Viele Lebensmittel stecken voller synthetischer Verbindungen, die unserer Gesundheit massiv schaden. Wie ihr diese unbequeme Wahrheit in der Sprechstunde unterbringt.
Die Risikochemikalien stecken vor allem in hochverarbeiteten Fertigprodukten (ultra processed food; UPF), so die Expertin Jane Muncke bei der Stiftung Forum für Lebensmittelverpackungen in Zürich und Erstautorin der Publikation. Unter dem Oberbegriff Lebensmittelkontaktchemikalien (food contact chemicals; FCC) werden die Gefahrstoffe zusammengefasst.
Gemeint sind damit Kunststoffbestandteile, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen. Hierzu zählen so bekannte Verbindungen wie Bisphenol A (BPA), Phthalate wie z. B. Di(2-ethylhexyl)phthalat (DEHP) sowie per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) wie z. B. Perfluoroctansäure (PFOA). Schätzungen der Autoren zufolge existieren bis zu 100.000 FCCs. Mehr als 15.000 davon sind bekannt, und etwa 12.000 werden gezielt bei der Herstellung von Lebensmittelkontaktmaterialien eingesetzt.
In die industriell hergestellten Fertigprodukte gelangen die Problemstoffe z.B. durch die maschinellen Verarbeitungsprozesse. FCCs können z. B. aus nicht inerten Materialien von Maschinen, Transportbändern, Abfüllvorrichtungen, Vorratsbehältern, Lagertanks, Schläuchen sowie Leitungs- und Rohrsystemen herausgelöst werden bzw. ausgasen. Der Übergang der FCCs in die Fertigprodukte ist in erster Linie abhängig von der Verarbeitungstemperatur, dem pH-Wert, der Löslichkeit, dem Fett- und Salzgehalt der Rohstoffe sowie der Expositionsdauer. So nimmt z. B. die Migration von FCCs bei höheren Temperaturen zu, beispielsweise wenn Lebensmittel direkt in ihrer Verpackung pasteurisiert werden, wie bei Milch, Nudelgerichte, Eintöpfe, Desserts und viele andere Fertiggerichte.
Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff stellen eine weitere wichtige Quelle synthetischer FCCs dar. Dazu zählen z. B. Becher für Joghurt und Streichfette, Plastikflaschen für Soft- und Energydrinks, Tetra-Pak-Behälter für Milch und Fruchtsäfte, Frischhaltefolien für Käse und Schinken, Quetschflaschen für Dressings und Saucen, Plastikschalen für Fleisch- und Wurstwaren, Folientüten für Müslimischungen und Trockenfrüchte sowie Frischhaltebeutel für Backwaren und Tiefkühlkost. Lebensmittel mit kleinen Partikeln und einer großen Gesamtoberfläche im Verhältnis zum Volumen, wie z. B. Zucker, Mehl, Kakaopulver, gemahlene Nüsse, Couscous, Haferflocken, homogenisierte Milch und Instant-Kaffee, sind besonders exponiert. Lange Transportwege und Lagerzeiten begünstigen darüber hinaus den Übergang von FCCs in Lebensmittel.
Des Weiteren können auch bei der Essenszubereitung FCCs in Speisen und Getränke übertreten. So werden viele Fertigprodukte direkt in ihrer Verpackung in der Mikrowelle aufgewärmt oder erhitzt, was die Migration von FCCs in diese Lebensmittel verstärkt. Auch beim Erhitzen von Wasser im Wasserkocher können Chemikalien in den Kaffee oder Tee gelangen, wenn die innere Kontaktfläche des Geräts nicht inert ist, also z. B. aus Kunststoff statt aus Edelstahl besteht.
Überdies gibt es noch weitere Risikochemikalien, die erst durch die Verarbeitung der Lebensmittel entstehen wie z. B. Acrylamid, Transfette, fortgeschrittene Glykationsendprodukte (advanced glycation endproducts; AGEs), Furane und Acrolein. Zusammengefasst werden diese Substanzen auch als Verarbeitungskontaminanten bezeichnet. Acrylamid z. B. entsteht durch die Reaktion der Aminosäure Asparagin mit den reduzierenden Zuckern Glukose und Fruktose beim Erhitzen von Lebensmitteln über 120 Grad (Maillard-Reaktion).
