Vollkorn, Hafer und Leinsamen haben eins gemeinsam: Sie sind reich an Lignanen – und senken daher vermutlich das Gichtrisiko. Welche Rolle spielen Lignane im Kampf gegen die Wohlstandskrankheit?
Eine aktuelle Publikation in der Fachzeitschrift Arthritis Care & Research legt nahe, dass lignanreiche Lebensmittel das Gichtrisiko verringern können. Die Gicht gilt als Wohlstandskrankheit, da sie häufig gemeinsam mit Adipositas, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen auftritt und somit zu den typischen Merkmalen des metabolischen Syndroms zählt. Hauptursachen der Gicht sind – wie bei vielen chronischen Erkrankungen – Fehl- und Überernährung. Raffinierter Zucker, gehärtete Fette, texturierte Proteine, synthetische Zusatzstoffe und isoliertes Speisesalz haben in den letzten 50 Jahren – vor allem durch hochverarbeitete Fertigprodukte – maßgeblich zum Anstieg ernährungsbedingter Krankheiten und zum Verlust gesunder Lebensjahre beigetragen (hier und hier).
Neben der rheumatoiden Arthritis gehört die Gicht weltweit zu den häufigsten Ursachen schmerzhafter Gelenkerkrankungen. Ihre Prävalenz wird für Deutschland aktuell mit 1,63 % angegeben. Sie nimmt mit dem Alter zu, wobei Männer etwa dreimal häufiger betroffen sind als Frauen.
Pflanzenbasierte Ernährungsformen wie die DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension) und die traditionelle mediterrane Ernährung sind in früheren Studien mit einem geringeren Gichtrisiko assoziiert worden. Beide Ernährungsweisen zeichnen sich durch einen erhöhten Konsum von Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Samen, Kernen, Salaten, Gemüse, Obst und Beeren aus – und damit durch einen tendenziell höheren Gehalt an Lignanen, einer Gruppe biologisch aktiver Pflanzenstoffe. Das veranlasste US-Forscher um den Wissenschaftler S. K. Rai von der Harvard Medical School, lignanhaltige Lebensmittel genauer auf ihre präventive Wirkung im Hinblick auf die Entwicklung von Gicht zu untersuchen.
Über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren wurden die Gesundheits- und Ernährungsdaten von insgesamt 122.680 US-Amerikanern analysiert. Unter den Studienteilnehmern waren 78.977 weibliche Pflegekräfte aus der Nurses’ Health Study (NHS) und 43.703 männliche Gesundheitsfachkräfte aus der Health Professionals Follow-Up Study (HPFS). Bei Studienbeginn und anschließend alle zwei Jahre wurden umfassende Daten zu anthropometrischen Messwerten, Lebensstilfaktoren, Gesundheitsverhalten sowie zur Krankengeschichte erhoben. Gichtdiagnosen wurden anhand der Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR) gestellt, wobei mindestens 6 von 11 Symptomen erfüllt sein mussten.
Die Ernährungsdaten wurden alle 4 Jahre mithilfe des standardisierten Ernährungsfragebogens Food Frequency Questionaire (FFQ) erfasst. Der Fragebogen umfasste insgesamt 130 gängige Lebensmittel und wurde regelmäßig aktualisiert. Die tägliche Aufnahme der vier Hauptlignane (Pinoresinol, Lariciresinol, Secoisolariciresinol und Matairesinol) wurde anhand der Häufigkeit des Verzehrs lignanreicher Lebensmittel, der Portionsgrößen und des Lignangehalts in der Nahrung berechnet. Die Nährwertangaben wurden der Lebensmitteldatenbank der Harvard University entnommen, die auf Quellen des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) basiert. Die Analyse umfasste sowohl die Aufnahme der vier Einzellignane und der Gesamtlignane als auch den Lignangehalt von fünf lignanreichen Vollkornprodukten:
Frühstückscerealien galten als Vollkornprodukte, wenn sie einen Vollkorn- oder Kleieanteil von mindestens 25 % ihres Gewichts aufwiesen. Lignane aus Leinsamen wurden erst ab 2006 berücksichtigt. Phytoöstrogene aus Nahrungsergänzungsmitteln wurden nicht in die Berechnungen einbezogen.
