Mit Sauerkraut und Vollkornbrot das Stresslevel oder die Stimmung beeinflussen? Das geht! Warum wir unser Darmmikrobiom als therapeutisches Ziel verstehen sollten – und was Blumen damit zu tun haben.
Mit dem, was wir essen, nehmen wir Einfluss auf unser Darmmikrobiom – unser Mikrobiom beeinflusst wiederum maßgeblich unsere Gesundheit. Forscher finden immer mehr Hinweise dazu, welche Aufgaben das Darmmikrobiom im Körper übernimmt. Aktuelle Erkenntnisse: Es steuert nicht nur unsere Verdauung, sondern greift auch in den Hormonhaushalt, den Blutzuckerspiegel und die Verteilung von Körperfett ein.
Wie Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas und Typ-2-Diabetes über die Mikroben in unserem Darm beeinflusst werden, erklärt Prof. Dr. Reiner Jumpertz-von Schwartzenberg (Universitätsklinikum Tübingen) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).
Noch vor wenigen Jahren galt der Darm hauptsächlich als Ort der Verdauung. Heute ist klar: Die mikroskopisch kleinen Lebewesen in unserem Verdauungstrakt übernehmen wichtige Aufgaben, die weit über die Aufspaltung von Nahrung hinausgehen. Sie beeinflussen die Menge an Kalorien, die wir aus unserer Nahrung aufnehmen und produzieren Stoffe, die wie Hormone wirken. „Das Darmmikrobiom bringt einen mehr als hundertfach größeren Genpool mit als unsere menschlichen Gene“, so Jumpertz-von Schwartzenberg. Er ist Oberarzt in der Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie sowie Leiter des Klinischen Studienzentrums am Institut für Diabetesforschung und Stoffwechselkrankheiten des Helmholtz Zentrums München.
Durch Eingriffe in den Genpool dieser Bakterien sei es zum Beispiel möglich, Eiweiße herzustellen, die unserem Körperhormon GLP-1 (Glukagon-ähnliches Peptid 1) ähneln – einem durch die so genannte Abnehmspritze bekannt gewordenen Hormon, das eine entscheidende Rolle für Blutzuckerspiegel und Sättigungsgefühl spielt. Medikamente mit synthetischem GLP-1 kommen bereits erfolgreich bei Diabetes und Übergewicht zum Einsatz. „Wenn wir lernen, diese Bakterien gezielt zu aktivieren oder zu verändern, eröffnen sich ganz neue therapeutische Möglichkeiten bei Adipositas und Typ-2-Diabetes“.
Etwa ein Prozent der Darmzellen produzieren Hormone – und kommunizieren so mit dem Gehirn. Das Darmmikrobiom kann hier regulieren, je nach Stoffwechsel und Ernährung. Die Bildung von Sexualhormonen und Stresshormonen wie Cortisol kann z. B. durch das Mikrobiom beeinflusst werden. Bestimmte Darmbakterien enthalten Gene für die Steroidbiogenese, also die Herstellung von Steroidhormonen. Diese wiederum steuern viele Stoffwechselprozesse und können unter anderem die Fettverteilung im Körper beeinflussen. „Wir sehen zudem, dass ein verändertes Mikrobiom mit dem viszeralen Fett zusammenhängt“, erklärt Jumpertz-von Schwartzenberg. Das gilt als besonders ungünstig, da es Entzündungsprozesse im Körper fördert und unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht.
Die Erkenntnisse aus der Mikrobiomforschung eröffnen immer weitere Möglichkeiten für die Therapie – etwa durch genetisch veränderte Bakterien, die gezielt nützliche Hormone produzieren. „Wir stehen hier erst am Anfang, aber das Potenzial ist enorm“, betont der Experte. Auch durch Ernährung lässt sich das Mikrobiom verändern: „Schon eine kalorienreduzierte Diät kann innerhalb kurzer Zeit messbare Effekte auf die Zusammensetzung der Darmflora haben.“
Jumpertz-von Schwartzenberg vergleicht ein gesundes Mikrobiom mit einer Blumenwiese: „Es gibt Fettwiesen, da findet man einen sehr nahrungsreichen Boden, viele gelbe und weiße Blumen. Und es gibt karge, naturbelassene Wiesen. Hier gibt es zwar nicht so viele Nährstoffe, dafür sind die dort wachsenden Blumen vielfältiger und ganz bunt gemischt.“ Er erklärt, die Ernährung sollte vielfältig, aber eher karg, also kalorienrestriktiv sein – das sei gut für ein abwechslungsreiches Mikrobiom. Warum das so ist und ob die Bakterien bei einem reduzierten Nahrungsangebot mehr Inhaltsstoffe aus der vorhandenen Nahrung ziehen, wird noch erforscht.
Die eigene Lebensweise spielt also eine entscheidende Rolle für ein gesundes Mikrobiom. Wer sich abwechslungsreich ernährt, Ballaststoffe in den Speiseplan integriert und Stress vermeidet, kann seine Darmflora positiv beeinflussen. „Das Ziel ist ein vielfältiges Mikrobiom, das gut balanciert ist und viele Aufgaben übernimmt, von der Nahrungsabsorption bis zum Schutz vor pathogenen Keimen“, betont Jumpertz-von Schwartzenberg. Ein- bis zweimal die Woche eher kalorienreduziert zu essen bzw. zu fasten, könne sich positiv auf die Darmflora auswirken, so der Experte.
Ob und wofür man die Mikroben im Darm künftig auch in der Medizin nutzen kann, wird sich zeigen. Jumpertz-von Schwartzenberg spricht von genetischer Manipulation, etwa dem Einbringen von Genen über Plasmid-Transfer, sodass diese dann beispielsweise GLP-1 sezernieren. Oder man könnte die Darmflora lokal Cortisol produzieren lassen und so z. B. chronisch entzündliche Darmerkrankungen behandeln.
Erst kürzlich wurde außerdem ein „neurobiotischer Sinn“ entdeckt; ein neu identifiziertes System, das es dem Gehirn ermöglicht, in Echtzeit auf Signale von Mikroben in unserem Darm zu reagieren. In der Nature-Studie konzentrierten sich die Forscher auf Neuropods, winzige Sensorzellen, die das Epithel des Dickdarms auskleiden. Wenn wir essen, setzen einige Darmbakterien das Protein Flagellin frei. Neuropods erkennen es mit Hilfe des Rezeptors TLR5 und senden eine Nachricht über den Vagusnerv ans Gehirn, dass der Appetit gehemmt werden soll – also ein direkter mikrobieller Einfluss auf das Verhalten.
Laut den Wissenschaftlern könnte dieser neurobiotische Sinn uns helfen zu verstehen, wie der Darm sonst noch mit Mikroben interagiert und wie diese alles von den Essgewohnheiten bis zur Stimmung beeinflussen – und andersherum. Die Forschung in diesem Feld hält also noch viele Überraschungen bereit.
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