Aus der Onkologie sind sie nicht mehr wegzudenken. Jetzt haben auch die Neurologen ein Auge auf sie geworfen: Denn CAR-T-Zellen können im ZNS wirken. Eine Hoffnung bei therapieresistenten Erkrankungen?
Die CAR-T-Zelltherapie, ursprünglich für hämatologische Neoplasien entwickelt, etabliert sich zunehmend auch in der Behandlung schwerer neurologischer Autoimmunerkrankungen. Erste Fallberichte und kleine Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse bei bislang therapieresistenten neuroimmunologischen Krankheitsbildern wie Myasthenia gravis (MG), Stiff-Person-Syndrom (SPS) und multipler Sklerose (MS).
CAR-T-Zellen sind T-Lymphozyten, die gentechnisch so verändert werden, dass sie krankheitsverursachende B-Zellen gezielt erkennen und eliminieren können. Hierzu wird ein synthetischer chimärer Antigenrezeptor (CAR) in die Zelle eingebracht – meist mittels viraler Vektoren oder moderner Geneditierungsmethoden wie CRISPR-Cas9. Der Rezeptor erkennt spezifische B-Zell-Oberflächenmoleküle, vor allem CD19 oder das B-Zell-Reifungsantigen BCMA.
Im Gegensatz zu monoklonalen Antikörpern wie Rituximab, die meist nur CD20-positive B-Zellen erfassen, erlaubt die CAR-T-Zelltherapie eine tiefgreifende und breit angelegte Depletion über verschiedene Reifestufen hinweg, bis hin zu antikörperproduzierenden Plasmazellen. Dies gilt besonders für anti-CD19-gerichtete CAR-T-Zellen. Der Effekt erstreckt sich auch auf schwer zugängliche Kompartimente wie das ZNS, was bei neuroimmunologischen Erkrankungen von großer Bedeutung ist.
Ein weiteres Merkmal ist die Fähigkeit der CAR-T-Zellen zur autonomen Aktivität ohne Unterstützung durch andere Effektorzellen. Nach Zielkontakt können sie sich klonal vermehren und tief in das Gewebe eindringen – eine Eigenschaft, die ihre langanhaltende Wirkung erklärt und ihnen den Beinamen „Serienkiller“ eingebracht hat. Insbesondere bei Erkrankungen mit nachgewiesener Autoantikörperbeteiligung scheint diese präzise und tiefgreifende B-Zell-Depletion das Potenzial für eine langanhaltende Remission zu bieten.
Ein besonders eindrucksvoller Einzelfall wurde bei einem 33-jährigen Patienten mit generalisierter, anti-Acetylcholinrezeptor-positiver Myasthenia gravis beschrieben. Trotz intensiver Vortherapie mit Glukokortikoiden, Mycophenolat und Bortezomib blieb die Erkrankung hochaktiv. Nach Lymphodepletion erhielt der Patient autologe CD19-CAR-T-Zellen (KYV-101). Bereits wenige Wochen nach der Infusion kam es zu einer signifikanten Reduktion der Autoantikörper (circa 70 %), begleitet von einer klinisch relevanten Besserung der Muskelsymptomatik. Die B-Zell-Depletion war vollständig, schwerwiegende Nebenwirkungen wie ein Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS) oder neurotoxische Effekte (ICANS) traten nicht auf. Diese Ergebnisse wurden von Haghikia et al. in The Lancet Neurology (2023) publiziert und deuten auf ein hohes therapeutisches Potenzial hin.
Auch beim seltenen Stiff-Person-Syndrom liegen erste Daten vor. Faissner et al. beschrieben 2024 im Fachjournal PNAS den Fall eines 69-jährigen Patienten mit therapieresistentem SPS. Nach CD19-CAR-T-Zelltherapie konnte eine deutliche funktionelle Verbesserung dokumentiert werden: Die Rigidität der unteren Extremitäten nahm ab, die Gehgeschwindigkeit verdoppelte sich und der Patient berichtete von einer massiven Steigerung seiner Mobilität im Alltag. Die Therapie war gut verträglich, ohne relevante Nebenwirkungen.
Bei multipler Sklerose, die traditionell nicht primär als B-Zell-vermittelte Erkrankung gilt, konnte in einer Fallserie von Fischbach et al. erstmals gezeigt werden, dass CD19-CAR-T-Zellen auch hier biologische Effekte entfalten. Zwei Patienten mit fortgeschrittener, progredienter MS erhielten KYV-101 nach Lymphodepletion. Die Therapie führte zur messbaren Reduktion intrathekaler Autoantikörper – in einem Fall konnten CAR-T-Zellen direkt im Liquor nachgewiesen werden. Zwar blieben durchgreifende neurologische Verbesserungen aus, doch konnte das Fortschreiten der Erkrankung gestoppt werden – ein klinischer Benefit bei dieser bislang kaum behandelbaren Verlaufsform.
Ergänzt werden diese Daten durch frühe Berichte zu anderen Autoimmunerkrankungen wie systemischem Lupus erythematodes und rheumatoider Arthritis, bei denen ebenfalls anti-CD19-gerichtete CAR-T-Zellen zu klinischen Remissionen führten. Diese Einzelfälle belegen die potenzielle Breite des Ansatzes, auch wenn standardisierte Studien mit größeren Kohorten bislang fehlen.
In der Summe zeigen die bisherigen Daten eine gute Verträglichkeit und das Potenzial zu nachhaltiger Krankheitskontrolle – insbesondere bei Patienten, die auf gängige Therapien nicht mehr ansprechen. Die immunologische Tiefe der B-Zell-Depletion, einschließlich der Elimination autoreaktiver Plasmablasten und Gedächtniszellen, führt zu einem sogenannten immunologischen „Reset“ mit bevorzugter Repopulation naiver B-Zellen. Diese Mechanismen könnten erklären, warum nach CAR-T-Zelltherapie oft keine erneute Autoantikörperbildung beobachtet wird.
Aktuell laufen erste Phase-I/II-Studien zu Myasthenia gravis (KYSA-6), multipler Sklerose (KYSA-7) und Stiff-Person-Syndrom. Weitere Entwicklungen wie allogene „off-the-shelf“-CAR-T-Zellen, in vivo Gentransduktion und steuerbare Sicherheitsschalter könnten die Verfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit der Therapie künftig deutlich verbessern.
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