Seit der Wahl weht im Bundestag ein anderer Wind in Sachen medizinisches Cannabis. Die aktuelle Regierung möchte weg vom Versand, hinein in die Apo vor Ort. Welche Probleme sich daraus ergeben.
Keine Telemedizin, kein Versand, keine Ausnahme: Das Gesundheitsministerium will medizinisches Cannabis zurück in die Präsenzpflicht zwingen – zu Lasten der Patienten, der Versorgung und der Vernunft. Wer nicht persönlich in die Apotheke kommt, soll künftig leer ausgehen. Ein Referentenentwurf mit Stolperpotenzial für alle Beteiligten.
Seit dem 1. April 2024 gilt das neue Medizinal‑Cannabisgesetz (MedCanG), mit dem Cannabis zu medizinischen Zwecken aus dem Betäubungsmittelgesetz ausgegliedert wurde und rechtlich wie ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel behandelt wird. Ein Kassen- oder Privatrezept ist also weiterhin erforderlich – der Bezug kann bislang sowohl im direkten Patientenkontakt als auch im Rahmen der Telemedizin erfolgen. Der Bezug über Apotheken ist aktuell noch per Versandhandel zulässig, sofern die apothekenrechtlichen Anforderungen erfüllt sind.
So muss die versendende Apotheke über eine behördlich genehmigte Versanderlaubnis gemäß § 11a Apothekengesetz (ApoG) verfügen. Darüber hinaus sind die Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) einzuhalten: Der Versand hat qualitätsgesichert und transportsicher zu erfolgen (§ 17 ApBetrO), etwa durch geeignete Verpackung und lückenlose Dokumentation der Auslieferung. Zudem ist sicherzustellen, dass auch beim Versand eine individuelle Beratung angeboten wird (§ 20 ApBetrO), z. B. telefonisch oder schriftlich. Bei Cannabisblüten umfasst dies insbesondere Hinweise zu Anwendung, Dosierung und Inhalation. Ein Versand darf außerdem ausschließlich gegen Vorlage eines gültigen ärztlichen Rezepts erfolgen; bei GKV-Patienten kann zusätzlich eine Genehmigung der Krankenkasse erforderlich sein. Der grenzüberschreitende Versand ist unzulässig.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Versorgung über die gesetzliche Krankenversicherung bleiben unverändert: Bei schwerwiegenden Erkrankungen besteht weiterhin Anspruch auf Dronabinol, Nabilon oder getrocknete Cannabisblüten gemäß den Regelungen des SGB V.
Indikationen für medizinisches Cannabis
Medizinisches Cannabis wird insbesondere bei folgenden Indikationen eingesetzt:
Weitere Indikationen sind abhängig von Einzelfallentscheidungen (z. B. Schlafstörungen oder Palliativversorgung). Diese Einsatzgebiete beruhen auf Empfehlungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem G‑BA.
Seit der Legalisierung von medizinischem Cannabis im Jahr 2017 hat sich die Zahl der Verordnungen in Deutschland kontinuierlich erhöht. Besonders deutlich zeigt sich die Entwicklung in den letzten Jahren: Während im Jahr 2019 rund 267.000 Verordnungen registriert wurden, lag diese Zahl im Jahr 2023 bereits bei über 480.000 Rezepten. Damit hat sich die Anzahl der Verordnungen innerhalb von vier Jahren fast verdoppelt. Auch der damit verbundene Umsatz ist deutlich gestiegen, von rund 129 Millionen Euro im Jahr 2019 auf etwa 165 Millionen Euro im Jahr 2023. Diese wirtschaftliche Entwicklung – gepaart mit der wachsenden Nutzung telemedizinischer Plattformen – hat politische Akteure zunehmend auf den Plan gerufen. Insbesondere die Sorge vor einer zu lockeren Verordnungspraxis sowie potenziellem Missbrauch durch Online-Dienste wird als Grund für die geplante Neuregelung angeführt.
Der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums sieht unter anderem folgende Änderungen vor:
Mit diesen Maßnahmen sollen sowohl die Patientensicherheit als auch der Jugendschutz gestärkt werden, indem Missbrauchspotenzial bei Fernverordnungen reduziert wird.
Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) kritisiert das geplante Versandverbot scharf. Das Verbot gehe zu weit und führe zu Versorgungslücken, da nur rund 2.500–3.000 Apotheken derzeit die Cannabisversorgung übernehmen – viele davon versenden, andere bieten gar keine Flächenversorgung an. Stattdessen schlägt der VCA eine OTC-artige Abgabe im Rahmen von Modellprojekten vor, gestützt auf eine Forschungsklausel, um die Versorgung flexibel und evidenzbasiert zu gestalten.
Auch die Sanity Group – ein deutsches Unternehmen mit Sitz in Berlin, das sich auf medizinisches Cannabis und Cannabinoid-basierte Gesundheitsprodukte spezialisiert hat – warnt vor den Folgen des Versandverbots. Besonders betroffen seien Patienten in ländlichen Regionen und mobilitätseingeschränkte Personen, die auf den Versand angewiesen sind. Eine Rückkehr zum Schwarzmarkt sei zu befürchten, da der legale Zugang erschwert würde. Die Telemedizin habe sich als wesentlicher Bestandteil moderner, flächendeckender Versorgung etabliert und ist auch durchaus international üblich, beispielsweise in Kanada, Israel oder den Niederlanden.
Diese Sorge stützt sich auf aktuelle Umfragedaten: Laut einer Statista-Befragung im Auftrag der Bloomwell Group würden 42 % der Befragten auf den Schwarzmarkt zurückgreifen, wenn der digitale Zugang zu medizinischem Cannabis (z. B. über Versandapotheken) entfällt. Weitere 38 % gaben an, in diesem Fall wieder auf nicht-medizinisches Cannabis aus dem Freizeitgebrauch umzusteigen. Diese Zahlen zeigen, wie schnell auch die Patienten erneut auf illegale Wege ausweichen könnten, die sich heute bewusst für eine legale und ärztlich begleitete Therapieform entscheiden.
Insgesamt zeichnet sich seit der Bundestagswahl ein deutlicher politischer Kurswechsel im Umgang mit medizinischem Cannabis ab. Während der Versand und die telemedizinische Verschreibung bislang rechtlich zulässig und in der Praxis etabliert waren, zielt der neue Referentenentwurf auf eine spürbare Einschränkung beider Möglichkeiten ab.
Die Befürchtungen der Fachverbände – wie Versorgungsengpässe, Einschränkungen telemedizinischer Zugänge und Rückkehr zur Schwarzmarkt-Therapie – sind jedoch ernst zu nehmen. Aus medizinisch-praktischer Sicht erscheint der Referentenentwurf daher unausgewogen. Zwar sind Maßnahmen zur Sicherstellung von Qualität und Missbrauchsschutz grundsätzlich nachvollziehbar, doch ein vollständiges Versandverbot sowie das Ausschließen telemedizinischer Versorgung schränken etablierte und patientennahe Versorgungsstrukturen unnötig stark ein. Stattdessen wäre eine differenzierte, versorgungsorientierte Regelung wünschenswert – etwa über Modellprojekte, Forschungsklauseln oder zusätzliche Dokumentationspflichten.
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