Jeder zweite bekommt irgendwann Probleme mit dem Kniegelenk. Um es zu erhalten, wird der Knorpel in vielen Praxen und Kliniken geglättet, angebohrt und aufgefüllt. Gar nicht mal so eine gute Idee?
Eine Orthopädenweisheit besagt: Lieber dreimal in den Bauch gespuckt als einmal das Knie operiert. Nicht ganz so drastisch, aber grundsätzlich ähnlich sehen das die Autoren der soeben veröffentlichten S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Gonarthrose“ unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie: Gelenkerhaltende Operationen bringen nicht viel, künstliche Gelenke sollten nur das allerletzte Mittel sein.
Der Begriff Gonarthrose meint nicht nur die Abnutzung des Knorpels, sondern die Degeneration des gesamten Kniegelenks, also mit Bändern, Knochen, Gelenkkapsel und Muskulatur. Phasenweise kann sich das Gelenk auch entzünden, etwa bei zu heftigem Training, bei Gewaltmärschen oder überambitionierten Radtouren. Kann sich der Knorpel nicht mehr ausreichend regenerieren, weicht er auf, wird rissig, franst aus, und irgendwann ist er ganz weg. Jeder zweite entwickelt in seinem Leben eine Kniearthrose, Adipöse trifft es noch häufiger.
Das Fazit der Leitlinie: Viel tun kann man nicht. Sofern man es nicht übertreibt, wirkt Sport präventiv, selbst ein Halbmarathon pro Woche ist noch ok. American Football dagegen ist besonders kritisch: stemmen, stoßen, sprinten und Haken schlagen sind Gift fürs Gelenk. Auch wenn das Knie schon schmerzt, ist Bewegung wichtig. Dann können lindernde NSAR-Salben helfen, wenn die nicht mehr reichen, auch Tabletten.
Kurzzeitige Injektionen von Kortikosteroiden sehen die Autoren eher positiv, Plättchenreiches Plasma (PRP) und Bestrahlung kann man anbieten. Ob die Injektion mit Hyaluronsäure etwas bringt, lassen die Autoren wegen der schwachen Studienlage offen. Von routinemäßig eingesetztem Paracetamol, Glucosamin und Opioiden raten sie ebenso ab wie von Blutegeln, Arnica und – dem Namen zum Trotz – Beinwell. Auch diverse Elektro-, Laser- und Vibrationstherapien, Massagen, Tapes und Orthesen sehen sie eher kritisch.
Wenn man als Patient also abgesehen von gezielter Bewegung und Schmerzmitteln wenig unternehmen kann, welche Optionen bleiben einem dann noch bis zum künstlichen Kniegelenk? Viele Praxen und Kliniken wissen da Rat. Sie bieten an, das Gelenk arthroskopisch zu spülen und den Knorpel zu glätten. So wirbt eine Klinik aus Nürnberg mit der Knorpelglättung „als Auffrischungskur für das Kniegelenk“. Also zack zack zum Orthopäden, denn: „Je früher ein angegriffener Gelenkknorpel behandelt wird, desto größer sind die Chancen auf Erhaltung und Heilung.“
Wird das Knie noch schlimmer, auch kein Problem. Dann sollen es Knorpel-aufbauenden Verfahren richten: Bei der Mikrofrakturierung – manche sprechen auch von Nanofrakturierung – wird der Knorpel großzügig abgehobelt, und der Knochen mehrfach angebohrt, bis er blutet. Das soll dann knorpelähnliches Ersatzgewebe entstehen lassen. Man kann den Knorpel auch transplantieren, entweder mit eigenen, im Labor vermehrten Knorpelzellen oder mit ausgestanzten Knorpel-Knochen-Zylindern.
Die Leitlinie sieht für solche frohen Werbebotschaften keinen Anlass: „Die alleinige Arthroskopie mit Lavage und/oder Débridement wird Patienten mit klinisch und radiologisch gesicherter Gonarthrose nicht empfohlen.“ Sie zitiert unter anderem eine randomisierte, dreiarmige Doppelblindstudie, in der Spülung, Glätten und bloßes Hautritzen miteinander verglichen wurden. Schmerz und Funktion waren in allen drei Gruppen über zwei Jahre gleich. Auch bei den regenerativen Verfahren hält sich die Leitlinie sehr zurück, weil die maue Studienlage keine Aussage zulässt.
Obwohl Patienten verständlicherweise nach jedem Strohhalm greifen, „wird die Aufgabe der Ärztin/des Arztes sein, den Patient*innen die geringen Erfolgschancen der Arthroskopie mit Lavage und/oder Débridement zu verdeutlichen“, so die Autoren der Leitlinie. Die Devise lautet also: Lieber abraten statt aufschwatzen.
Die Leitlinie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Mika Baumeister, Unsplash