Humane Papillomviren können Gebärmutterhalskrebs verursachen. Forscher haben nun herausgefunden, wie es das Virus nach der Infektion schafft, die Zellteilungsmaschinerie für seine Zwecke zu nutzen.
Die Entdeckung, dass humane Papillomviren eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs spielen, führte zur Entwicklung von spezifischen Impfstoffen. Seit einigen Jahren eröffnen sich dadurch völlig neue Perspektiven für die Vorbeugung der bei Frauen dritthäufigsten Krebsart. Jetzt konnte ein Forscherteam der Universität Leipzig ein wichtiges Detail aufklären, auf welche Weise das Virus die gekaperten Zellen dazu bringt, sich unentwegt zu teilen. Wie die Wissenschaftler um Professor Kurt Engeland in der Fachzeitschrift Nucleic Acids Research berichteten, schaltet das humane Papillomvirus einen Proteinkomplex aus, der normalerweise dafür sorgt, dass die DNA-Synthese nicht in Gang gesetzt wird. Damit sich eine Zelle teilen kann, müssen bestimmte Gene aktiv sein. Sie unterliegen einer strengen Kontrolle und kommen nur dann zum Einsatz, wenn für den Organismus eine Teilung der Zelle sinnvoll ist. Gesteuert wird dieser Prozess durch einen Proteinkomplex, der den Namen DREAM trägt. Er verhindert unerwünschte Zellteilungen, indem er sich an die Zellzyklus-Gene anlagert und so deren Aktivierung blockiert. DREAM ist aus acht verschiedenen Proteinen zusammengesetzt und bindet an eine bestimmte DNA-Sequenz, die vielen Zellzyklus-Genen vorgeschaltet ist. „Wir konnten bisher rund 150 Gene finden, deren Aktivierung durch DREAM unterbunden wird“, sagt Engeland, Leiter der Abteilung Molekulare Onkologie an der Medizinischen Fakultät in Leipzig. „Durch diese Vielzahl an Genen stellt die Zelle unter anderem sicher, dass ein Fehler in Zellteilungsmaschinerie nicht zum Totalversagen führt.“
Eines dieser Gene diente Engeland und seinen Mitarbeitern als Studienobjekt, mit dessen Hilfe sie herausfanden, auf welche Weise das humane Papillomvirus die Funktion von DREAM lahmlegt: Das Zellzyklus-Gen PLK4 trägt die Bauanleitung für ein Protein, das während der Zellteilung den Aufbau der Zentriolen reguliert, die für die Trennung der Chromosomen wichtig sind. In ihren Versuchen schaute sich das Team um Engeland an, wie sich in humanen Zellen DREAM von PLK4 löst und das Gen dadurch aktiviert wird. Mit einer speziellen Experimentiertechnik gelang den Forschern schließlich der Nachweis, dass dies immer dann der Fall war, wenn sie die Zellen mit dem Virusprotein E7 versetzten. „E7 bindet an DREAM und führt dazu, dass der Proteinkomplex auseinanderfällt und sich von der DNA löst“, erklärt Engeland. „Durch das Anschalten von PLK4 und weiterer Zellzyklus-Gene, zwingt das Virus die Zelle, sich zu teilen.“ Viren, so Engeland, wollten ihre Wirtszelle nicht umbringen, sondern die Zellmaschinerie nutzen, um weitere Viren herzustellen. Das gehe am besten, wenn sich eine Zelle teile. Die Viren fördern durch ihr Vorgehen in der Zelle nicht nur die eigene Vermehrung, sondern nebenbei auch die Vermehrung der infizierten Zelle – ein wichtiger Schritt in Richtung Krebsentstehung. Engeland geht davon aus, dass alle verschiedenen humanen Papillomvirus-Typen den Angriff auf den DREAM-Komplex auslösen können, da sich die E7-Proteine der verschiedenen Virustypen sehr ähnlich sind.
Humane Papillomviren können nicht nur Gebärmutterhalskrebs auslösen, sondern stehen auch unter Verdacht, für einen erheblichen Anteil der Scheiden-, Penis- und Anal-Karzinome sowie der Tumore im Mund- und Rachenraum verantwortlich zu sein. Die Viren besitzen neben E7 noch weitere Werkzeuge, mit deren Hilfe sie es schaffen, Zellen für ihre Zwecke einzuspannen: Das Virusprotein E6 zum Beispiel inaktiviert den zelleigenen Tumorsuppressor p53 – ein Protein, das die Zellen von unkontrolliertem Wachstum abhält oder sie gar in den programmierten Zelltod treibt, wenn die DNA-Schäden zu massiv sind. Die Leipziger Forscher haben durch ihre Experimente ein wichtiges Detail des Mechanismus aufgespürt, mit dem es den humanen Papillomviren gelingt, sich zu replizieren. Doch Engeland glaubt nicht, dass sich diese Erkenntnisse unmittelbar auf die Entwicklung neuer Medikamente zur Therapie von Gebärmutterhalskrebs auswirkt: „Es mehren sich die Hinweise, dass die vorbeugende Impfung möglicherweise auch bei bestehenden Infektionen einen Schutzeffekt hat. Da wäre es wenig sinnvoll, unter großem Aufwand zielgerichtete Substanzen gegen E7 zu entwickeln, die das Virusprotein in den infizierten Zellen inhibieren und so seiner Wirkung berauben.“
Auch andere Experten teilen diese Einschätzung: „Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Engeland zeigen zwar eindrucksvoll die enge Verbindung von DREAM und E7, doch sie tangieren vor allem die Grundlagenforschung und weniger die klinische Forschung“, sagt Professor Matthias Dobbelstein, Direktor des Instituts für Molekulare Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen. „Selbst wenn es gelänge, ein Medikament zu entwickeln, das spezifisch in der infizierten Zelle die Wechselwirkung zwischen dem Proteinkomplex und dem Virusprotein aufhebt, wäre nicht sicher, ob die Krebszelle nicht andere Wege fände, die medikamentöse Blockade zu umgehen.“ In der Krebsmedizin, so Dobbelstein, gebe es leider genügend Beispiele von zielgerichteten Medikamenten, die zwar im Reagenzglas wunderbar funktionierten, aber dem Patienten in der Klinik keine wirkliche Verbesserung gebracht hätten.