Traumatische Erlebnisse beeinträchtigen den Alltag Betroffener oft schwer. In diesen Fällen kommt EMDR vermehrt zum Einsatz. Was die Methode kann und wann ihr sie empfehlen solltet.
Ob nach Gewalt, Herzinfarkt oder Borderline-Diagnose – psychische Traumata können unerwartet und tiefgreifend das eigene Leben beeinträchtigen. Geeignete therapeutische Angebote sind leider häufig begrenzt und oft auch nicht sofort verfügbar. Ein Verfahren jedoch etabliert sich zunehmend als vielversprechende Option: die EMDR, kurz für Eye Movement Desensitization and Reprocessing.
Ursprünglich zur Behandlung von Traumafolgestörungen entwickelt, hat sich die EMDR zunehmend als effektive Methode in der Psychotherapie bewährt. Aktuelle Forschung und Fallbeispiele zeigen, dass die EMDR über die klassische Traumatherapie weit hinausreicht und in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen erfolgreich eingesetzt werden kann.
Lena, eine 20-jährige Patientin, leidet seit ungefähr zwei Jahren unter Schlafproblemen und Flashbacks nach einem Autounfall, bei dem sie selbst schwer verletzt wurde. In meiner Sprechstunde wirkt die junge Frau erschöpft und innerlich angespannt; sie meidet jegliche Sozialkontakte aus Angst, bestimmte Situationen oder Gefühle erneut durchleben zu müssen. Die Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).
Gemeinsam mit dem therapeutischen Team wird ein EMDR-gestützter Ansatz gewählt, um die belastenden Erinnerungen behutsam zu verarbeiten. Schon nach wenigen Sitzungen beginnen sich Veränderungen bei Lena zu zeigen: Die Flashbacks werden etwas seltener und auch ihr Schlaf wird erholsamer. Die Patientin beschreibt selbst, dass sie sich „etwas mehr im Hier und Jetzt“ fühle und es ihr gelinge, Momente der Sicherheit wieder spüren zu können.
Diese individuelle Erfahrung deckt sich auch mit der bestehenden Literatur (hier und hier): EMDR gilt – gerade bei jungen Erwachsenen mit traumatischer Vorgeschichte – als wirksam und nachhaltig. Im weiteren Verlauf wird die Behandlung durch psychosoziale Stabilisierung, achtsame Ressourcenarbeit und eine kontinuierliche symptomatische Verlaufskontrolle begleitet, in einem Tempo, das die Patientin mitbestimmt. EMDR wird in diesem Prozess nicht als alleinige „Technik“, sondern als Teil einer tragenden therapeutischen Beziehung verstanden – einer Beziehung, die hilft, Vertrauen und neue Stabilität zu entwickeln.
Die 29-jährige Maria stellt sich in unserer psychotherapeutischen Ambulanz vor, nachdem sie sich seit Monaten zunehmend erschöpft, deprimiert und isoliert fühlt. Schon seit Jahren kämpft sie mit instabilen Beziehungen, heftigen Gefühlsschwankungen und Phasen tiefer Verzweiflung. Immer wieder erlebt die Patientin schwere Flashbacks, die sich meist an Momente von Selbstverletzung und Zurückweisung knüpfen. Die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung steht seit Kurzem fest, bislang haben verschiedene Therapieansätze nur wenig Besserung gebracht.
Gemeinsam mit der Patientin wird die Option der EMDR besprochen: Anfangs ist die junge Frau skeptisch, wie eine Therapie mit Armbewegungen überhaupt funktionieren soll. Doch Schritt für Schritt entsteht zwischen Maria und ihrer Therapeutin eine stabile Verbindung. Während der EMDR-Sitzungen kann sie belastende Erinnerungen ‚dosiert‘ betrachten und merkt, dass die emotionale Wucht langsam nachlässt. Parallel übt sie neue Fertigkeiten zur Emotionsregulation ein und traut sich erstmals, über ihre inneren Verletzungen zu sprechen, ohne sich dafür zu schämen.
