Kaltwasseranwendungen erleben seit einigen Jahren einen starken Aufschwung. Methoden wie das Wim-Hof-Protokoll haben dem Eisbaden mediale Aufmerksamkeit verschafft – doch was sagt die Wissenschaft?
Dieser Artikel bietet einen nüchternen Überblick über physiologische Effekte, potenzielle Risiken und den aktuellen Stand der Forschung zum Kaltbaden.
Nicht jede positive Wirkung des Badens ist auf die Temperatur zurückzuführen. So reduziert allein die Wasserkontaktfläche die neuromuskuläre Aktivierung um bis zu 35 % und verringert subjektive Ermüdung – ein Effekt, der unabhängig von der Temperatur entsteht (Pöyhönen et al. 1999, 2002).
Hinzu kommt der hydrostatische Druck: Je tiefer der Körper im Wasser, desto größer der Druck – was die Herzleistung steigert, den Blutfluss verbessert, den Abtransport von Metaboliten fördert und möglicherweise Muskelschäden reduziert (Becker 2004, Poppendieck et al. 2013). Dies lässt sich theoretisch auch durch Kompressionskleidung simulieren.
In direkten Vergleichen schneidet Kälte besser ab als Wärme. Heiße Bäder könnten laut Tiermodellen sogar die Synthese des StAR-Proteins hemmen, das für die Testosteronproduktion essenziell ist (Hwang et al. 2010).
Als „kalt“ gelten in Studien meist 10–15 °C Wassertemperatur (Wilcock et al. 2006). Beim klassischen Eisbaden sind Temperaturen unter 5 °C keine Seltenheit – dies geht über die meisten Studienbedingungen hinaus.
Ein zentraler Kritikpunkt am Kaltbaden ist die Sorge um mögliche Hemmung anaboler Prozesse.
In der Studie von Yamane et al. (2015) wurden bei einem Unterarm-Trainingsprotokoll schlechtere Masse- und Gefäßanpassungen nach 20 Minuten Eiskontakt (10 °C) festgestellt. Eine andere Arbeit (Roberts et al. 2015) zeigte geringere Kraftzuwächse und reduzierte Aktivität der Satellitenzellen bis zu 48 h nach dem Kältebad.
Allerdings ist dabei zu beachten: In diesen Studien wurden die trainierten Muskeln gezielt und langanhaltend heruntergekühlt – zudem durften sich die Probanden bis zu zwei Stunden nach dem Kältebad nicht aktiv erwärmen. Übertragbar auf die Praxis (z. B. kurzes Kaltbaden mit anschließender Bewegung) sind diese Befunde nur bedingt.
Fazit: Akute Kälteexposition unmittelbar nach dem Training kann theoretisch Anpassungsprozesse hemmen – insbesondere bei gezielter Kühlung ohne Rewarming. Ob kürzere, moderate Anwendungen mit aktiver Nachbewegung einen vergleichbaren Effekt haben, ist aktuell nicht geklärt.
Demonstration Eisbaden; Quelle: Vincent Braukämper
Kaltwasseranwendungen führen nicht zu einer Erhöhung des Cortisolspiegels (Šrámek et al. 2000), sehr wohl aber zur Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin – mit mess- und spürbarer Aktivierung des sympathischen Nervensystems. Dies kann sowohl belebend als auch stimmungsaufhellend wirken.
In einer Hypothese wurde Kaltwasserduschen als mögliche Therapieoption bei Depression diskutiert (Shevchuk 2008). Gleichzeitig berichten einige Studien über gegenteilige Effekte – etwa die Auslösung depressiver Symptome nach wiederholter Kälteexposition bei Athleten (Schimpchen et al. 2017).
Die individuelle Reaktion auf Kälte ist daher nicht pauschalisierbar. Kaltwasser ist Stress – ob dieser positiv oder negativ verarbeitet wird, hängt stark vom Kontext ab.
Wiederholte Kälteexposition fördert die Bildung weißer Blutkörperchen und damit unspezifische Immunfunktionen.
Außerdem wird die Aktivität beigen Fettgewebes stimuliert, welches für adaptive Thermogenese und erhöhten Energieverbrauch verantwortlich ist. Dadurch friert man weniger schnell – ein interessanter Aspekt für chronische "Frostbeulen".
Ob Kaltbaden direkt zur Gewichtsreduktion beiträgt, ist hingegen nicht belegt. Bewegung und Ernährung bleiben essenziell.
Kaltbaden ist nicht für jeden geeignet. Vorsicht gilt u. a. bei:
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (insbesondere Bluthochdruck, Arrhythmieneigung)
Atemwegserkrankungen (z. B. Asthma)
Epilepsie
Schwangerschaft
Pathologischer Kälteintoleranz
Eine ärztliche Rücksprache vor dem Einstieg ist in diesen Fällen angeraten.
Kaltbaden ist kein Allheilmittel, aber ein vielseitiges Tool zur Förderung von Resilienz, Immunstabilität und möglicherweise auch Regeneration. Die Effekte auf den Muskelaufbau sind differenziert zu betrachten: Als Regenerationsmaßnahme im Wettkampfkontext oder zur mentalen Konditionierung ist kaltes Wasser durchaus sinnvoll. Im hypertrophieorientierten Training sollte die Anwendung überlegt und kontextabhängig erfolgen.
Literatur (Auswahl):
Braukämper, V. (2022): Kaltbaden und Eiswasser – Wissenschaft, Mythen und Praxis. Intelletics Journal. (Zugriff am: 09.02.2022)
Becker, B. E. (2004): Biophysiologic aspects of hydrotherapy. In: Cole, A. J.; Becker, B. E. (Hrsg.): Comprehensive Aquatic Therapy, 2. Aufl., Philadelphia: Butterworth-Heinemann, S. 19–56.
Pöyhönen, T. et al. (1999): Human isometric force production and EMG activity in water and on dry land. Eur J Appl Physiol, 80(1), 52–56.
Pöyhönen, T.; Avela, J. (2002): Effect of head-out water immersion on neuromuscular function. Aviat Space Environ Med, 73(12), 1215–1218.
Poppendieck, W. et al. (2013): Cooling and performance recovery of trained athletes: A meta-analytical review. Int J Sports Physiol Perform, 8(3), 227–242.
Wilcock, I. M. et al. (2006): Physiological response to water immersion: A review. Sports Med, 36(9), 747–765.
Roberts, L. A. et al. (2015): Post-exercise cold water immersion attenuates muscle adaptations to strength training. J Physiol, 593(18), 4285–4301.
Yamane, M. et al. (2015): Does regular post-exercise cold application attenuate trained muscle adaptation? Int J Sports Med, 36(8), 647–653.
Šrámek, P. et al. (2000): Human physiological responses to immersion into water of different temperatures. Eur J Appl Physiol, 81(5), 436–442.
Shevchuk, N. A. (2008): Adapted cold shower as a potential treatment for depression. Med Hypotheses, 70(5), 995–1001.
Schimpchen, J. et al. (2017): Can cold water immersion enhance recovery in elite Olympic weightlifters? J Strength Cond Res, 31(6), 1569–1576.