauschen. Antibiotika-Therapien werden nach Bauchgefühl begonnen, Dosierungen nach Gusto angepasst.
Dabei sollte man meinen, Ärzte seien die Traum-Patienten: Sie verstehen Diagnosen, wissen, was eine Therapie leisten kann – und was nicht – und kennen die Tücken eines Medikationsplans. Die Realität? Oft das Gegenteil. Wer selbst im Gesundheitswesen arbeitet, kann beim Kranksein zu einem Albtraum in Weiß werden.
Während meiner Studienzeit gab ich ausländischen Kollegen Nachhilfe in deutscher Sprache und übte mit ihnen das Anamnesegespräch. Einer der häufigsten Fehler: Statt „Wurden Sie schon einmal operiert?“ fragten viele: „Haben Sie schon mal operiert?“. Uns Medizinern scheint das wohl weltweit im Blut zu liegen. Ich sagte dann gern: „Nur, wenn Sie Dr. House sind und sich selbst operiert haben.“ In der Gruppe sorgte das für Lacher.
Ab der Klinikzeit hatte eine Studienfreundin von mir in der Dresdner Notaufnahme praktisch ein Dauerabo. Mindestens einmal pro Woche stand sie dort auf der Matte – immer mit Symptomen, die zufällig perfekt zu ihrem aktuellen Prüfungsthema passten. Nach Pneumologie kam sie mit Atemnot. Ging es um Chirurgie, waren es akute Bauchschmerzen. Die Mitarbeiter konnten bald am Beschwerdebild ablesen, für welches Fach sie gerade lernte. Vielleicht effektiv für Prüfungen, doch am Ende kannte jeder am Empfang ihren Namen – sorry, Franzi.
Verschiedene Erhebungen ergaben, dass zwei Drittel und mehr der befragten Ärzte sich auch bei ernsthaften Symptomen zunächst selbst behandeln (z. B. hier, hier und hier). Ärzte haben auch seltener selbst einen Hausarzt (hier und hier). Eine Studie der Mayo Clinic ergänzt, dass Mediziner oft schlechter im Selbstmanagement sind als ihre Patienten, obwohl sie Zugang zu allen Diagnosetools dieser Welt haben. Wer anderen täglich sagt, wann sie ins Bett gehören, erkennt diesen Punkt bei sich selbst oft erst, wenn der Körper die rote Karte zeigt.
Und dann das Helfer-Syndrom: Auch mit 39 °C Fieber noch Mails beantworten, OP-Berichte diktieren, Kollegen telefonisch beraten. Abschalten? Fehlanzeige.Die beste Medizin? Den Kittel ablegen, sich hinsetzen – und jemand anderen übernehmen lassen. Nur so kann man dann später die Aufgaben am besten erledigen, für die man ausgebildet wurde: nämlich, sich auf seine Patienten zu konzentrieren.
In diesem Sinne: Bleibt gesund!
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Bildquelle: Midjourney