Künstliche Intelligenz ist längst keine Zukunftsmusik mehr – sie ist in vielen Disziplinen angekommen. Gemeinsam mit 5 Ärzten werfen wir einen Blick in ihren Arbeitsalltag mit KI.
Für Eilige gibt’s am Ende eine Zusammenfassung.
Die Erwartungen und Wünsche an Künstliche Intelligenz (KI) sind hoch: schnellere Abläufe, präzisere Diagnosen, weniger Bürokratie. Doch von der technischen Machbarkeit bis zur alltäglichen Nutzung ist es ein weiter Weg, der seine Zeit benötigt. Systeme müssen funktionieren, sich in komplexe Abläufe einfügen, gesetzliche Vorgaben erfüllen und das Vertrauen aller Beteiligten gewinnen.
Richtig eingesetzt, unterstützt KI in Alltagssituationen und optimiert Arbeitsabläufe. „Es geht nicht darum, ein technisches Problem zu lösen, sondern einen konkreten Mehrwert in einem speziellen Prozess zu schaffen“, so Prof. Christian Ledig, Inhaber des Lehrstuhls für Erklärbares Maschinelles Lernen, Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seiner Meinung nach ist es häufig wirkungsvoller, KI-Lösungen zu entwickeln, die Vielen ein bisschen helfen – als ein System, das Einzelnen viel hilft. Für Erfolge in der Mammografie gibt es bereits Studien dazu.
Für Prof. Stefanie Speidel, Professorin für Translationale Chirurgische Onkologie, am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT) ist die Anwendung von KI in der Medizin bereits in mehreren Disziplinen sichtbar. Sie sieht dynamische Entwicklungen und die Chance „Diagnostik, Therapie, Prävention und Ausbildung zu verbessern und personalisierte Behandlungen zu ermöglichen.“ Auch sie nennt die Mammografie. In deutschen Brustkrebs-Screening-Zentren steigert eine zertifizierte KI als ‚Second Reader‘ die Krebsentdeckungsrate, ohne die Fehlerquote zu erhöhen (hier). Möglich wurde dies durch CE-Zulassung, klinische Studien und die Integration in bestehende Systeme. Eine zeitliche Investition, die sich durch eine höhere Diagnosesicherheit und entlastete Radiologen lohnt.
Prof. Daniel Rückert, Professor für KI in Medizin und Gesundheitsversorgung und Leiter des Instituts für KI und Informatik in der Medizin, Technische Universität München (TUM), sieht den Mehrwert für die Radiologie besonders in der Zeitersparnis. KI-Algorithmen beschleunigen z. B. MRT-Untersuchungen und verbessern gleichzeitig die Bildqualität. „Das verringert die Zeit, die Patienten im Scanner liegen müssen und erlaubt gleichzeitig bessere Diagnosen.“
Ein weiteres Beispiel ist die Augenheilkunde. Hier können KI-Geräte vollautomatisch Netzhautschäden bei Diabetikern erkennen. Prof. Philipp Berens, Professor für Data Science, Direktor des Hertie Institute for AI in Brain Health, berichtet: „In der Augenheilkunde gibt es bereits Fragestellungen, für die es sehr gute, zugelassene Geräte mit KI-Unterstützung gibt. Mehrere Anbieter haben Geräte im Angebot, die vollautomatisiert Fotos vom Augenhintergrund machen können. Auf den Fotos ist die Netzhaut zu sehen. Die Geräte geben dann mit Hilfe von KI eine Einschätzung ab, ob die Netzhaut gesund ist oder ob ein Besuch bei einer Augenarztpraxis anzuraten wäre. So eingesetzt könnte das System viel Zeit und Geld sparen und zu einer besseren Versorgung beitragen.“ Insbesondere bei Diabetespatienten würde sich das schnell rechnen, da sie sich regelmäßig augenärztlich untersuchen lassen sollten, um auszuschließen, dass ihre Netzhaut durch die Diabeteserkrankung geschädigt wird. Bei über 10 Millionen Diabeteskranken in Deutschland und nur etwa 8.000 Augenärzten klingt das doch sehr praktisch.
Aber auch in der Administration ist Platz für KI. So wird es dank Large Language Models (LLM) möglich, „in großen Datenmengen gezielt Informationen zu finden – etwa den Medikationsstatus oder relevante Vorbefunde.“ So Prof. Felix Nensa, Forschungsgruppenleiter am Institut für künstliche Intelligenz in der Medizin und leitender Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie, Universitätsklinikum Essen. Er betont außerdem, den Unterschied zwischen KI und LLM zu bedenken, um Unsicherheiten und Missverständnisse zu beseitigen.
LLMs sind spezialisierte Sprachmodelle, keine universelle KI. Sie erkennen Muster in Texten, generieren Inhalte und können als Schnittstelle zu Fachsystemen dienen. „Das Modell kontextualisiert, die Entscheidungsverantwortung bleibt beim Menschen“, so Nensa. In der Medizin eignen sie sich für Dokumentation, Kommunikation und Informationsrecherche – nicht aber für eigenständige Entscheidungen.