Der Zusammenhang zwischen der Aufnahme von lignanreichen Lebensmitteln und dem Auftreten von Gicht wurde mithilfe von Cox-Modellen ermittelt. Die Lignanaufnahme wurde in Quintile unterteilt, die Aufnahme von Vollkornprodukten in Häufigkeitskategorien. Die Modelle wurden umfassend adjustiert, u. a. für Energiezufuhr, Body-Mass-Index, körperliche Aktivität, Hypertonie, Nierenfunktion, Diuretika-Einnahme, Verhütungsmittel, Ballaststoffzufuhr sowie Bier-, Kaffee- und Vitamin C-Konsum. Die Analysen wurden geschlechtsdifferenziert und zusätzlich für verschiedene Subgruppen durchgeführt.
Während der Nachbeobachtungszeit von insgesamt 2.704.899 Personenjahren wurden 2.709 neue Gichtfälle registriert und der Zusammenhang mit dem Verzehr von Lignanen bzw. lignanhaltigen Lebensmitteln untersucht:
So war der tägliche Verzehr von mindestens einer Portion unerhitzter Vollkorn-Frühstückscerealien, im Vergleich zum Verzehr von weniger als einer Portion pro Monat, mit einem um 38 % niedrigeren Gichtrisiko verbunden. Der Verzehr von mindestens zwei Portionen gekochtem Haferbrei bzw. Haferkleie pro Woche ging mit einer Risikoreduktion um 22 % bzw. 16 % einher, verglichen mit dem Verzehr von weniger als einer Portion pro Monat. Die Zusammenhänge waren unabhängig von bekannten und potenziellen Risikofaktoren für Gicht. Für die Gesamt-Lignane, die Einzelsubstanzen Pinoresinol und Lariciresinol sowie für dunkles Brot und andere erhitzte Frühstücksgetreide-Zubereitungen zeigten sich keine statistischen Zusammenhänge.
Die Ergebnisse unterstützen die Empfehlung einer pflanzenbasierten Ernährung zur Gichtprävention und unterstreichen die potenzielle Bedeutung der Lignane in der Pathogenese von entzündlichen Gelenkerkrankungen. Auch wenn die Studienergebnisse lediglich Assoziationen zeigen, lohnt sich dennoch ein genauerer Blick auf die Lignane und ihre potenziellen gesundheitlichen Vorteile.
Die Wirkstoffklasse der Lignane ist in pflanzlichen Lebensmitteln weit verbreitet. Sie kommt in allen Getreidesorten, Buchweizen, Leguminosen sowie in ölhaltigen Samen und Früchten vor. Im Getreide sind Lignane hauptsächlich in den Randschichten enthalten. Am höchsten konzentriert sind sie in der Aleuronschicht (Haferkleie 790 μg, Weizenkleie 664 μg). Weiterhin enthalten Kirschen, Äpfel, Birnen, Pfirsiche und Pflaumen größere Mengen dieser Stoffgruppe. Unter den Beerenfrüchten zeichnen sich vor allem Blau-, Brom-, Erd-, Stachel- und schwarze Johannisbeeren durch nennenswerte Lignan-Konzentrationen aus. Vergleichsweise hohe Gehalte kommen auch in frischem Gemüse wie z. B. Karotten, Brokkoli, Fenchel, Zwiebeln, Süßkartoffeln, Zucchini und Knoblauchzehen vor. Rotwein, Tee und Kaffee enthalten ebenfalls relevante Mengen an Lignanen.
