Die Herzfrequenzvariabilität im Schlaf liefert frühe Hinweise auf Erkrankungen, die bei standardmäßigen Polysomnographien durch die Lappen gehen. Was ihr jetzt wissen müsst.
Die Herzfrequenzvariabilität, auch Herzratenvariabilität (HRV) genannt, beschreibt die natürliche Schwankung der Zeitintervalle zwischen den einzelnen Herzschlägen. Sie ist ein Indikator für die Anpassbarkeit der Herzfrequenz durch das vegetative Nervensystem und passt sich den körperlichen und psychischen Anforderungen an. Im Schlaf ist sie ein wichtiger Anhaltspunkt für die Regeneration des Körpers. So deutet eine höhere HRV während des Schlafs, insbesondere in den Tiefschlafphasen, auf eine gute kardiovaskuläre Fitness und eine effektive Erholung des Körpers hin. Schlechter oder zu kurzer Schlaf kann die HRV senken, was auf eine unzureichende Regeneration hinweist.
Die Frage, ob sich durch die Analyse der HRV potenzielle Gesundheitsrisiken frühzeitig erkennen lassen und dadurch präventive Maßnahmen gezielt eingesetzt werden könnten, ist bislang nicht abschließend geklärt. Aktuelle Forschungsergebnisse, die kürzlich auf dem Kongress der European Academy of Neurology vorgestellt wurden, konnten einen starken Zusammenhang zwischen der nächtlichen HRV und dem zukünftigen Gesundheitszustand feststellen – sogar bei Menschen ohne offensichtliche Schlafstörungen.
Für die Studie wurden 4.170 Personen über einen Beobachtungszeitraum von 13.217 Personenjahren untersucht. Mittels nächtlicher Polysomnographie dokumentierten die Forscher die Schlafarchitektur und 21 HRV-Parameter als Indikatoren für die Funktion des autonomen Nervensystems. Die Teilnehmer wurden auf die Entstehung von 36 verschiedenen Komorbiditäten hin beobachtet, welche in acht Hauptkrankheitskategorien gruppiert wurden. Während herkömmliche Schlafmessungen nur begrenzte Zusammenhänge mit künftigen Erkrankungen zeigten, waren HRV-Muster stark mit auftretenden Komorbiditäten verbunden.
Eine ungewöhnlich hohe und komplexe HRV während des Schlafs wurde mit der Entwicklung neurologischer Erkrankungen, insbesondere Schlaganfällen, in Verbindung gebracht. Eine erniedrigte HRV trat häufig bei Personen auf, die im weiteren Verlauf eine Depression entwickelten. Auch Stoffwechsel- und endokrine Erkrankungen waren mit einer ungewöhnlich hohen HRV verbunden, insbesondere mit einer hohen, sehr niederfrequenten Komponente. Ebenso wurden Herz-Kreislauf- und endokrine Erkrankungen mit einer auffallend hohen HRV in Verbindung gebracht.
Auch nach Anpassung an Alter und Geschlecht blieben diese Zusammenhänge signifikant. Tendenziell nimmt die HRV mit zunehmendem Alter ab und Frauen haben eine eher höhere HRV als Männer. Zudem zeigten einige Teilnehmer, die nach herkömmlichen Maßstäben „normal“ geschlafen hatten, dennoch abnormale HRV-Muster, was auf ein verstecktes Risiko hindeutet, das durch standardmäßige Schlafuntersuchungen nicht erkannt werden würde.
Die HRV wurde bereits in früheren Studien mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Hier wurde der Schwerpunkt allerdings nicht auf eine nächtliche Messung der HRV gelegt. So konnte Kemp et al. in einer Arbeit im PLoS One zeigen, dass eine niedrige HRV mit einem erhöhten Risiko für depressive Episoden verbunden war und dass die HRV als Prädiktor für den Behandlungserfolg dienen könnte. Auch bei Patienten mit einer Angsterkrankung war die HRV signifikant reduziert. Im Bereich der kardiovaskulären Erkrankungen ist die Studie von Thayer et al. zu nennen. Diese Meta-Analyse zeigte, dass eine niedrige HRV ein Prädiktor für erhöhte Mortalität bei Patienten mit Herzkrankheiten ist. In der Forschungsarbeit von La Rovere et al. wurde festgestellt, dass Patienten nach einem Myokardinfarkt mit einer niedrigen HRV ein höheres Risiko für plötzlichen Herztod haben.
Auch der Zusammenhang zwischen der HRV und neurovaskulären Erkrankungen wurde schon in früheren Studien beschrieben – allerdings mit anderen Ergebnissen. In einer prospektiven Studie aus dem Jahr 2018 wurde beobachtet, dass eine niedrige HRV am Tag bei Hochrisikopatienten mit einem erhöhten Risiko für den ersten Schlaganfall verbunden war. Die Forscher betonten, dass die HRV eine einfache, nichtinvasive Methode sein könnte, um das individuelle Risiko zu bewerten. Neue Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Verbesserung der HRV durch Lebensstiländerungen, wie regelmäßige Bewegung, Stressmanagement und gesunde Ernährung, das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen senken könnte.
Diese Ergebnisse der Studie von Filchenko et al. legen das Potenzial der HRV als aussagekräftiger früher Biomarker für eine Reihe schwerwiegender Erkrankungen nahe. Außerdem scheint Schlaf eine entscheidende Säule einer langfristigen Gesundheit zu sein. Für die klinische Praxis deutet diese Forschung darauf hin, dass die Überwachung der HRV im Schlaf dazu beitragen könnte, gefährdete Personen vor dem Auftreten von Symptomen zu identifizieren. Dies würde frühere Interventions- und Präventionsstrategien für Krankheiten wie neuro- und kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Depression ermöglichen. Da die Ergebnisse jedoch teils noch widersprüchlich sind, ist noch weitere Forschung nötig, bevor die Methode ihren Weg in die Praxis findet.
Fyfe-Johnson et al.: Heart Rate Variability and Incident Stroke: The Atherosclerosis Risk in Communities Study. Stroke, 2016. doi: 10.1161/STROKEAHA.116.012662.
Bildquelle: Midjourney