In Deutschland spielen Polioinfektionen keine große Rolle – jetzt konnte das RKI aber wiederholt Viren im Abwasser nachweisen. Woher das Risiko kommt und was Ärzte tun sollten, lest ihr hier.
Ende November 2024 berichtete das Robert Koch-Institut (RKI) erstmals über den Nachweis von zirkulierenden Impfstoff-abgeleiteten Polioviren Typ 2 (cVDPV2) in Abwasserproben aus München, Bonn, Köln und Hamburg. Anfang Dezember 2024 wurde dieser Nachweis auf weitere Städte ausgeweitet: Auch in Dresden, Düsseldorf und Mainz konnten cVDPV2-Viren identifiziert werden. Zwischenzeitlich gab das RKI jedoch Entwarnung, da nur noch vereinzelt Nachweise dieser Viren dokumentiert wurden.
Aktuell berichtet das RKI im Epidemiologischen Bulletin erneut über den Nachweis von cVDPV2 in Abwasserproben. Die genetischen Analysen zeigen, dass es sich weiterhin um das gleiche Cluster handelt, das bereits im Ausbruchsgeschehen Ende 2024 nachgewiesen wurde. Der Nachweis von Polioviren im Abwasser weist darauf hin, dass Menschen im Einzugsgebiet der jeweiligen Kläranlagen das Virus mit dem Stuhl ausscheiden. Ob es sich hierbei um importierte Fälle oder um lokale Übertragungen handelt, ist derzeit unklar.
Bislang wurden in Deutschland keine Polioerkrankungen gemeldet. Es bleibt jedoch zu beachten, dass Polioviren aus dem Schluckimpfstoff bei ungeimpften oder unzureichend geimpften Personen eine Erkrankung mit poliomyelitisähnlichen Symptomen auslösen können.
Polio ist ein Enterovirus, das fäkal-oral übertragen wird. Die Mehrzahl der Polioinfektionen (95 %) verläuft asymptomatisch. In 4–8 % der Fälle tritt eine abortive Poliomyelitis auf, die ohne Beteiligung des zentralen Nervensystems verläuft und mit unspezifischen Symptomen wie Fieber, Übelkeit, Halsschmerzen, Gastroenteritis, Myalgien und Kopfschmerzen einhergeht. Bei einem Teil der Betroffenen entwickelt sich nach wenigen Tagen eine nichtparalytische Poliomyelitis in Form einer aseptischen Meningitis mit Fieber, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelspasmen.
Die schwerste Verlaufsform ist die paralytische Poliomyelitis, die typischerweise einen biphasischen Verlauf zeigt: Nach initialer Besserung der Meningitis-Symptomatik kommt es nach 2–3 Tagen zu einem erneuten Fieberanstieg und dem Auftreten asymmetrischer, rein motorischer Paresen. Am häufigsten sind die Beinmuskeln betroffen, seltener Arme, Bauch-, Thorax- oder Augenmuskulatur. Die Lähmungen bilden sich meist nur unvollständig zurück. Eine spezifische antivirale Therapie ist nicht vorhanden.
Auch wenn Fachleute derzeit kein akutes Risiko für eine Polio-Endemie in Deutschland sehen, empfehlen das Robert Koch-Institut (RKI) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) gezielte Präventionsmaßnahmen. Neben der Basismaßnahme des regelmäßigen Händewaschens, das bei einer überwiegend fäkal-oral und durch Schmierinfektion übertragenen Erkrankung besonders wichtig ist, sollte vor allem der Impfstatus bei Risikogruppen sorgfältig überprüft werden. Im Mittelpunkt stehen hierbei insbesondere Kinder – vor allem solche aus Krisengebieten wie der Ukraine oder dem Gazastreifen, da dort aufgrund der Kriegssituation viele Impfprogramme unterbrochen wurden. Eine weitere zentrale Risikogruppe sind immunsupprimierte Personen, bei denen ebenfalls eine Überprüfung und gegebenenfalls eine Auffrischung oder Nachholung des Poliomyelitis-Impfschutzes erfolgen sollte.
Grundsätzlich gilt jedoch: Jeder Kontakt mit dem Gesundheitssystem sollte genutzt werden, um den Impfstatus zu erheben, eine Impfberatung anzubieten und fehlende Schutzimpfungen – insbesondere gegen Poliomyelitis – zu vervollständigen. Dies trägt entscheidend dazu bei, mögliche Impflücken frühzeitig zu schließen und einen umfassenden Bevölkerungsschutz aufrechtzuerhalten.
Robert Koch Institut: Nur noch vereinzelt Polioviren-Nachweise in Abwasserproben. Epidemiologisches Bulletin 27, 2025. doi: 10.25646/13110
Robert Koch Institut: Poliomyelitis. RKI-Ratgeber, 2024.
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