KOMMENTAR | Gesundheitspolitik im Warkenstand, Warkuum in Berlin – die Möglichkeiten für schlechte Wortspiele sind unbegrenzt, der Tatendrang unserer Bundesgesundheitsministerin eher nicht so. Ein Pikser.
Der lang erwartete Abschlussbericht der ELSA-Studie (Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer) liegt nun vor – und bleibt, fast möchte man hier ein „wie zu erwarten“ ergänzen, unkommentiert von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Dies erstaunlicherweise selbst nach Verzögerungen bei der Veröffentlichung, die ihr von Opposition und Medien angekreidet worden waren.
Die Ergebnisse der bereits Anfang 2021 von Jens Spahn in Auftrag gegebenen Studie hätten schon Monate vorgelegen, meinen unter anderem Ulle Schauws, Sprecherin der Grünenfraktion, und Clara Bünger, Linkenabgeordnete. Von Abschluss der Studie im April ist an anderer Stelle die Rede. Dass Warken sich hier nicht nur bedeckt hält, sondern die Veröffentlichung der Ergebnisse trotz ihrer Sprengkraft auch noch recht unspektakulär erfolgte, stößt auf wenig Verständnis – zu Recht.
Ein Blick in den Abschlussbericht (hier die Kurz- und Langfassung) zeigt deutlich: Die Versorgung ungewollt Schwangerer in Deutschland ist tatsächlich so desolat wie die Forschung dazu bereits seit Jahren vermuten ließ. Zum Inhalt: Grundlage der Studie sind „eine für Deutschland repräsentative Online-Befragung von 4.589 Frauen mit mindestens einem Kind unter sechs Jahren“ sowie weitere „Strategien der Ansprache und Einladung“, um Frauen, die Abtreibungen erlebt haben, zu rekrutieren. Auch eine Gruppe von an Abbrüchen beteiligten Männern wurde in die Befragung mit einbezogen.
Zu den wichtigsten Ergebnissen: Ein Großteil der Befragten erwarten Stigmatisierung (78 %), fast alle berichten von internalisierten Stigmatisierungsgefühlen (83,5 %). Das verschlechtere den Zugang zu Informationsquellen und sorge so für Barrieren in der medizinischen Versorgung – klar, wer Angst davor hat, auf derart unschöne Weise abgestempelt zu werden, dass sogar ein Gesetz dagegen nötig ist, scheut den Gang zum Arzt.
Aber auch Zeitdruck in der Organisation wegen strenger Beschränkungen und langer Anfahrten zu Arztpraxen behindern Frauen, die einen Abbruch möchten, massiv. Dazu gehören auch die zwingend erforderliche Beratung und mehrtägige Bedenkzeit zwischen Beratungstermin und eigentlicher Abtreibung. Dabei sind sich die Betroffenen ihrer Sache sicher: 92,4 % bereuen den Eingriff nicht und geben an, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Umgekehrt sind 96,8 % der Frauen, die eine zunächst ungewollte Schwangerschaft ausgetragen haben, derselben Ansicht. Klingt fast so, als würde man mit der Berücksichtigung eines Patientenwunsches zusammen mit individueller Beratung und Betreuung gute Outcomes erzielen – wer hätte es gedacht?
Der Ausblick des Abschlussberichts fällt äußerst müde aus: „Die Erkenntnisse aus der Verbundstudie werden für die weitere fachpolitische Diskussion der Akteure rund um Beratungs-, Unterstützungs- und Versorgungsangebote für Frauen mit ungewollten Schwangerschaften zur Verfügung gestellt.“ Also das absolut Mindeste, könnte man zusammenfassen. Einige Ergebnisse seien sogar schon im Bericht der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin und bei einem Bund-Länder-Austauschtreffen zur Verbesserung der Versorgungslage rund um den Schwangerschaftsabbruch im Februar besprochen worden. Von praktischen Auswirkungen somit bisher lediglich homöopathische Spuren, obwohl der Handlungsbedarf so nötig ist. Denn die Empfehlungen, die die Autoren vorher selbst geben, sind eindeutig – hier werden endlich eine „Liberalisierung und Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs“, eine Abschaffung der Beratungspflicht und niedrigschwellige Zugänge zu Hilfsangeboten gefordert.
Dazu dann nicht einmal eine Pressemitteilung, geschweige denn ein Statement zu veröffentlichen, zeugt nicht gerade von Problembewusstsein. Wer zu einer derart prekären Fragestellung moderner Medizin in Deutschland weder in seiner Rolle als Bundesgesundheitsministerin noch als Frau und Mutter – in welcher Richtung auch immer – etwas zu sagen hat, muss sich Nachfragen gefallen lassen. Als Vertreterin der CDU verpasst Warken es sogar, dem Thema einen christlichen Stempel aufzudrücken. Das wäre zwar wissenschaftlich wenig zielführend, aber zumindest irgendeine Regung.
Stattdessen: Nichts, absolut gar nichts. Auch eine Einladung unserer Redaktion zu einem Gespräch anlässlich der ersten 100 Tage Bundesregierung lässt Warken sausen – und damit einen Austausch mit Europas größter Online-Community für Angehörige der Gesundheitsberufe, ihrer originären Zielgruppe, die sie doch vertreten soll.
Es ist nicht das erste Mal, dass Warken in ihrer Rolle als Bundesgesundheitsministerin vor allem durch Unauffälligkeit auffällt. So bilanziert unter anderem die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten ernüchtert: „Politisch ist bislang viel zu wenig in Bewegung gekommen. […] Nach 100 Tagen verfestigt sich der Eindruck, dass zwar gern und viel über Prävention gesprochen wird, politisch aber noch immer keine oder die falschen Schlüsse gezogen werden.“ Die Kassen zeigen sich ebenfalls entrüstet bis enttäuscht von so viel Inaktivität. So wirft Andreas Storm, Vorsitzender der DAK-Gesundheit, Warken vor, die drohende Beitragserhöhung in der Pflegeversicherung und andere Probleme der GKVen nicht anzugehen. Die Ministerin hatte bei ihrem Amtsantritt die GKVen als „Notfallpatienten“ bezeichnet. Storm dazu: „Das war und ist zutreffend, ohne dass es bis heute zielführende Rettungsmaßnahmen gibt.“ Ihr Nichtstun grenze daher an „unterlassene Hilfeleistung“. Vom AOK-Bundesverband heißt es vorsichtiger: „Die erste Bilanz der Bundesgesundheitsministerin nach 100 Tagen ist eher zwiespältig.“
Auch einer Umfrage unter niedergelassenen Ärzten zufolge wissen die meisten nicht, was sie von der Ministerin halten sollen. So stimmt die Hälfte der 330 Teilnehmer der Aussage zu, dass sie „bislang nicht sonderlich als Macherin“ aufgefallen sei. In der Absage des BMGs zu unserer eigenen Anfrage heißt es dagegen: „Leider können wir Ihnen angesichts der angespannten Terminlage momentan kein Interview zusagen. Kommen Sie bitte gerne im weiteren Verlauf der Legislatur noch einmal auf uns zu.“ Irgendetwas scheint die Gute also zu machen – es weiß offenbar nur keiner, was und mit wem. Wir warken dann mal hier.
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