Die Einzelerfahrung der Patientin bestätigt: Die EMDR kann auch als alleinstehende Intervention sicher und wirksam bei der Linderung von Symptomen einer PTBS und Borderline-Persönlichkeitsstörung sein und zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen, wie Studien zeigen (hier und hier).
Herr Meier, ein 57-jähriger Patient, spürt nach einem überstandenen Herzinfarkt eine tiefe Verunsicherung. Zwar hat sein Körper das Ereignis medizinisch verkraftet, doch seelisch bleibt eine Vielzahl von Ängsten zurück. Nächtliche Panikattacken, intrusive Gedanken und ein stetiges Gefühl der Unsicherheit beherrschen den Alltag des Bankkaufmanns. Angehörige merken, dass er sich immer mehr zurückzieht und kaum noch Freude am Leben findet.
Nach der Entlassung aus der kardiologischen Abteilung kommt Herr Meier in unsere psychotherapeutische Behandlung – hier wird EMDR als Teil eines ganzheitlichen Ansatzes angeboten. Die Sitzungen ermöglichen es ihm, Schritt für Schritt die traumatischen Erlebnisse rund um den Herzinfarkt zu verarbeiten, sich wieder sicherer zu fühlen und ein Stück der alten Lebensqualität zurückzugewinnen. Nach mehreren Wochen schildert der Patient erstmals, dass die Angst nachlässt und er wieder an Aktivitäten teilnehmen könne, die ihm wichtig sind.
Die beschriebenen positiven Veränderungen entsprechen auch den Befunden aktueller Studien: EMDR kann gerade nach kardialen Ereignissen dazu beitragen, depressive und angstbezogene Beschwerden zu lindern und Betroffene auf ihrem Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben zu unterstützen.
Bisher konnten mit Hilfe von EEG und bildgebenden Verfahren während EMDR-Sitzungen charakteristische Veränderungen in der kortikalen Verarbeitung traumatischer Erinnerungen festgestellt werden (hier und hier). Diese Beobachtungen stützen die Hypothese, dass eine bilaterale Stimulation – wie bei der EMDR durch Augenbewegungen – eine beschleunigte Integration fragmentierter emotionaler Gedächtnisinhalte ermöglicht und die Amygdala-Aktivität reduziert. Verschiedene Studien zeigten unter anderem eine Art Normalisierung der Hirnaktivität im präfrontalen Kortex sowie im anterioren cingulären Kortex, also in Arealen, die mit Emotionsregulation und Traumaverarbeitung in Verbindung gebracht werden (hier und hier).
Zwar deuten all diese Effekte auf ein neurobiologisches Korrektiv bei dysfunktionalen traumaassoziierten Netzwerken hin. Dennoch bestehen weiterhin verschiedene Unklarheiten: So wird beispielsweise die genaue Effektgröße von EMDR im Vergleich zu etablierten Therapieverfahren, wie der kognitiven Verhaltenstherapie, diskutiert. Ebenso ist die mögliche Förderung von posttraumatischem Wachstum (PTG) durch EMDR Gegenstand aktueller Forschung, mit ersten Hinweisen auf eine begleitende Resilienzbildung, aber noch unklarer Langzeitevidenz (hier und hier).
EMDR ist weit mehr als klassische Traumatherapie: Die stetige Weiterentwicklung und neue wissenschaftliche Belege machen die Methode zu einem festen Bestandteil moderner Psychotherapie. Der Nutzen von EMDR ist heute bei diversen Traumafolgestörungen und komorbiden Störungen mehr und mehr belegt.
Wer als Behandler nichts verpassen und auf dem Laufenden bleiben will, nutzt regelmäßig spezialisierte Datenbanken und Fachjournale – denn die Evidenz über dieses spannende Therapieverfahren entwickelt sich in Echtzeit weiter.
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