Ursprünglich zur Epilepsie-Therapie auf den Markt gebracht, kommt Gabapentin auch gern bei neuropathischen Schmerzen zum Einsatz. Eigentlich eine elegante Lösung – doch das Medikament könnte das Demenz-Risiko erhöhen.
Gabapentin ist ein Antiepileptikum, das auch zur Schmerzbehandlung eingesetzt wird. Eine Studie legt jetzt nahe, dass Patienten mit Rückenschmerzen, die Gabapentin einnehmen, ein erhöhtes Demenzrisiko haben. Kognitive Veränderungen sollten bei einer Gabapentin-Einnahme engmaschig überwacht und die zugrundeliegenden Mechanismen erforscht werden, so die Autoren.
Das Antiepileptikum Gabapentin wird häufig auch zur Behandlung chronischer, insbesondere neuropathischer Schmerzen eingesetzt. Im Gegensatz zu Opioiden ist das Risiko einer Abhängigkeit gering. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Gabapentin mit einer Neurodegeneration, also einem Verlust von Nervenzellen im Gehirn einhergehen könnte. Die Ergebnisse sind jedoch uneinheitlich – ebenso wie Studienergebnisse zu der Frage, ob das Medikament das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und eine Demenz erhöht.
Eine neue Studie mit einer großen Anzahl von Patienten mit Rückenschmerzen legt nun nahe, dass eine wiederholte Verschreibung von Gabapentin das Risiko für eine Demenz und eine leichte kognitive Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) deutlich erhöht – und das schon in jüngeren Altersgruppen. Die Ergebnisse müssen zwar in weiteren Studien überprüft werden, die auch die Ursachen in den Blick nehmen. Doch sie machen deutlich, dass Ärzte die kognitiven Leistungen von Patienten, die Gabapentin als Schmerzmedikation erhalten, engmaschig im Blick behalten sollten.
Patienten mit Schmerzen im unteren Rücken, die sechs oder mehr Verschreibungen des Medikaments Gabapentin erhalten haben, haben laut der Studie im Zeitraum von zehn Jahren nach ihrer Schmerzdiagnose ein um 29 Prozent erhöhtes Risiko, eine Demenz und ein um 85 Prozent erhöhtes Risiko, eine leichte kognitive Beeinträchtigung zu entwickeln. In der retrospektiven Studie werteten die Forscher um Erstautor Nafis B. Eghrari von der Case Western Reserve University School of Medicine und Letztautor Chom H. Kim von MetroHealth Medical Center, beide in Cleveland, Ohio (USA), Patientendaten aus dem Gesundheitsforschungsnetzwerk TriNetX aus. TriNetX enthält die elektronischen Patientenakten von 68 medizinischen Einrichtungen in den USA. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Regional Anesthesia & Pain Medicine, die zu den BMJ Journals gehört, erschienen.
Die Wissenschaftler bezogen in ihre Analyse die anonymisierten Daten von erwachsenen Patienten mit chronischen unteren Rückenschmerzen ein, die zwischen 2004 und 2024 entweder Gabapentin erhalten hatten oder nicht. Beide Gruppen umfassten je 26.414 Patienten. Patienten mit einer früheren Gabapentin-Einnahme, einer Demenz, einer Epilepsie, Schlaganfällen oder Krebs wurden ausgeschlossen und demografische Daten wie Alter und Geschlecht, komorbide Erkrankungen und die Einnahme von Schmerzmitteln statistisch kontrolliert. Für die Auswertung wurden die Patienten nach Alter und Häufigkeit der Gabapentin-Verschreibungen in verschiedene Gruppen eingeteilt.