Erhöhte Acrylamidgehalte finden sich in typischen Fertigprodukten wie Pommes frites, Kartoffelchips, dunklen Brotkrusten, Keksen und Kaffee, da Acrylamid beim Backen, Braten, Frittieren und Rösten entsteht. Acrolein entsteht durch starkes Erhitzen von Speiseölen und Fetten durch die Abspaltung von Wasser aus Glycerin.
Auch Lebensmittelzusatzstoffe (food additives), also absichtlich zugesetzte synthetische Chemikalien in Lebensmitteln, sind nicht ohne gesundheitliche Risiken. In der Europäischen Union sind gegenwärtig etwa 350 Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen und tragen eine E-Nummer. Obwohl alle Einzelsubstanzen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) einer akuten Sicherheitsbewertung unterzogen wurden, fehlen in der Regel Studien zu den langfristigen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sowie Sicherheits- und Verträglichkeitsdaten für Substanzgemische.
Einige weit verbreitete Lebensmittelzusatzstoffe, wie z. B. Süßstoffe und Emulgatoren, werden mit einem erhöhten Risiko für nicht übertragbare Erkrankungen wie Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Krebs sowie Störungen der Darm-Mikrobiota in Verbindung gebracht.
Zahlreiche Studien zeigen, dass FCCs wie Bisphenole, Phthalate und PFAS die menschliche Gesundheit schädigen können. Bereits seit den 1990er Jahren ist bekannt, dass alle drei Substanzgruppen hormonelle Wirkungen entfalten. Sie werden deshalb auch als endokrine Disruptoren bezeichnet. Ihnen wird ein erhöhtes Risiko für Früh- und Fehlgeburten sowie für Fruchtbarkeitsstörungen bei Männern und Frauen zugeschrieben, darunter eine verminderte Spermienqualität und Zyklusstörungen.
Außerdem stehen sie im Verdacht, Fehlbildungen der Geschlechtsorgane zu begünstigen, den Beginn der Pubertät zu verfrühen sowie das Risiko für Brust-, Prostata- und andere hormonabhängige Krebsarten zu erhöhen. Das Phthalat DEHP wird darüber hinaus mit der Entwicklung von Adipositas, Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht. Experten schätzen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs auf 40 bis 69%. Das zu den PFAS gehörende PFOA wurde schon im Dezember 2023 von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als eindeutig krebserregend eingestuft.
Seit dem 20. Januar 2025 gilt in der EU ein vollständiges Verbot von BPA in allen Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen! BPA-haltige Produkte, die jedoch vor Inkrafttreten der EU-Verordnung in Verkehr gebracht wurden, dürfen noch bis zum 20. Juli 2026 abverkauft werden. Für Konservendosen (Obst, Gemüse, Fisch etc.) gilt ebenfalls eine verlängerte Frist bis zum 20. Januar 2028. Für professionelle Ausrüstung und Anlagen (Tanks, Behälter, Abfüllvorrichtungen, Leitungs- und Rohrsysteme, Transportbänder sowie Großküchengeräte) wurden Übergangsfristen sogar bis zum 20. Januar 2029 eingeräumt.
UPFs gelten nach Ansicht der Autoren schon lange als eigenständige Gesundheitsgefahr. Hinzu kommt, dass keine andere Lebensmittelgruppe so stark mit FCCs belastet ist. Gemeinsam bilden UPF und FCC somit eine unheilvolle Allianz, eine toxische Symbiose, die der menschlichen Gesundheit erheblich schadet.
Das Resultat: künstliche Phantasieprodukte, die überwiegend aus isolierten Zuckern, modifizierter Stärke, gehärteten Fetten, raffinierten Ölen, Aminosäuren-Mischungen sowie hohen Konzentrationen an Salz und synthetischen Zusatzstoffen bestehen – und in dieser Beschaffenheit, Zusammensetzung und Energiedichte nie Bestandteil der menschlichen Ernährung waren. Durch den Verarbeitungsprozess wird die natürliche Lebensmittelmatrix zerstört, wodurch ein Großteil der Ballast- und Vitalstoffe verloren geht.
