KOMMENTAR | Wir Ärzte aus der Generation Z haben es nicht leicht: Ihr kritisiert unsere Prioritäten und werft uns Faulheit vor. Dabei bietet dieser Generationenwechsel Chancen für alle. Weshalb wir aufeinander angewiesen sind.
Der Autor ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
„Früher hat man einfach durchgezogen“, „Wir wurden damals auch nicht gefragt, ob und wie lang wir arbeiten wollen“ oder „Von nichts kommt nichts“ – diese und ähnliche Sätze muss sich meine Generation ständig anhören. Dabei herrscht ein Unverständnis von Arbeitsmoral und Wertvorstellungen in beide Richtungen. Wie lockert man diese verhärteten Fronten, damit man miteinander auskommt? Mein Ansatz: mit einem Perspektivwechsel.
Mit der Jahrhundertwende wurde unsere Welt innerhalb weniger Jahre digital. Nicht nur waren plötzlich Handys, dann Smartphones und soziale Medien allgegenwärtig – auch die Gesellschaft hat sich gewandelt: Die Generation Z war geboren. Und mit dieser Generation kamen rasch neue Vorstellungen und Prioritäten. Die Generation Z (Jahrgänge 1997 bis 2012) steht für Selbstverwirklichung, Diversität und das Priorisieren der psychischen Gesundheit. Sie möchte Karriere machen, aber gerne flexibel.
Was ich, der 1998 geboren ist, als selbstverständlich empfinde und mit offenen Armen empfange, stellt für den einen oder anderen aus der „Baby-Boomer-Generation” (1946 bis 1964) eine Herausforderung dar. Diese Generation ist in den Zeiten des Wiederaufbaus großgeworden; ihre Leitmotive lassen sich gut mit Sicherheit, Disziplin und beruflicher Loyalität beschreiben. Das Problem: Jetzt, im Jahr 2025, treffen wir aufeinander – und das nicht nur sozial, sondern auch beruflich, im Krankenhaus.
Der ärztliche Beruf ist für die Generation der Baby-Boomer mit Pflichtgefühl, Durchhaltevermögen und grenzenloser Belastbarkeit verbunden. War man müde, trank man Kaffee und war man überarbeitet, wurden die Zähne zusammengebissen. Weniger arbeiten? Keine Chance. Die Baby-Boomer-Generation, die viele Jahre das Rückgrat des Systems bildete, wird jetzt mit einer Generation konfrontiert, die alles anders machen will.
Mit der Generation Z steht eine neue Ärzteschaft in den Startlöchern. Für sie gelten neue Prioritäten im Arbeitsalltag. Zwischen den Generationen herrscht nicht nur ein großer Altersunterschied, es gibt auch Uneinigkeiten darüber, was es heißt, Arzt zu sein. Ich frage mich: Könnte das nicht auch eine Chance sein? Bringt neuer Input in einer überlasteten Branche nicht auch die Chance für eine positive Veränderung?
Dass die Welt sich ändert und der Zeitgeist auch, mag für den einen oder anderen befremdlich wirken, gehört aber zur Weiterentwicklung der Zivilisation dazu. Doch einigen der älteren Klinikhasen scheint das nicht zu passen. Ein Oberarzt sagte mir neulich: „Eure Generation sieht immer nur Work-Life-Balance. Bei mir war das noch nicht so. Da haben wir 18 Stunden am Tag im Krankenhaus verbracht, jeden Tag. Auch 48-Stunden-Dienste, ohne Pause …“. Ich schaute ihn entgeistert an. Als wäre eine 100-Stunden-Woche etwas Schönes. Etwas, worauf man sich freuen kann. Etwas, worauf man stolz sein kann. Ich lächelte aber nur müde und erwiderte nichts.
Selbstaufopferung ist eben eines der Motive, die seine Generation und auch sein Selbstbild prägen: „Du hast etwas erreicht, wenn du dich abmühst. Du bist etwas wert, wenn du Leid erträgst.“ Das hat heute neben zwischenmenschlichen Diskrepanzen auch gravierende Folgen für das Krankenhaus, da genau diese Generation mir hierarchisch überlegen ist und meinen Alltag bestimmt. Wenn der Chefarzt sich über die mangelnde Bereitschaft, täglich Überstunden zu leisten, echauffiert, muss man über seinen Schatten springen und sich den Spaß trotzdem antun, sonst ist man ganz schnell raus.
