Der neue Häftling vor mir bittet um Tipps für seinen Aufenthalt – und macht große Augen, als er hört, dass auch drinnen Drogen gehandelt werden. Wie die rein- und vor allem wieder rauskommen, gefällt ihm aber gar nicht.
Die therapeutischen Dialoge in Haft unterscheiden sich in Inhalt und Wortwahl deutlich von dem, was draußen so üblich ist. Ich möchte meinen Klienten einige wichtige Tatsachen und Verhaltensregeln in kurzer Zeit eindrücklich nahebringen. Das führt bisweilen zu absurd anmutenden Konversationen.
Ein junger Mann sitzt vor mir. Er ist das erste Mal in Haft. „Frau Psychologin, geben Sie mir mal ein paar Tipps. Was soll ich denn machen, um hier drinnen keinen Ärger zu bekommen?“ Lobenswert. „Halten Sie sich an die Hausordnung. Jede einzelne Regel hat einen Sinn. Nichts verleihen, keine Glücksspiele.“ – „Hä, wieso das denn?“ – „Wenn Sie was verleihen, bekommen Sie es wahrscheinlich nicht zurück. Das führt zu Streit. Wenn Sie sich etwas leihen, sind Sie jemandem etwas schuldig. Das ist hier drinnen auch nicht gut. Halten Sie sich von Handys und Drogen fern. Die Verkäufer sind keine einzelnen Gefangenen, die an ihrem Wohl interessiert sind. Die haben sich organisiert. Drogen werden nie im ‚Einzelhandel‘ verkauft. Drinnen wie draußen. Da sind Sie sehr schnell in irgendeinem dicken Ärger mit einem Clan drin.“ – „Wie jetzt, hier drin gibt es Drogen?“ Ups.
Nun ja, er hätte es früher oder später eh rausgefunden. „Ja. Aber davon halten Sie sich fern. Erstens wissen Sie nicht, mit was das Zeug verschnitten wurde. Sie spielen da echt mit ihrem Leben. Wir haben schon Leute in der Früh tot aus ihrem Haftraum geholt, weil die sich irgendeinen Müll eingeworfen haben.“ – „Ok. Und zweitens?“ – „… wissen Sie nicht, in welcher Körperöffnung das vorher gesteckt hat.“ – „Wie meinen Sie DAS denn?“ Der junge Mann sieht mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Ekel an. „Na, die Drogen kommen ja irgendwie hier rein. Und der Transporteur kann sie ja schlecht in einem Jutebeutel durch den Besuchsbereich tragen. Also wird das Zeug in Körperöffnungen verstaut. Und davon hat der Mensch nicht so viele.“
„Die stecken sich das Zeug … in den ARSCH?!“ – „Ja. Die stecken sich das Zeug in den Arsch.“ – „Huääägh!“ – „Genau. Außer, es ist flüssig. Pola zum Beispiel. Das wurde geschluckt und wieder hochgewürgt.“ – „Nicht. Ihr. Ernst?!“ – „Ja, doch. Muss ja hier direkt beim Arzt eingenommen werden. Wenn man dann zurück im Haftraum ist – Finger in den Hals und in einem Becher auffangen. Wenn Sie hier drinnen Pola auf dem Gang kaufen, bekommen sie also gleich eine kleine Menge anverdautes Frühstück kostenlos mit dazu.“ Mimik und Farbe des jungen Mannes haben gemeinsam sein Gesicht verlassen.
„Und … was ist mit den Handys?“ Das ist jetzt schwerer, ihm das madig zu reden. Denn die Vorstellung, jeden Abend mit der Familie und der Freundin telefonieren können, ist schon sehr verlockend. „Handy klingt gut, ich weiß. Besser, als sich Woche um Woche mit der Staatsanwaltschaft um einzelne Telefongenehmigungen zu streiten und danach bei den Beamten zu betteln, dass sich alle zwei Wochen mal wer zehn Minuten Zeit nimmt. Aber das hat halt seinen Preis.“ – „Ich hab’ Geld.“ – „Das meine ich nicht. Sie machen sich erpressbar. Ihr Verkäufer weiß, dass Sie ein Handy haben und Sie wollen nicht, dass das auffliegt. Er weiß, Sie verraten ihn nicht, denn er hat Ihnen schon erklärt, dass es in dem Fall weh tun wird – Ihnen oder sogar Ihrer Familie. Er wird also möglicherweise ein, zwei Gefallen von Ihnen einfordern. Drogen in ihrem Haftraum verstecken, bis er sie verkaufen kann. Mal was mit zum Arzt nehmen und im Wartezimmer an wen anders übergeben. Und schon stecken Sie mittendrin.“
Er denkt nach. Ich ergänze: „Außerdem kommen die Handys auch im Arsch.“ Er verzieht das Gesicht. „Das ist eklig. Sie sind gar nicht so wie die Psychologinnen, die ich sonst hatte.“ Ich weiß gar nicht, warum ich mich immer so geschmeichelt fühle, wenn das jemand sagt. „Sonst waren sie ja auch draußen. Da gibt’s nun mal andere Regeln. Und auch andere Probleme. Ihre aktuellen Probleme stinken halt nach Arsch.“ Ich grinse. Er lacht. Eine gute Sitzung.
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