KOMMENTAR | Jährlich grüßen die Honorarverhandlungen. Unsere Forderung: 7 % Aufschlag. Gegenangebot der Kassen: 0 %. Und die Politik? Hebt hilflos die Hände. Mein persönliches Ranking aller Akteure.
Im Zentrum der Gesundheitspolitik steht diesen Sommer vor allem ein Thema: die Honorarverhandlungen. Die Ärzteschaft fordert 7 % Aufschlag, die Krankenkassen provozieren mit Nullrundenparolen und Sparplänen. Besonders die Techniker Krankenkasse (TK) sorgte mit ihrem 10-Punkte-Plan für Aufruhr: Kürzungen in Milliardenhöhe, eine „Nullrunde“ beim Orientierungswert, dazu offene Angriffe auf die ambulante Versorgung – pures Gift für das Gesprächsklima. Zeit also, sich die einzelnen Player und ihre Rollen einmal anzuschauen.
Ein seltener Moment, wenn Ärzteverbände eine Sprache sprechen – aber ehrlich gesagt: Dieser Moment kommt jedes Jahr für ein paar Wochen, pünktlich zu den Honorarverhandlungen. Hausärztinnen- und Hausärzteverband (HÄV), Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und Virchowbund fordern +7 % und liefern damit die richtige Botschaft: Ambulant ist nicht der Kostentreiber, sondern die günstigste Säule im System. Statistisch: Praxiserträge –6 %, MFA-Kosten +25 % (2019–2022).
Trend: ↑ Geschlossenheit wirkt – doch sie ist erfahrungsgemäß brüchig.
Die Basis ist wütend wie selten: Kommentare reichen von „Schnauze voll“ bis zu Forderungen nach Protestaktionen. Es ist klar: Die wirtschaftliche Realität lässt keine Luft mehr. Aber: Streik ist Ärzten verboten – echte Arbeitskämpfe sind kaum möglich. Bisher blieb die Basis bei lautem Unmut stehen, wenn es darauf ankam.
Trend: ↑ Gereizt – und vielleicht wirklich zum ersten Mal bereit, etwas zu tun.
Das Ritual: Lautes Getrommel zu Beginn – „Nullrunde inakzeptabel“ – gefolgt vom Abgesang „mehr war nicht drin“. Auch diesmal dieselbe Melodie: Kritik an den 13 Milliarden Verwaltungskosten der Kassen, Hinweise auf die sinkenden Erträge der Praxen. Doch die Erfahrung ist bitter: Am Ende verkauft die Bundes-KV Mini-Ergebnisse als „Erfolg“.
Trend: ↓ absehbares Einknicken.
Während die ambulante Versorgung mit Nullrunden attackiert wird, bleiben Kliniken außen vor. Stattdessen: Milliarden für Investitionen, Klimaanpassung, Infrastruktur. Die Kliniken profitieren davon, dass sie politisch als „systemrelevant“ gelten – auf Kosten der ambulanten.
Fazit: Gewinner durch Stillhalten – das Risiko tragen die Praxen.
Trend: ↑ Politisch geschützt, ökonomisch privilegiert.
Kaum Debatte, obwohl Milliarden bewegt werden. Die TK will höhere Herstellerabschläge, aber sonst bleibt die Branche aus dem Schussfeld. Ärzte und Kassen prügeln sich öffentlich, während Pharma im Hintergrund weiter kassiert.
Fazit: Clever im Schatten, kaum Kritik – ein Lehrstück in Lobbyarbeit.
Trend: → Unantastbar.
Patienten erleben die Folgen doppelt: als Argument in der Verhandlungsschlacht („längere Wartezeiten!“) und als Betroffene im Alltag. Dazu die Debatte um Hitze-Schutz in Kliniken und Heimen – baulich oft unzureichend. Ergebnis: Verunsicherung wächst, Vertrauen sinkt.
Fazit: Patienten bleiben das Spielfeld, nicht die Spieler.
Trend: ↓ wachsendes Misstrauen.
Praxisgebühr als Sommerlochidee, IGeL-Kritik von den Grünen, Kommissionen als Ausflucht. Gleichzeitig glauben laut Umfragen nur 5 % der Bevölkerung, dass die Regierung die Gesundheitsversorgung verbessern kann. Statt klare Kante gegen Nullrunden zu zeigen, herrscht Schweigen.
Fazit: Mutlos, konzeptlos, führungslos.
Trend: ↓ Glaubwürdigkeitsverlust setzt sich fort.
TK-Chef Baas wirft die „Nullrunde“ in den Raum, flankiert von einem Sparplan, der 2,5 Milliarden Euro im ambulanten Bereich kassieren will. Botschaft: Ärzte sind zu teuer, Praxen verzichtbar. Ergänzt wird das durch VdK-Angriffe, die Fachärzten Terminmanipulation unterstellen. Das ist kein Dialog – das ist Ärzte-Bashing.
Fazit: Kurzfristig setzen die Kassen die Deutung – langfristig riskieren sie, den letzten Rest Vertrauen der Ärzteschaft zu verspielen.
Trend: ↓ aggressiv, aber durchschaubar.
Die Schlagzeilen gehören den Kassen, Arbeitgebern, Patientenverbänden. Sie setzen die Narrative: „Ärzte sind zu teuer“, „Privatpatienten werden bevorzugt“, „Praxisgebühr als Steuerung“. Die ärztlichen Fakten – 578 Mio. Fälle pro Jahr, ambulant günstiger als stationär – kommen kaum durch.
Fazit: Lautstärke schlägt Sachargumente. Ärzte verlieren die Deutungshoheit – und genau das macht sie in den Verhandlungen schwächer.
Trend: ↓ falsche Bilder dominieren.
Die Honorarverhandlungen sind der Kampfplatz des Sommers. Die Gewinner: Ärzteverbände, weil sie sich zumindest vorübergehend bei der Honorarfrage vereint zeigen – obwohl sie sich bei anderen Themen (z. B. Primärarztsystem) heftig bekämpfen. Die Verlierer: Krankenkassen, weil ihr Nullrunden-Manöver die Front verhärtet. Ein Totalabsturz: Politik & Öffentlichkeit, weil sie weder Mut noch Fairness zeigen.
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