Es stimmt, dass unsere Generation Freizeit anders priorisiert – und dass wir sensibler auf schlechte Arbeitsbedingungen reagieren. Doch das bedeutet nicht, dass wir weniger leistungsbereit sind. Im Gegenteil: Im Studium und im Klinikalltag sehe ich viele junge Menschen, die hochmotiviert sind, Verantwortung übernehmen und sich dem immensen Arbeitspensum stellen.
Wäre das nicht so, hätten viele Unikliniken längst ein noch größeres Nachwuchsproblem. Vielleicht liegt der Unterschied eher darin, dass unsere Generation offener über Belastungen spricht – auch öffentlich, etwa über soziale Medien. Der Austausch ist schneller, direkter und sichtbarer geworden. Das kann den Eindruck erwecken, wir würden mehr „jammern“, wo frühere Generationen einfach geschwiegen haben. Aber eigentlich geht es um eine neue Form von Transparenz und ein anderes Verständnis von Selbstfürsorge.
Also, liebe Boomer: Ihr versteht nicht, dass ich mein Selbstbild nicht nur auf meinem Job und meiner Karriere aufbauen will. Ich bin ein empathischer und geselliger Mensch. Ich bin ein leidenschaftlicher Wanderer, Hobbykoch und Bücherwurm. Ich bin aber auch Partner und Freund und Kind meiner Eltern. Und ich bin Arzt. Aber anstatt es zu schätzen, dass es keine 48-Stunden-Dienste mehr gibt und ich in Teilzeit arbeiten kann, um mehr Zeit für meine Familie zu haben, werft ihr mir böse Blicke zum Feierabend zu.
Dass ich morgen trotzdem meine Arbeit mit 100%iger Belastbarkeit, Disziplin und Aufmerksamkeit mache, kommt euch wohl nicht in den Sinn. Dafür habe ich Medizin studiert: Um zu arbeiten, um zu leisten, um meinen Job mit Überzeugung zu machen. Und anstatt zu bestärken, dass meine Generation – wozu übrigens auch eure Kinder oder Enkel gehören – nach mehr Selbstfürsorge und Balance strebt, werde ich von euch mit bitteren Kommentaren bestraft. Dass ihr mir Faulheit oder Disziplinlosigkeit vorwerft, nachdem ich mich mit einem Abiturdurchschnitt von 1,0 durch sechs Jahre Studium und drei Staatsexamina gekämpft habe – nur weil ich heute entscheide, um 18 statt erst um 20 Uhr die Klinik zu verlassen – sagt mehr über euer Verständnis von Leistung als über meine Arbeitshaltung aus. Ich bin nicht faul. Ich habe nur das Glück, dass ich viele verschiedene Interessen habe und diesen auch nachgehen möchte. Mein Leben ist nicht nur Arbeit, ich bin mehr als nur Arzt.
Ärgert euch weiter, aber wundert euch nicht, wenn ich – wie ein Großteil meiner Peers – auswandere oder nicht mehr ärztlich tätig sein möchte, weil unsere Werte auf der Arbeit nicht gesehen werden. Die Arbeit, die wir leisten, wird für euch nie genug sein – weil ihr sie nicht sehen wollt. Wenn ihr dann selbst alt seid und auf Station liegt und nicht entsprechend behandelt werdet, ist euch hoffentlich klar, dass auch ihr mit eurer Einstellung den jungen Kollegen gegenüber zu diesem gravierenden Ärztemangel beigetragen habt.
Am Ende geht es hier nicht um richtig oder falsch, um alt oder jung – sondern um Menschen, die sich entschieden haben, beruflich Leben zu retten. Die Generation Z bringt Fragen mit, zu denen Baby-Boomer die Antworten kennen. Und ja, sie stellt auch vieles in Frage – aber vielleicht, weil sie gelernt hat, dass Schweigen oft krank macht.
Es ist wichtig, dass unsere Generationen miteinander einen gesunden Mittelweg finden. Wir respektieren euch und eure Arbeitsmoral, können sie aber nur zu gewissen Teilen nachvollziehen und wollen sie auch nicht mittragen. Und das sollte okay sein. Dass das Gesundheitssystem gerade einen Wandel durchläuft, lässt sich durch euch nicht aufhalten – daher unsere Bitte: Akzeptiert es und helft mit, unseren Berufsstand zu erhalten.
Was möchtet ihr der jüngeren Generation mitgeben? Schreibt es uns in den Kommentaren.
Bildquelle: Midjourney