Ihre gesundheitsschädliche Wirkung entfalten die UPFs vor allem durch die höhere Bioverfügbarkeit der fraktionierten Nährstoffe sowie deren raschere Resorption. Mittel- und langfristig werden dadurch die körpereigenen Mechanismen zur Regulation von Hunger und Sättigung überfordert, was die Entstehung von Übergewicht und Adipositas begünstigt und damit zur Entwicklung metabolischer, kardiovaskulärer, gastrointestinaler, respiratorischer, neurodegenerativer, immunologischer und mentaler Erkrankungen sowie bösartiger Neubildungen und vorzeitiger Sterblichkeit beiträgt.
Noch vor 150 Jahren kamen die meisten Lebensmittel von Bauernhöfen, Bäckern, Metzgern, Fischhändlern, Käsereien, Ölmühlen oder Imkern und wurden auf lokalen Märkten zum Verkauf angeboten. Sie waren naturbelassen oder schonend verarbeitet (gepökelt, fermentiert, geräuchert, getrocknet), d. h. ihre Integrität (Matrix bzw. Textur) war weitgehend erhalten. Ihre ursprüngliche Herkunft ließ sich somit leicht zurückverfolgen und war in der Regel mit bloßem Auge erkennbar.
Heute dominieren UPFs unsere Ernährung. Weltweit variiert der Anteil der täglich durch UPFs aufgenommenen Kalorien von etwa 15 % in Rumänien über 38 % in Deutschland bis hin zu rund 58 % in Großbritannien und den USA. UPFs tragen somit in besonderem Maße zur Belastung mit FCCs bei. FCCs stellen somit eine additive, wenn nicht sogar synergistische Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. Studien aus den USA zeigen, dass ein höherer Konsum von UPFs sowie der häufige Verzehr von Fast Food mit erhöhten FCC-Blutspiegeln einhergeht. Etwa 98 % der US-Bevölkerung haben PFAS im Blut.
Die erste große epidemiologische Studie, die einen direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum von UPFs und einem erhöhten Risiko für schwerwiegende gesundheitliche Störungen gefunden hat, war die französische NutriNet Santé Studie. In dieser prospektiven Kohortenstudie wurden etwa 180.000 Erwachsene über 15 Jahre beobachtet. Die Ergebnisse zeigten erhöhte Inzidenzen für Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes.Bereits eine 10%ige Zunahme des UPF-Anteils an der täglichen Ernährung (gemessen anhand der NOVA-Klassifikation) ging mit einer um etwa 12 % erhöhten allgemeinen Krebswahrscheinlichkeit und mit einer um 11 % gesteigerten Brustkrebsrate einher.
Zahlreiche Auswertungen des UK-Biobank Datensatzes bestätigten die französischen Ergebnisse. Dort zeigte sich beispielsweise, dass ein um 10 Prozentpunkte höherer UPF-Anteil mit einem um 2 % erhöhten Gesamtkrebsrisiko und mit einer um 19 % höherer Inzidenz von Eierstockkrebs verbunden war.
Die derzeit vorliegende Evidenz, die den UPF-Konsum für eine Vielzahl negativer Gesundheitseffekte verantwortlich macht, umfasst über 90 prospektive Studien, mit großen Populationen, langen Beobachtungszeiträumen, zahlreichen Ethnien, vielen Altersgruppen und diversen Risikogruppen (Schwangere, Stillende). Die Mehrheit der Studien bestätigt, dass der Zusammenhang zwischen UPF-Konsum und gesundheitlichen Auswirkungen auch nach Kontrolle zahlreicher Störfaktoren statistisch signifikant bestehen bleibt.
Eine aktuelle Übersichtsarbeit (Umbrella Review) mit fast 10 Millionen Teilnehmern konnte dosisabhängige und hochgradig konsistente positive Zusammenhänge zwischen dem Konsum von UPF und Adipositas, kardiometabolischen Erkrankungen, psychischen Störungen und vorzeitiger Sterblichkeit nachweisen. Randomisierte kontrollierte Studien, wie die Ernährungsinterventionsstudien von Williams Kevin Hall und Hamano, erbrachten mittlerweile auch den Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von UPFs und der Entwicklung von Übergewicht sowie Dyslipidämie.
Nach Ansicht der Wissenschaft sind die vorliegenden Erkenntnisse zu UPF und FCC ausreichend, um umfassende verhältnispräventive Maßnahmen zu rechtfertigen. Solange politische Maßnahmen jedoch ausbleiben, ergeben sich folgende praktische Empfehlungen für eine gesundheitsbewusstere Ernährung, die ihr euren Patienten mitgeben könnt:
Bildquelle: Midjourney