Nano ist fast überall. Die Partikel in Molekülgröße stecken in Kosmetika, Lebensmitteln, Textilien und halten auch in der Medizin zunehmend Einzug. Doch die Eigenschaft, Barrieren im Körper zu überwinden, die sonstige Stoffe nicht durchdringen, ruft kritische Stimmen auf den Plan.
Anwendungsbereiche der Nanotechnologie sind vor allem die Elektronik, optische Datenübertragung, Prozesstechnik, Biotechnologie, Umwelttechnik und die Medizin. Experten vergleichen die Bedeutsamkeit dieser Technik mit dem Internet, dem Computer und dem Telefon. Es existiert keine vollständige Kennzeichnungs- oder Meldepflicht. Für Kosmetika und Biozide ist die Kennzeichnung seit Juni 2013 und für Lebensmittel erst ab Dezember 2014 verpflichtend – für alle anderen Produktgruppen gilt das nicht. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) fordert im ersten Schritt einen Stopp für den Einsatz synthetischer Nanomaterialien in umweltoffenen und verbrauchernahen Anwendungen. Mit der Nanotechnologie wird es möglich, Atome und Moleküle kontrolliert zu manipulieren. Doch nicht nur die Computerindustrie hat die Nanotechnologie entdeckt. Waschbecken erhalten eine Nanoversiegelung und der entstandene „Lotuseffekt“ lässt Schmutz keine Chance. Diese Technologien sind für den Anwender absolut ungefährlich. Gelangen die Kleinstteilchen jedoch in die Atemwege, kann es kritisch werden. Ähnlich wie „Kernenergie“ oder „Gentechnik“ hat sich der Begriff „Nanotechnologie“ zu einem polarisierenden Terminus entwickelt. Nanoskalige Partikel können durch ihre Mobilität nicht nur lokale sondern auch systemische Nebenwirkungen auslösen.
Bereits in einem Fachgespräch im April 2006 haben Experten aus Giftinformationszentren, Wissenschaft, Industrie, Landesbehörden und dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die Ursache für Vergiftungsfälle nach der Anwendung von Versiegelungssprays mit Nanopartikeln analysiert. „Die Vorfälle haben gezeigt, dass die Einführung neuer Technologien in Verbraucherprodukten mit einer Abschätzung der möglichen Risiken bei der Anwendung verbunden sein muss. Die Wissenschaft hat die Pflicht, dies auch dem Verbraucher zu kommunizieren“, sagte Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des BfR. Es sei unklar, was der eigentliche Grund für die Vergiftungsfälle war: das Treibgas oder die in die Alveolen eingedrungenen Nanopartikel. Die Analyse gestaltet sich schwierig, da den Herstellern nicht die genaue Zusammensetzung ihrer Sprays vorliegt. Auch ist die bisherige „Größe“ der Nanoteilchen ungewiss. Je kleiner desto lungentoxischer. Ein großes Manko und ein Risiko für den Endverbraucher.
Laut dem Think Tank Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington existieren bereits mehr als 200 Nanoprodukte auf dem Markt. Auch deutsche Firmen sind im Nanogeschäft: das Griesheimer Unternehmen Neosino beispielsweise mit Kapseln, die Siliziumdioxid, Magnesium und Calcium in Form von Nanopartikeln enthalten, und die Darmstädter Aquanova, die wasserlösliche Transportvehikel anbietet. Die Eigenschaft, Barrieren im Körper zu überwinden, die sonstige Stoffe nicht durchdringen können, wirft die Frage nach einer toxischen Wirkung auf. Der Mechanismus der „physikalischen Vergiftung“ liegt beispielsweise auch bei der oralen Aufnahme von Lampenöl und bei der Einatmung von Asbest vor. Auch hier gelangen unlösliche Teilchen in die Alveolen und schädigen die Lunge. Versuche mit Titandioxid belegen, dass 20 Nanometer große Teilchen bei Ratten zu Entzündungen in der Lunge führen, größere Partikel dagegen nicht. Titandioxid wird als Aufheller in Arzneimitteln und Zahnpasta genutzt. Mit der Nahrung gelangen Nanoteilchen in den Dünndarm und werden enteral in das Blut resorbiert. Jetzt steht einer Ausbreitung zu den Organen nichts mehr im Wege. Auch die Blut-Hirn-Schranke kann passiert werden. Im Körper können die Teilchen Entzündungsreaktionen hervorrufen, wie der Toxikologe Günter Oberdörster von der Universität Rochester nachwies.
