Für Patienten wird am Lebensende oft „alles gemacht“ – für sich selbst würden Ärzte aber meist ganz andere Entscheidungen treffen. Woran liegt das?
Für Eilige gibt’s am Ende eine Zusammenfassung.
Mit steigender Lebenserwartung rücken Krankheiten wie Alzheimer, Herz-Kreislauf-Leiden oder Krebs in den Vordergrund der Medizin. Viele Menschen verbringen ihre letzten Lebensjahre mit Einschränkungen, Schmerzen und fehlender Autonomie. Umso wichtiger ist die Palliativmedizin, die auf Linderung von Symptomen und Lebensqualität zielt – und eben nicht auf der Maximaltherapie.
Eine große internationale Befragung von über 1.100 Ärzten zeigt jetzt, wie sie über ihr eigenes Lebensende denken. Die meisten lehnen lebenserhaltende Maßnahmen ab und wünschen sich stattdessen symptomlindernde Therapien. Nur 0,5 Prozent würden bei Krebs eine Wiederbelebung wollen, bei Alzheimer sogar nur 0,2 Prozent. Auch künstliche Beatmung oder Ernährung per Sonde finden kaum Zustimmung bei den Teilnehmern der Studie: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Ärzte für sich selbst eine andere Balance wählen würden: mehr Lebensqualität, weniger technisches Verlängern des Sterbens“, schreiben die Autoren im Artikel.
Die Haltung von Ärzten zur aktiven Sterbehilfe und zum assistierten Suizid ist gespalten. Rund die Hälfte der Befragten bezeichnet diese Optionen für sich selbst als „gute“ oder sogar „sehr gute“ Möglichkeit – unabhängig davon, ob es um eine Krebserkrankung oder Demenz geht. Auffällig sind die Unterschiede zwischen den Ländern. In Belgien, wo Sterbehilfe seit mehr als 20 Jahren legal ist, würden über 80 Prozent der Mediziner diesen Weg auch für sich selbst in Betracht ziehen. Ganz anders das Bild in Italien: Dort, wo die Rechtslage nach wie vor sehr restriktiv ist, liegt die Zustimmung bei unter 40 Prozent. Ähnliche Gräben zeigen sich in den USA. Während im liberalen Oregon mehr als 70 Prozent der Ärzte den assistierten Suizid für sich selbst als Option am Lebensende sehen, sind es im konservativen Georgia nicht einmal 40 Prozent. Die Studie macht also deutlich, wie eng persönliche Einstellungen mit dem rechtlichen Umfeld verknüpft sind: Wo Sterbehilfe erlaubt ist, steigt die Zustimmung signifikant an – wo sie verboten bleibt, bleibt auch die individuelle Akzeptanz niedrig.
Ärzte ohne religiöse Bindung standen aktiver Sterbehilfe deutlich offener gegenüber als gläubige Kollegen. Zudem hatten Palliativmediziner eine stärkere Präferenz für Sedierung und Symptomkontrolle – während Allgemeinmediziner oder andere Fachärzte eher den assistierten Suizid am Lebensende in Betracht zogen. Wer regelmäßig viele Patienten am Lebensende begleitet, äußerte selbst geringere Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe. Die tägliche Erfahrung im Umgang mit Sterben verändert offenbar die eigenen Vorstellungen.
So klar für Ärzte ihre eigenen Wünsche sind, so sehr stehen diese im Widerspruch zu dem, was sie in der Versorgung ihrer Patienten praktizieren. „Dass wir für uns selbst andere Entscheidungen treffen würden, zwingt uns, die Behandlungsrealität für unsere Patienten kritisch zu hinterfragen“, schreiben die Autoren. Ganz wesentlich sind die Erwartungen von Angehörigen: Sie drängen nicht selten auf die Fortführung einer maximalen Therapie – weniger aus medizinischer Vernunft, sondern weil sie den bevorstehenden Verlust kaum akzeptieren können. Ihr Wunsch, dass Ärzte „nichts unversucht lassen“, verstärkt den Druck zusätzlich, selbst wenn die Erfolgsaussichten objektiv gering erscheinen. Zugleich beeindruckt Laien das breite Arsenal moderner Medizin, von technischen Eingriffen bis zu hochwirksamen Medikamenten. Und Meldungen wie „Patient nach Jahren aus dem Koma erwacht“ befeuern Hoffnungen, die in den meisten Fällen unrealistisch sind.
Doch auch die Haltung der Ärzte selbst trägt zur Diskrepanz bei. Viele Patienten möchten wissen: „Was würden Sie an meiner Stelle tun?“ Mediziner zögern, ihre persönliche Einschätzung offen auszusprechen – aus Sorge, damit unzulässig Einfluss zu nehmen. Hinzu kommt die Unsicherheit jeder Prognose. Kein Arzt kann mit letzter Gewissheit voraussagen, wie sich ein Krankheitsverlauf entwickelt. Fehlende Patientenverfügungen und rechtliche Grauzonen engen den Handlungsspielraum zusätzlich ein.
Darüber hinaus wirken gesellschaftliche und kulturelle Leitbilder nach. Die Vorstellung vom „Kampf gegen die Krankheit“ oder vom „Leben um jeden Preis“ prägt nicht nur das Bewusstsein in westlichen Ländern, sondern beeinflusst auch die medizinische Praxis. So entsteht ein Spannungsfeld, in dem die persönliche Haltung der Ärzte und die Erwartungen von Patienten und Angehörigen oft weit auseinanderklaffen.
Das Wichtigste auf einen Blick
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