Gute Effekte bei weniger Nebenwirkungen: Das erhoffen sich Patienten vom Microdosing mit GLP-1-Rezeptoragonisten. Was ist dran?
In den USA sorgt das sogenannte „Microdosing“ von GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) wie Semaglutid seit Monaten für Aufsehen – nun hat die Welle auch uns erreicht. „Ozempic Microdosing: Das kann der neue Abnehmtrend“ – solche Schlagzeilen schüren Hoffnung auf sanfte, nebenwirkungsarme Hilfe.
Zum Hintergrund: Beim Microdosing setzen Patienten gezielt sehr geringe Wirkstoffmengen ein, deutlich unterhalb der üblichen therapeutischen Dosis. Oft sind es 0,05 mg bis 0,125 mg pro Injektion, verglichen mit bis zu 2,4 mg laut Zulassung. Damit wollen Patienten positive Effekte wie eine Appetitzügelung erzielen, ohne typische Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Das Konzept stammt ursprünglich aus dem Bereich der Psychedelika: Anwender setzen auf kleinste Dosen von Stoffen wie LSD oder Psilocybin, um von stimmungsaufhellenden, konzentrationsfördernden oder kreativitätssteigernden Effekten zu profitieren, aber keine halluzinogene Wirkung zu verspüren. Nach demselben Prinzip versuchen Menschen, GLP-1-RA in minimaler Dosierung zu nutzen. „Ich nehme alle drei bis vier Tage drei Einheiten – das wirkt hervorragend gegen Heißhunger und ganz ohne Nebenwirkungen“, schreibt ein User auf Reddit.
Auch die US-Gesundheitsinfluencerin Dr. Tyna Moore propagiert die Mikrodosierung von GLP-1-RA. In ihrem Online-Kurs „GLP-1s Done Right University“ erklärt sie, wie niedrige Dosen nicht nur beim Abnehmen, sondern auch bei Problemen wie Bluthochdruck, Autoimmunerkrankungen oder „Gehirnnebel“ helfen sollen. Solche Postings ermutigen Patienten, es ihr gleichzutun.
Nur fehlt dem neuen Trend jede solide wissenschaftliche Grundlage. Weder ist bekannt, wie genau die Dosis-Wirkungs-Beziehung bei geringsten Mengen aussieht, noch gib es valide Daten zur Wirksamkeit oder Sicherheit für das Microdosing. „Klinische Studien dienen dazu, Wirksamkeit und Sicherheit zu überprüfen“, sagt Dr. Ann Marie Defnet, Adipositas-Chirurgin bei Northwell Health in New York. „Mikrodosierung war aber in keiner der großen GLP-1-Studien vorgesehen.“
Der GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutid ist je nach Indikation in unterschiedlichen Dosierungen zugelassen. Zur Behandlung von Typ-2-Diabetes (Ozempic®) wird er einmal wöchentlich subkutan verabreicht. Die Dosierungen reichen von initial 0,25 mg ohne nachweislich therapeutische Wirkung über 0,5 mg und 1,0 mg bis hin zu 2,0 mg. Für das Gewichtsmanagement bei Adipositas kommt Semaglutid (Wegovy®) ebenfalls in Form wöchentlicher Injektionen zum Einsatz. Hier beginnt die Therapie mit 0,25 mg und wird über mehrere Wochen bis zur maximalen Dosis von 2,4 mg gesteigert.
Darüber hinaus kann Semaglutid auch zur Verringerung kardiovaskulärer Risiken bei bestimmten Patientengruppen eingesetzt werden, etwa bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und hohem Herz-Kreislauf-Risiko. Hier kommen vor allem die Dosierungen von 1,0 mg und 2,0 mg sowie 2,4 mg zum Einsatz, gestützt durch Daten aus groß angelegten Studien wie SUSTAIN-6 und SELECT.
Diese Anwendung wird laut Europäischer Arzneimittelagentur (EMA) durch die Indikation zur Gewichtskontrolle mit abgedeckt. Nur gibt es aus Sicht der evidenzbasierten Medizin derzeit keine hochwertigen klinischen Studien, die gezieltes Microdosing von GLP-1-RA wie Semaglutid untersuchen. Die Methode ist deshalb eine Off-Label-Anwendung; letztlich tragen Ärzte das Risiko, sollten sie zur Mikrodosierung raten. Aus pharmakologischer Sicht ist jedoch denkbar, dass kleinste Mengen an GLP-1-Agonisten eine Wirkung auf das zentrale Hungergefühl haben. Ob diese Effekte ausreichen, um klinisch relevante Ergebnisse zu erzielen, lässt sich derzeit nicht sagen. „Es gibt keine Beweise dafür, dass sie bei Adipositas wirken“, schreibt die Redaktion von The Lancet Diabetology and Endocrinology.
Doch ganz so simpel ist die Sache nicht. In Diabetes Care diskutieren Anne M. Komé, University of North Carolina Health, Chapel Hill, und Kollegen den potenziellen Nutzen kleiner Mengen an GLP-1-RA aus praktischem Blickwinkel. Auch sie verweisen auf fehlende Studien, sehen aber in bestimmten Situationen dennoch einen Vorteil:
Die Autoren schreiben, dies habe zeitlich befristet und unter engmaschiger Kontrolle zu erfolgen. Patienten müssten eine ausreichende Gesundheitskompetenz haben, die Dosiermechanik von Pens verstehen, über gute Sehfähigkeit und manuelle Geschicklichkeit verfügen und zuverlässig dokumentieren, wie viele „Klicks“ sie applizieren.
So nachvollziehbar der Wunsch nach individuell angepassten, niedrig dosierten und nebenwirkungsarmen Therapien mit GLP-1-RA auch sein mag – ohne belastbare Studienlage überwiegen derzeit die Risiken. Ob Microdosing wirklich eine sinnvolle Strategie ist, lässt sich derzeit nicht sagen.
Bildquelle: Ahmed Soba, Unsplash