Das Bundesumweltamt hält die Verwendung von Nanoteilchen ebenfalls für riskant und warnt auf seiner Webseite davor. Katrin Schwirn vom Bundesumweltamt hält die Ergebnisse von Oberdörster für plausibel. In der New Scientist teilte sie mit: „Ähnliche Hinweise haben wir in der Arbeitsgruppe des OECD-Sponsorship-Programms schon durch eine noch nicht veröffentlichte Studie bekommen.“
Nanopartikel können als „Trojanische Pferde“ Arzneistoffe über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn bringen. Beispielsweise wird dies bereits in Form eines Überwärmungsverfahrens mit Nano-Eisenpartikeln zur Therapie des Glioblastoms genutzt. Dabei werden den Patienten magnetisierfähige eisenhaltige Nanopartikel direkt in den Hirntumor gespritzt. Die Tumorzellen reichern den Wirkstoff an, und durch elektromagnetische Felder erhitzen sich die Metallpartikel und schädigen die Tumorzellen. Ob die Nanopartikel jemals das Hirn verlassen ist jedoch unklar. In einer In-vitro-Studie von Long et al. wurde gezeigt, dass TiO-Nanopartikel in Mikrogliazellen oxidativen Stress auslösen können. Sogar in den Nachkommen der so behandelten Mäuse konnten cerebral Nanopartikel nachgewiesen werden. Um ins Gehirn zu gelangen, müssen Nanoteilchen nicht mal eingenommen werden. Der Riechnerv hat über seine langen Axone eine direkte Verbindung zum Gehirn. Daher ist es möglich, dass eingeatmete Nanopartikel in den Riechnerv gelangen und entlang der Axone zum Gehirn transportiert werden. Die Blut-Hirn-Schranke wird dabei umgangen. Dies haben Versuche an Ratten ergeben. Da sich die humane Anatomie von der von Ratten und Mäusen unterscheidet, ist nicht klar, in welchem Umfang diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind. „Man weiß seit 1941“, so Oberdörster, „dass ein Poliomyelitis-Virus, das nicht mehr als 30 Nanometer misst, bei einem Schimpansen, dem man es durch Inhalation verabreicht hat, über die Fasern der Geruchsnerven mit einer Geschwindigkeit von 2,4 Millimeter/Stunde in das Gehirn gelangt.“
Katheter, Stents und Zahnimplantate können mit Nanopartikeln überzogen werden und so verträglicher sein. Ob die Nanosilberpartikel den Organismus verlassen, weiß kein Mensch. Auch an den Ionenkanälen des Herzens können sich Nanopartikel nach der Inkorporation einnisten. Es gibt auch positive Meinungen zur Zwergentechnologie: „Nanopartikel in dermalen Produkten, die derzeit auf dem Markt erhältlich sind, sind anhand der derzeitigen Datenlage als sicher einzustufen“, wie die Gesellschaft für Dermopharmazie in einer Stellungnahme betonte. Liposome, die mit maximal 100 Nanometer zu den Nanopartikeln gehören, werden seit langer Zeit in der Dermatologie angewendet.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat bereits im Jahr 2006 und 2010 eine Waschmaschine von Samsung kritisiert, die die Wäsche mit Silber-Nanopartikeln bearbeitet. Im September 2012 warnte auch ÖKO-TEST vor derartigen Geräten. So sollen, nach Herstellerangaben, Bakterien in den Textilien abgetötet und die Wäsche mit einem antibakteriellen Schutz von bis zu einem Monat ausgestattet werden. Die für diese Wirkung verantwortlichen Nanopartikel sind jedoch noch nicht ausführlich genug auf ihre Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit hin getestet worden, lautet der Einwand des BUNDs. In Tierversuchen hätte Silber in Nano-Größe allerdings die Entwicklung von Nervenzellen gestört und giftig auf Leber- und Geschlechtszellen der Tiere gewirkt. Das von der Bundesregierung geförderte Projekt „Nanosilber“ hat das Ziel, die potenziellen Gefahren silberhaltiger Nanopartikel zu analysieren. Auf der Homepage ist zu lesen: „Nanoskalige Materialien wie Nanosilber können neue und unbekannte Eigenschaften aufweisen. Sehr wenig ist jedoch bisher über mögliche Nebenwirkungen von Nanomaterialien bekannt. So können Stoffe, die üblicherweise als verträglich eingestuft werden, toxische Nebenwirkungen entfalten, wenn sie in nanoskaliger Größe vorliegen.“ Klickt man auf die Seite „Aktuelles“ erscheint nichts. Ruft man die Publikationen des Projektes auf, sind dort nur drei gelistet, alle aus dem Jahr 2011.