Bei all der Innovation, muss natürlich auch darauf geachtet werden, dass alles mit rechten Dingen zugeht. In der EU regelt die Medical Device Regulation (MDR) die Zulassung medizinischer KI-Systeme. Voraussetzungen sind beispielsweise klinische Validierung, CE-Kennzeichnung und Integration in bestehende Systeme. Jedoch gibt es bisher nicht viele Systeme mit einer CE-Kennung – und eine Liste mit zugelassenen Geräten für Europa, so wie die FDA dies für Amerika herausgibt, ist Ledig (Stand 22.07.2025) nicht bekannt. Hier muss man sich also selbst der Recherche widmen.
Ledig kennt weitere Hürden: ein erhöhter Zeit- und Kostenaufwand für die Zulassung von KI-Algorithmen als Medizinprodukt oder komplexe Krankenhaus-IT, die man nicht einfach so verändern kann. Berens sieht den Zeitaufwand und plädiert für Geduld, „manche dieser Hürden sind durchaus legitim – eine Gesundheitsanwendung von KI ist ja kein Handyspiel, das man wieder löscht, wenn es zu viele Bugs hat. Wir sollten die Entwicklungszyklen hier vielleicht eher mit denen von Medikamenten vergleichen.“
Ein oft genannter Kritikpunkt für LLMs in der Medizin ist der Vergleich mit einer Blackbox: Dem Anwender werden die Entscheidungswege nicht immer nachvollziehbar offengelegt, die Entscheidungsfindung des Systems wird also unklar. Im klinischen Alltag ist Erklärbarkeit jedoch berechtigterweise Pflicht. Wie kann also für Akzeptanz und Vertrauen gesorgt werden? „Die Akzeptanz von KI in der Medizin beruht nicht allein auf methodischer Leistung, sondern erfordert Transparenz, Erklärbarkeit, rechtliche Verlässlichkeit sowie eine partizipative Entwicklung“, so Speidel. Denn, die Verantwortung für Fehler liegt letztendlich immer beim Menschen, weshalb Systeme so gestaltet sein müssen, dass menschliche Supervision zu jedem Zeitpunkt möglich ist.
So könnte auch die Angst vor der Nutzung der Systeme genommen werden. Außerdem merkt Nensa an, dass KI nicht als Bedrohung der eigenen Profession empfunden werden darf. Statt Tätigkeiten zu ersetzen, sollten KI-Systeme gezielt bei repetitiven, zeitraubenden Aufgaben unterstützen – etwa bei der Informationssuche oder Dokumentation. So bleibt die medizinische Verantwortung beim Menschen, während die KI als Assistenzsystem im Hintergrund arbeitet.
Vertrauen muss allerdings nicht nur bei Ärzten zum Thema KI aufgebaut werden. Auch Patienten fragen sich, wie vertrauenswürdig Ärzte sind, die KI nutzen. Das hat eine Studie von Würzburger Psychologen gezeigt: Ärzte, die in ihrer Arbeit den Einsatz von KI angeben, werden von Patienten als weniger kompetent, vertrauenswürdig und empathisch wahrgenommen – selbst wenn die KI nur für administrative Aufgaben genutzt wird.
In einem Experiment bewerteten über 1.200 Teilnehmende Werbeanzeigen fiktiver Ärzte, die sich nur in der Information zum KI-Einsatz unterschieden. Die Forscher vermuten, dass die Skepsis aus der Sorge entsteht, Ärzte könnten der KI blind folgen. Da Vertrauen ein zentraler Faktor für den Behandlungserfolg ist, empfehlen die Autoren, beim Informieren über KI-Nutzung potenzielle Bedenken aktiv auszuräumen und die Vorteile, wie mehr Zeit für persönliche Betreuung, zu betonen.
KI kann den Arbeitsalltag schneller, präziser und effizienter machen. Doch sie ist kein Selbstläufer. Entscheidend sind validierte Systeme, passende Einsatzfelder, klare Regularien, transparente Entscheidungswege und die Einbindung der Menschen, die mit ihr arbeiten. Nur dann wird aus technologischer Innovation auch ein Fortschritt in der Patientenversorgung. Das alles kostet viel Zeit und Geld, Nerven und Geduld – die sich auf lange Sicht aber lohnen und uns als Land wettbewerbsfähig halten und langfristig entlasten.
KI ist in der Medizin längst Realität – etwa in der Radiologie, Administration oder Augenheilkunde. Sie kann Diagnosen verbessern, Prozesse beschleunigen und Fachpersonal entlasten. Entscheidend für den Erfolg sind klinische Validierung, nahtlose Integration, transparente Entscheidungswege und die Einbindung von Ärzten und Patienten. Hürden bleiben hohe Zulassungsanforderungen, IT-Infrastruktur und Akzeptanzfragen. Denn, das deutsche System ist darauf noch nicht eingestellt und – wie wir alle wissen, etwas zäh. Die Zukunft gehört Anwendungen, die verlässlich arbeiten, dabei transparent und nachvollziehbar sind und menschliche Kontrolle ermöglichen. Es gilt außerdem nicht, den Menschen zu ersetzen, sondern ihn zu entlasten. Im ersten Schritt muss dafür ein Mehraufwand betrieben werden, der sich allerdings auf lange Sicht dann lohnt.
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