Der Fachausdruck für Wechselwirkungen zwischen Medikamenten ist Interaktion – das Wort bezeichnet aber auch zwischenmenschlichen Kontakt. Was sie gemeinsam haben: Beide sind nicht immer positiv.
Es gibt verschiedenste Ebenen der Wechselwirkungen: Medikament-Medikament, Patient-Apotheke, Patient-Arzt und Apotheke-Arzt. In folgendem Beispiel kommen alle Ebenen zusammen. Der Anlass: Ein Arzt ist auf uns (die Apotheke) sauer, weil wir ihm in „sein Gebiet“ – die Medikation eines gemeinsamen Patienten – reinreden.
Alles beginnt damit, dass die Patientin, nennen wir sie Frau Scherrer, eine ältere Frau und Stammkundin, wegen einer Infektion ins Spital muss. Das Spital entlässt sie Donnerstagmorgen mit einem Rezept, mit dem sie zu uns in die Apotheke kommt. Auf dem Rezept: Ibuprofen (Schmerzmittel) und Metronidazol (Antibiotikum) und noch ein paar andere Medikamente, die sie vorher schon fürs Herz und den Blutdruck genommen hatte. Wir führen das Rezept aus, schreiben die Medikamente an und sie geht damit nach Hause.
Am Nachmittag schickt Frau Scherrer ihren Mann mit einem Zettel vorbei, weil sie am Morgen vergessen hatte, etwas zu kaufen. Sie ist nicht gut zu Fuß, aber geistig fit. Ihr Mann ist körperlich noch fitter, aber leider ansatzweise dement, deshalb der Zettel. Zeller Balsam flüssig möchte sie gerne, ein altes Magenmittel, das sie schon gut kennt. Weil wir bei einem Einkauf immer nach der Kundenkarte fragen und der Mann (zum Glück) ihren Namen angibt, fällt bei uns sofort auf: WECHSELWIRKUNG mit dem Antibiotikum Metronidazol, aufgrund des im Mittel enthaltenen Alkohols. Bei gleichzeitiger Einnahme der beiden Mittel besteht die akute Gefahr eines Antabus-Syndroms: Es kann einem extrem schlecht werden, mit Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen …
Die Kollegin informiert ihren Mann über die Wechselwirkung. Er will das Präparat trotzdem mitnehmen, denn sie hat ihn ja extra dafür geschickt. Die Kollegin erklärt ihm also, dass er seine Frau über das Risiko aufklären muss. Als sie merkt, dass er dazu wahrscheinlich nicht in der Lage ist, schreibt sie das frei verkäufliche Mittel mit einer Dosieretikette an – mit dem Hinweis, dass man das Medikament auf keinen Fall zusammen mit dem Antibiotikum nehmen soll.
Am Freitagnachmittag kommt Frau Scherrer mit einem neuen Rezept von ihrem Hausarzt in die Apotheke. Auf dem Rezept: Motilium®, 10 mg, 3 x täglich 1 Tablette. Unser System spuckt sofort diverse Warnmeldungen aus. Der Wirkstoff Domperidon, der gegen Übelkeit und bei Darmträgheit verwendet wird, steht unter Beobachtung. Man sollte den Wirkstoff wesentlich vorsichtiger anwenden, da sich gezeigt hat, dass ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Herzrhythmusstörungen oder einen plötzlichen Herztod besteht. Vor allem bei Patienten über 60 Jahren, höheren Dosierungen und in Kombination mit anderen Medikamenten, die die QT-Zeit verlängern oder den Wirkstoffgehalt im Blut erhöhen. Frau Scherrer hat fast alles davon: Alter, Wechselwirkungen mit mehr als einem ihrer anderen Medikamente …
Der beratende Kollege versucht, den Arzt zwecks Rücksprache telefonisch zu kontaktieren, aber es geht keiner ans Telefon.Was tun? Er bespricht die Situation zusammen mit Frau Scherrer und erklärt ihr, dass wir uns wegen der Wechselwirkungen sehr unwohl fühlen, das Medikament abzugeben. Er fragt sie, wofür sie es denn braucht, damit er eventuell eine Alternative finden könne. Ihr sei sehr übel und sie habe Schwindel. Die Beschwerden seien wie aus dem Nichts gekommen, seit sie die Medikamente vom Spital nehme. Er geht in ihre Patientenhistorie im Computer und entdeckt dabei die Abgabe von Zeller Balsam und den Kommentar, den die Kollegin hinterlassen hat: Alkoholhaltig, nicht zusammen mit dem Antibiotikum einzunehmen.
