Das Spermiogramm ist mehr als ein Fruchtbarkeitstest – es kann auch frühzeitig Erkrankungen aufzeigen. Damit hat es großes Potenzial für den Gesundheitscheck beim Hausarzt. Ein Gedankenspiel.
„Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark, Männer können alles, Männer kriegen ’nen Herzinfarkt (...)“: So bringt es Herbert Grönemeyer auf dem Punkt. Recht hat er: Männer sterben früher und nehmen seltener medizinische Hilfe in Anspruch. Experten fordern deshalb neue Ansätze in Prävention und Früherkennung. Aber wie soll das gehen?
Ärzte schlagen in den Nature Reviews Urology ein bewährtes diagnostisches Instrument vor: Das Spermiogramm. Bislang wird es vor allem bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch eingesetzt. Künftig könnte es jedoch zu einem wichtigen Instrument der Männergesundheit werden – als niederschwellige Untersuchung, die nicht nur Aufschluss über die Fruchtbarkeit, sondern auch über allgemeine Gesundheitsrisiken gibt. Was steckt dahinter?
Die Samenanalyse umfasst Parameter wie das Volumen, den pH-Wert, die Spermienkonzentration, -motilität und -morphologie. Sie gilt als Grundlage der Fertilitätsdiagnostik. Und die Studienlage der vergangenen zwei Jahrzehnte belegt: Abnorme Spermaparameter sind nicht nur ein Hinweis auf eingeschränkte Zeugungsfähigkeit, sondern auch ein Biomarker für die allgemeine Gesundheit.
Eine US-amerikanische Kohortenstudie mit fast 12.000 Männern hat gezeigt, dass niedrige Werte bei der Spermienkonzentration, -zahl und -motilität eng mit einer höheren Sterblichkeit korrelieren, selbst nach Adjustierung für Alter und Vorerkrankungen. Besonders auffällig: Männer mit zwei oder mehr abnormen Parametern hatten ein 2,3-fach höheres Sterberisiko. Damit wird klar: Ein abnormes Spermiogramm spiegelt häufig systemische Gesundheitsprobleme wider, von endokrinen Störungen bis hin zu kardiometabolischen Erkrankungen.
Die Spermatogenese ist ein hochsensibler Prozess, der über mehrere Wochen läuft und in jeder Phase störanfällig ist. Schon geringe Veränderungen des Lebensstils und der Umweltbedingungen können sich messbar auswirken. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Adipositas: Störungen im Hormonhaushalt – insbesondere die vermehrte Umwandlung von Testosteron zu Östrogen im Fettgewebe – beeinträchtigen die Spermienproduktion. Hinzu kommen chronische Entzündungsprozesse und erhöhte Hodentemperaturen, welche die Qualität zusätzlich mindern.
Auch endokrine Disruptoren wie Bisphenol A, Phthalate oder Schwermetalle wie Cadmium verändern die Hormonbalance und schädigen die Blut-Hoden-Schranke: In Studien wurden sie mit reduzierter Spermienzahl, erhöhter DNA-Fragmentierung und einem gesteigerten Krebsrisiko in Verbindung gebracht. Rauchen, Alkohol und Drogen wiederum fördern die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies, die DNA und Membranen der Spermien angreifen. Sünden dieser Art hinterlassen ihre Spuren.
Bleibt als gute Nachricht: Ein gesunder Lebensstil hat schnell positive Effekte. Mehrere Studien liefern Hinweise, dass die Supplementation mit Mikronährstoffen wie L-Carnitin, Vitamin E, Zink oder Coenzym Q10 die Spermienkonzentration verdoppeln und die Beweglichkeit deutlich verbessert. Auch mediterrane Ernährung, regelmäßige Bewegung und Gewichtsreduktion zeigen Effekte. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass Interventionen von nur einem Monat – etwa der Verzicht auf Nikotin und Alkohol oder die Vermeidung von Hitzestress – zu signifikanten Verbesserungen in Spermienzahl und -beweglichkeit führen. Männern zeigt das recht plakativ, welchen Erfolg Lebensstil-Interventionen haben.
Alles in allem zeigen die Studien viele Assoziationen zwischen Gesundheit, Lebensstil und Spermatogenese. Angesichts der Tatsache, dass heute etwa jedes sechste Paar Schwierigkeiten hat, ein Wunschkind zu zeugen – und in bis zu 50 Prozent der Fällen die Ursache beim Mann liegt – bietet das Spermiogramm Ärzten eine wichtige Chance: Es kann als Türöffner dienen, um über einen gesunden Lebensstil und Möglichkeiten der Prävention zu sprechen.
Auffällige Ergebnisse rechtfertigen weiterführende internistische Untersuchungen. Darüber hinaus kann ein abnormer Befund eine besonders starke Motivation für Veränderungen des Lebensstils darstellen: Werte wie eine geringe Spermienkonzentration sind für viele Männer deutlich greifbarer und konkreter als Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Bleibt als Problem: Derzeit werden solche Untersuchungen fast ausschließlich in der spezialisierten Urologie oder Reproduktionsmedizin durchgeführt und dort besprochen, wie die Autoren der Übersichtsarbeit betonen. Eine stärkere Einbindung in die hausärztliche Routineversorgung brächte also gleich mehrere Vorteile. Doch der Weg vom Gedanken bis zur Umsetzung ist weit.
Damit das Spermiogramm tatsächlich Eingang in die Primärversorgung findet, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehört eine standardisierte Diagnostik nach WHO-Kriterien, die durch Parameter wie DNA-Fragmentation oder Marker für oxidativen Stress ergänzt wird. Abfällige oder vermeintlich humorvolle Kommentare wie „Ihre Spermien sind im Eimer“ könnten für Patienten traumatisierend wirken, warnen die Autoren der Arbeit. Deshalb sollten Ärzte gezielt ihre kommunikativen Kompetenzen schulen, um Ergebnisse respektvoll zu vermitteln.
Und nicht zuletzt – die wohl größte Hürde – sind gesundheitspolitische Maßnahmen erforderlich: Beispielsweise die Kostenübernahme durch Krankenkassen oder die Integration in Präventionsprogramme. Daran wird es vorerst wohl scheitern.
Spermiogramme und Männergesundheit
Quelle:Lyons et al.: Unlocking the power of semen analysis in primary health care – a path to men’s health and lifestyle transformation. Nat Rev Urol, 2025. doi: 10.1038/s41585-025-01047-1
Bildquelle: Osarugue Igbinoba, Unsplash