Das Forschungsprojekt „Umsicht“ untersuchte mit einem Budget über 3,7 Mio. Euro das Risiko von Nanosilber in Textilien. Die meisten Partikel sind nicht fest an der Gewebeoberfläche verankert und gelangen beim Waschvorgang in das Wasch- und Abwasser. Schon nach sechs Waschvorgängen ist fast nicht mehr von der Nanobeschichtung vorhanden. Schlecht für Kleidung und Umwelt. An Baumwolle haften die Nanoteilchen noch schlechter. Die VDI-Nachrichten berichten in einer Pressemitteilung über eine Studie Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) in Aachen. Der Wissenschaftler Karsten Schlich wies nach, dass Nanosilber über das Abwasser in den Klärschlamm gelangen und dort bis zu 90 Prozent verbleiben. Wird der Schlamm oder das Wasser zur Düngung verwendet, belastet das Nanosilber die Nahrungskette. Dieses wirkt antibakteriell und schädigt für den Stickstoffhaushalt wichtige Mikroorganismen. Pflanzen werden unter hohen Silberkonzentrationen in ihrem Wachstum gehemmt. Glücklicherweise wird ein Großteil des Nanosilbers durch Sulfide unlöslich, so die Studienergebnisse des Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag. Allerdings können immerhin noch 5 Prozent der Nanosilberteilchen den Endverbraucher erreichen. Nanosilber steht im Verdacht, die Ausbildung resistenter Keime zu fördern. Medizinische Anwendungen könnten so wirkungslos werden. Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien wies darauf hin, dass Wirkungen und Gefahren von Nanosilber überhaupt zu wenig erforscht seien. „Es gibt sehr viele Risiken wie Hinweise auf Resistenzentwicklung. Der Nutzen ist aus ärztlicher Sicht überhaupt nicht gegeben.“ Auch in der Natur richtet Nanosilber Schäden an. Jungforellen werden durch Silber in ihrer Entwicklung beeinträchtigt.
Das BfR hat unter dem Namen „NanoView“ ein Forschungsprojekt zur Wahrnehmung der Nanotechnologie in der deutschen Bevölkerung und den deutschen Medien abgeschlossen. Analysiert wurden insgesamt 591 Artikel der zehn führenden Printmedien aus der Gruppe der Zeitungen und Nachrichtenmagazinen. Verbraucher halten nicht viel von Nanotechnologie in Lebensmitteln: 84 Prozent lehnen Nanopartikel ab, die Lebensmittel länger frisch aussehen lassen. „Die Bevölkerung nimmt sie trotz der vorhandenen Wissenslücken als eine Technologie wahr, bei der der Nutzen die potentiellen Risiken überwiegt. Das BfR wird mit einer gezielten Kommunikationsstrategie dazu beitragen, die vorhandenen Wissenslücken zu schließen“, so das Ergebnis des Projektes. Es gibt wohl kaum eine Technologie, wo so viele Fragen unbeantwortet sind. Problematisch für eine objektive Beurteilung ist sicherlich die enorme finanzielle Kraft der Nano-Lobby. Nicht selten stehen die beratenden Wissenschaftler „unabhängiger“ Gremien auf der Gehaltsliste der Nano-Industrie oder erhalten nach dem Ausscheiden aus dem Gremium dort eine Führungsposition. Dies wurde unlängst dokumentiert und schafft nicht gerade Vertrauen.