Er fragt Frau Scherrer, ob sie die Mittel vielleicht doch zeitgleich genommen hat? Ja, hat sie. Ihr war komisch im Magen von den anderen Medikamenten, deshalb hat sie das genommen. Die Etikette? Habe sie nicht gesehen. Der Mann habe auch nichts gesagt. Nein, dem Arzt habe sie nichts vom Zeller Balsam erzählt. Die Medikamentenliste vom Spital habe er bekommen, ob er sie angeschaut hat, wisse sie nicht.
Mein Kollege klärt Frau Scherrer also direkt über die Wechselwirkung mit dem Zeller Balsam auf und dass sie das Präparat sowie Alkohol im Allgemeinen bitte bis zur Beendigung der Antibiotikatherapie nicht mehr einnehmen soll. Auf der Dosierungsetikette vom Metronidazol steht übrigens auch: KEIN ALKOHOL. Und für den Fall, dass das nicht reicht, ersetzt er das Motilium® mit Itinerol® B6. Das enthaltene Meclozin macht keine der Wechselwirkungen, das kann sie nehmen. Den Austausch müssen wir trotzdem dem Arzt melden – das wollen wir nach dem Wochenende machen.
Wir kommen nicht dazu. Montag früh ruft Frau Scherrers Arzt in der Apotheke an und bemüht sich, die Kollegin am Telefon zur Schnecke zu machen: Was uns denn einfalle, ihm in sein Medikationsmanagement reinzureden? Er überlege sich etwas, wenn er etwas verschreibe! Er lese natürlich auch immer alle Austrittsberichte vom Spital. Wir würden seine Patienten verunsichern mit derartigen Aktionen und ihn dabei schlecht dastehen lassen. Offenbar war Frau Scherrer bei ihm und hat ihn informiert. Die Kollegin kommt gar nicht zu Wort. Als er endlich eine kleine Pause macht, versucht meine Kollegin ihn zu fragen, was er denn stattdessen will – dass wir unkontrolliert einfach alles abgeben, was er aufschreibt?
Nein, dass wir vorher nachfragen. Ja, haben wir versucht. Dann halt trotzdem abgeben. Auch wenn wir in dem Fall vielleicht mehr Informationen haben als er? Meine Kollegin erzählt ihm vom Zeller Balsam. Gut, das war ihm auch neu. Es ändert nichts: Der Arzt ist weiterhin mit uns unzufrieden.
Im Ganzen war das eine eher unerfreuliche Interaktion mit dem alteingesessenen Arzt. Ich verstehe, dass sich Ärzte prinzipiell bei Nachfragen oder Therapieänderungen durch uns in der Autorität untergraben fühlen können. Aber: Das ist unsere Arbeit. Wir sind die Medikationsspezialisten. Wir haben die aktuellsten Programme. Bei uns laufen (im Idealfall) alle Informationen zusammen: vom Spital, vom Hausarzt, vom Spezialisten – und was die Patienten OTC selbst kaufen. Und wir handeln auf der Grundlage dieser Informationen nach bestem Wissen und Gewissen.
Auf einen Punkt möchte ich noch aufmerksam machen: Von unserer Seite waren 3 verschiedene Mitarbeiter beteiligt – beim Ausführen des Spitalrezeptes, beim Abgeben des OTC-Medikamentes (nachdem die Interaktion aufgefallen ist) und beim Hausarzt-Rezept. Trotzdem ging die wichtige Information intern nicht verloren – zugunsten der Patientin! Dies ist dank des Patientendossiers in der Haus-Apotheke möglich. Vielleicht fallen ähnliche Vorfälle aufmerksamen Apothekern oder Ärzten mit einer zentralen Patientenakte häufiger auf – aber das gibt es zumindest in der Schweiz noch nicht.
Bildquelle: Midjourney