Die mit Abstand höchste Lignankonzentration findet sich mit 370 mg pro 100 g in Leinsamen. Als therapeutisch wirksame Dosis gelten etwa 1,5 bis 3 gehäufte Esslöffel bzw. 15 bis 30 Gramm Leinsamen täglich. Studien zeigen, dass Leinsamen-Lignane beim Backen von Brot zu 80–90 % erhalten bleiben, sofern ganze Samen verwendet werden. Leinöl hat hingegen kaum einen Nutzen, da die Leinsamen-Lignane an Ballaststoffe gebunden sind und bei der Ölgewinnung in den Pressrückständen zurückbleiben. Lediglich ungefiltertes Leinöl verfügt über einen gewissen Lignangehalt. An zweiter Stelle lignanhaltiger Lebensmittel stehen Sesamkörner mit 30 mg pro 100 g, gefolgt von Kürbiskernen mit 21,4 mg/100 g. Und selbst Spargel liefert noch 6,5 mg Lignane pro 100 g. Alle anderen Lebensmittel wie Getreide, Leguminosen, Nüsse, Gemüse oder Beeren sind zwischen 50 und 400 µg pro 100 g angesiedelt.
Der Mensch nimmt Lignane vor allem im Rahmen einer getreide- und ballaststoffreichen Vollwert-Ernährung auf. Nach Aufnahme mit der Nahrung werden die Lignane nicht direkt resorbiert, sondern müssen erst durch die Darmflora in Enterolignane umgewandelt werden. Aus den Vorstufen Pinoresinol, Lariciresinol, Secoisolariciresinol und Matairesinol entstehen die bioaktiven Wirkformen Enterodiol und Enterolacton, die über das Portalblut zur Leber transportiert und dort weiter verstoffwechselt werden. Die Stoffwechselprodukte gelangen anschließend über den Blutkreislauf zu den Geweben, wo sie ihre gesundheitsfördernden Wirkungen entfalten. Ein Teil der Enterolignane wird mit dem Stuhl oder über den Harn ausgeschieden.
Als bioaktive Substanzen werden den Lignanen zahlreiche gesundheitsfördernde Effekte nachgesagt, die sie zu einem wichtigen Bestandteil einer ausgewogenen pflanzenbetonten Ernährung machen. Neben der Gichtprävention sollen sie eine Schutzfunktion vor hormonabhängigen Tumoren wie Brust- und Prostatakrebs haben und aufgrund ihrer cholesterinsenkenden Wirkung vor koronarer Herzkrankheit schützen. Auch bei Typ-2-Diabetes und Osteoporose wird eine präventive Wirkung diskutiert. Durch ihre präbiotischen Eigenschaften tragen Lignane darüber hinaus zur Darmgesundheit bei. Lignane sind außerdem schwache Antioxidanzien, wirken antiinflammatorisch und antiviral und besitzen eine schlaffördernde Wirkung.
Die Studie von Rai et al. überzeugt durch ihre hohe Teilnehmerzahl, die langjährige Beobachtungsdauer sowie die präzise Erfassung und Auswertung der Gesundheits- und Ernährungsdaten. Zudem basieren die Gichtdiagnosen auf den etablierten ACR-Kriterien. Die Ergebnisse untermauern frühere Untersuchungen pflanzenbasierter Ernährungsweisen zur Prävention von Gicht. Da es sich um eine Beobachtungsstudie ohne Vergleichsgruppe handelt, können jedoch zahlreiche nicht kontrollierbare Störfaktoren die Ergebnisse verzerren. Zudem lässt sich die tatsächliche Effektstärke mangels Angaben zur absoluten Risikoreduktion nicht zuverlässig abschätzen.
Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass Leinsamen erst 20 Jahre nach Studienbeginn in den Lebensmittelfragebogen aufgenommen wurde, sodass die Gesamtaufnahme in den frühen Jahren vermutlich unterschätzt wurde. Zudem wurde die Rolle der Enterolignane als bioaktive Zwischenprodukte nicht untersucht. Trotz dieser Einschränkungen unterstreicht die Studie erneut den gesundheitlichen Vorteil einer langfristigen pflanzenbetonten Ernährung – reich an Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Samen, Kernen, Nüssen sowie Obst und Gemüse – zur effektiven Vorbeugung von Gicht.
Rai et al.: Long-term lignan intake, whole grain foods, and the risk of gout: results from two prospective cohort studies. Arthritis Care Res, 2025. doi: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40621718/
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