Dabei zeigte sich, dass Patienten im Alter von 18 bis 64 Jahren, die Gabapentin erhalten hatten, ein mehr als doppelt so hohes Risiko für eine leichte kognitive Beeinträchtigung und eine Demenz hatten wie Patienten, die kein Gabapentin eingenommen hatten. In der Gruppe der 18- bis 34-Jährigen wurde zwar kein erhöhtes Risiko für ein MCI oder eine Demenz beobachtet. Allerdings war das Demenzrisiko bei Gabapentin-Einnahme bei Patienten im Alter von 35 bis 49 Jahren sowie von 50 bis 64 Jahren mehr als doppelt so hoch und das Risiko für eine MCI dreimal so hoch wie bei Patienten ohne Gabapentin-Einnahme.
Darüber hinaus stieg das Risiko mit der Häufigkeit der Gabapentin-Verschreibungen. So hatten Patienten, denen zwölfmal oder häufiger Gabapentin verschrieben wurde, ein 40 Prozent höheres Risiko für eine Demenz und ein 65 Prozent höheres Risiko für eine MCI als Patienten, denen Gabapentin zwischen drei- und elfmal verschrieben worden war.
Die Forscher merken an, dass es sich um eine retrospektive Beobachtungsstudie handelt, sodass keine Schlüsse über Ursache und Wirkung möglich sind. Weiterhin konnten in die Auswertung keine Informationen über die Dosis und die Dauer der Gabapentin-Einnahme einbezogen werden. Stärken der Studie seien dagegen die große, landesweite Stichprobe, ein Follow-up von 10 Jahren und die Analyse von Subgruppen, etwa verschiedenen Altersgruppen und Gruppen mit unterschiedlicher Verschreibungshäufigkeit.
„Unsere Ergebnisse legen einen Zusammenhang zwischen der Verschreibung von Gabapentin und einer Demenz sowie einer leichten kognitiven Beeinträchtigung im Zeitraum von 10 Jahren nach der Schmerzdiagnose nahe“, schreiben die Wissenschaftler. „Weiterhin war eine häufigere Verschreibung von Gabapentin mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden.“ Daher sei es wichtig, dass Ärzte bei Patienten, denen sie Gabapentin verschreiben, mögliche kognitive Verschlechterungen im Blick haben. „Zudem könnte unsere Studie die Grundlage für weitere Forschung sein, die der Frage nachgeht, ob Gabapentin bei der Entwicklung kognitiver Beeinträchtigungen und einer Demenz eine kausale Rolle spielt und welche Mechanismen dabei von Bedeutung sind“, sagt Kim.
Bisher haben einige Studien ebenfalls ein erhöhtes Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und eine Demenz bei Einnahme von Gabapentin gefunden, andere jedoch nicht. So ergab eine große, retrospektive Studie von 2023, dass die Einnahme von Gabapentin – insbesondere bei höheren täglichen Dosen – mit einem erhöhten Demenzrisiko in Verbindung steht. Das Risiko war in allen Altersgruppen signifikant erhöht und in der Gruppe bis 50 Jahre höher als in der Gruppe über 50 Jahre. Eine andere aktuelle Studie mit Erwachsenen mit chronischen Schmerzen kam dagegen zu dem Ergebnis, dass eine Langzeiteinnahme von Gabapentin das Risiko für eine Demenz nicht erhöht. Dies war bei unterschiedlichen Dosierungen und in verschiedenen Altersgruppen der Fall.
Das Medikament ist mit dem hemmenden Neurotransmitter GABA (Gamma-Aminobuttersäure) verwandt und verhindert die unkontrollierte Erregung von Nervenzellen im Gehirn, indem es die glutamaterge Erregungsübertragung hemmt und zentrale Calciumkanäle blockiert. Typische Nebenwirkungen können Sedierung, Schwindel, Schläfrigkeit und ein unsicherer Gang sein. Die hemmende Wirkung auf die Erregbarkeit von Nervenzellen könnte auch zu den ungünstigen kognitiven Auswirkungen beitragen. Über die Mechanismen, die zu kognitiven Beeinträchtigungen bis hin zu einer Demenz führen könnten, ist jedoch bisher nichts bekannt.
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