US-Zölle auf Arzneimittel treffen die europäische Pharmaindustrie bis ins Mark. Zusätzlich sorgt ein neues, restriktives Preissystem aus den USA für Nervosität. Wie reißen wir das Ruder rum?
Der monatelange Zollstreit zwischen der Europäischen Union und den USA ist beigelegt – und ein drohender Handelskonflikt vorerst abgewendet worden. Bei einem Treffen in Schottland haben sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump doch noch geeinigt. Voraussichtlich ab 7. August gelten auf die meisten EU-Produkte Einfuhrzölle in Höhe von 15 Prozent statt der ursprünglich angedrohten 30 Prozent. Davon sind auch Pharmaka und Medizinprodukte betroffen. Lediglich bestimmte Generika bleiben außen vor – alles in allem ein herber Schlag für die pharmazeutische Industrie.
Kein Wunder: Momentan sind die Vereinigten Staaten der wichtigste Handelspartner Deutschlands im Bereich Arzneimittel. Wie Daten des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BDI) zeigen, gingen im Jahr 2023 rund 23 Prozent aller deutschen Arzneimittelexporte in die USA, bei einem Gesamtwert von 26 Milliarden Euro. Gleichzeitig bezog Deutschland pharmazeutische Erzeugnisse im Wert von 12,4 Milliarden Euro aus den Vereinigten Staaten. Das entspricht etwa 17 Prozent aller Arzneimittelimporte.
Doch wie wird sich dieses enge Handelsverhältnis künftig entwickeln? Angesichts der jüngsten politischen Spannungen und des wirtschaftlichen Drucks sind viele Branchenexperten in Panik.
„Zölle auf Gesundheitsgüter schwächen nicht nur unsere Industrie, sie treffen letztlich immer Patientinnen und Patienten“, sagt Oliver Kirst, Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI). „Dass künftig auch Arzneimittel unter den pauschalen US-Zollsatz von 15 Prozent fallen sollen – mit vorerst wenigen Ausnahmen für Generika – ist ein fatales Signal für die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen und vor allem für die Arzneimittelversorgung insgesamt.“
Han Steutel, Präsident des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller, wiederum fürchtet „Milliardenbelastungen für den Pharmastandort Deutschland“. Er sorgt sich um Jobs und um Investitionen. Doch der Pessimismus von Lobbyisten ist mehr als Schwarzmalerei.
Europäische Pharmaunternehmen hatten bislang klare Vorteile: Der zollfreie Export in die Vereinigten Staaten aufgrund internationaler Handelsabkommen war für sie eine Grundlage für stabile Umsätze. Doch dieser Vorteil gehört jetzt der Vergangenheit an: Schon bald werden Medikamente aus Europa in den USA deutlich teurer, davon ist auszugehen. Viele Hersteller werden Zölle auf die Endpreise aufschlagen oder nach anderen Wegen suchen, um höhere Kosten zu kompensieren. Ein Rückgang der Exporte in die USA gilt als wahrscheinlich. Damit verbunden sind geringere Umsätze und Gewinne – und letztlich weniger Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Auch die Versorgungssicherheit könnte ins Wanken geraten. Vor allem hoch spezialisierte Therapien aus Europa, für die es auf dem Weltmarkt kaum Alternativen gibt, werden in den USA künftig nur noch eingeschränkt oder zu deutlich höheren Preisen verfügbar sein, das gilt als wahrscheinlich. Für Europa selbst ist die Arzneimittelversorgung vorerst nicht gefährdet. Doch indirekte Auswirkungen lassen sich nicht ausschließen, etwa durch gestörte Lieferketten oder strategische Neuausrichtungen international tätiger Konzerne.
US-Zölle sind aber nicht das einzige Problem. In den Vereinigten Staaten stehen nämlich „Most Favored Nation“-Mechanismen zur Preisbildung bei Pharmaka auf der Agenda. Die Kosten für Medikamente sollen sich künftig an den niedrigsten internationalen Preisen ähnlicher Märkte orientieren. Trumps Ziel: Amerikanische Patienten sollen von nun an nicht mehr zahlen als Bürger aus wirtschaftlich vergleichbaren Nationen wie der EU. Innerhalb von 30 Tagen soll das US-Gesundheitsministerium verbindliche Preisziele an die Hersteller übermitteln. Werden diese nicht erfüllt, drohen vielfältige Restriktionen bis hin zur „Überprüfung“ bestehender Arzneimittelzulassungen.
„Sollten US-Preise künftig an europäische Referenzwerte gekoppelt werden, könnte dies dazu führen, dass einzelne Hersteller ihre Produkte nicht mehr in Europa auf den Markt bringen – mit direkten Folgen für die Arzneimittelversorgung hierzulande“, warnt Kirst. Bislang kalkulieren Hersteller ihre Preise länderspezifisch, je nach Kaufkraft, Versorgungssystem und regulatorischem Umfeld.
Diese Differenzierung gerät zunehmend ins Wanken. Für Firmen stellt sich jetzt eine entscheidende Frage: Welche Preise können sie in Europa künftig aufrufen, ohne die Preisbasis im wesentlich profitableren US-Markt zu gefährden? Das hat auch Folgen für Markteinführungsstrategien. Neue Medikamente könnten in Europa später auf den Markt kommen – oder gar nicht mehr eingeführt werden, um niedrige europäische Preise und damit verbunden Folgen für den US-Markt zu vermeiden.
Ob Verhandlungen die Situation verbessern, ist fraglich. Damit wird für exportstarke Pharmaunternehmen die Verlagerung von Produktion oder Unternehmenssitz in die USA interessant. Gerüchte brodeln, etwa beim britischen Hersteller AstraZeneca.
Der offensichtlichste Vorteil einer Produktionsverlagerung: Unternehmen umgehen Zölle auf Arzneimittelexporte aus Europa. Werden Medikamente direkt vor Ort hergestellt, gelten sie nicht mehr als Importware und unterliegen nicht den neuen Zolltarifen. Auch bei US-Referenzpreissystemen wie dem „Most Favored Nation“-Prinzip bietet eine starke Präsenz im US-Markt strategische Vorteile. Trotz solcher Argumente sind die Investitionen und der organisatorische Aufwand hoch. Spezialisierte Produktionsanlagen, komplexe regulatorische Anforderungen, eingespielte Lieferketten und qualifiziertes Fachpersonal lassen sich nicht ohne Weiteres ersetzen.
Das Wichtigste auf einen Blick
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