Wenn Hunger und Eile zusammenkommen, darf es schon mal eine Tiefkühlpizza oder Tütensuppe sein. Gesund ist das nicht – das weiß jeder. Jetzt zeigt sich: Diese Gewohnheit kann sogar das Leben verkürzen.
Der Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln kann die Lebenserwartung um bis zu 14 % verkürzen – zu diesem Ergebnis kommt ein brasilianisches Forscherteam um den Wissenschaftler Eduardo Nilson im American Journal of Preventive Medicine. Die Basis der Untersuchung bildete eine Dosis-Wirkungs-Metaanalyse, um zu ermitteln, wie stark der anteilige Konsum hochverarbeiteter Fertigprodukte (Ultraprocessed Food; UPF) mit dem Risiko für einen frühen Tod zusammenhängt. Zusätzlich modellierten die Forscher Szenarien, um zu berechnen, wie viele vorzeitige Todesfälle bei Menschen zwischen 30 und 69 Jahren sich auf den UPF-Konsum zurückführen lassen (Population Attributable Fraction; PAF).
In die Analyse flossen sieben von zehn methodisch hochwertigen prospektiven Beobachtungsstudien aus den Jahren 2019 bis 2022 ein, die zusammen 239.982 Teilnehmer und 14.779 Todesfälle umfassten. Alle Studien stützten sich auf die NOVA-Klassifikation zur Einordnung von Lebensmitteln. Für die Berechnung des bevölkerungsbezogenen Anteils an den vorzeitigen Todesfällen, der auf den Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel zurückzuführen ist (PAF), wurden acht Länder mit verschiedenen UPF-Verzehrniveaus an der Gesamtenergie-Aufnahme berücksichtigt.
Darunter waren Kolumbien und Brasilien mit einem niedrigen UPF-Anteil von 15,0–17,4 %, Chile und Mexiko mit einem mittleren UPF-Anteil von 22,8–24,9 % sowie die Hochkonsumländer Australien, Kanada, Großbritannien und USA mit einem UPF-Anteil von 37,5–54,5 %. Der UPF-Verzehr wurde aus den Mikrodaten der jeweils neuesten nationalen Ernährungsumfragen der einzelnen Länder ermittelt. Die Mortalitätsdaten wurden den landesspezifischen Sterberegistern entnommen.
Die Metaanalyse zeigte eine eindeutige lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen dem Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel und der Gesamtmortalität. Jeder 10%ige Anstieg des UPF-Verzehrs an der Gesamt-Nahrungsaufnahme war mit einer Zunahme des relativen Sterberisikos (RR) um 2,7 % assoziiert (RR 1,027; 95 % KI 1,017-1,037). Die Schätzungen, wie viele vorzeitige Todesfälle auf den Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel zurückzuführen sind, schwankten deutlich zwischen den acht untersuchten Ländern. Die bevölkerungsbezogenen Risikobeiträge (PAF) betrugen 3,9 % für Kolumbien, 4,5 % für Brasilien, 5,7 % für Chile, 6,3% für Mexico, 9,4 % für Australien, 10,9 % für Kanada, 13,7 % für die USA und 13,8 % für Großbritannien.
Über alle acht Länder verteilt ergaben sich jährlich etwa 200.000 vorzeitige Todesfälle, die auf den Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel zurückzuführen sind. Die Studienergebnisse untermauern einmal mehr, dass UPF-Konsum eine bedeutende Gesundheitsgefahr darstellt, insbesondere in industrialisierten Ländern, in denen das Angebot an hochverarbeiteten Lebensmitteln groß ist.
Wie immer bei Analysen, die auf Daten von Beobachtungsstudien basieren, geht auch aus dieser Untersuchung nicht zweifelsfrei hervor, ob es sich bei den Ergebnissen um kausale Zusammenhänge oder zufällige Assoziationen handelt. Die Einordnung der vorliegenden Ergebnisse wird auch dadurch erschwert, dass die Analyse keine Vergleichsgruppe von Menschen, die keine UPF verzehren, beinhaltet.
Hinzu kommt, dass die NOVA-Klassifikation nicht allen Gegebenheiten unserer modernen Lebensmittelvielfalt voll umfänglich gerecht wird. So bemängeln Kritiker zum Beispiel, dass die NOVA-Klassifikation ausschließlich auf dem Grad der Lebensmittelverarbeitung beruht, während die klassische Ernährungswissenschaft Lebensmittel nach wie vor auf der Grundlage ihrer Zusammensetzung aus Makro- und Mikronährstoffen (Stärke, Zucker, Fett, Eiweiß, Ballaststoffe, Phytochemikalien, Vitamine, Mineralien und Spurenelemente) sowie dem Kaloriengehalt beurteilt (z. B. Nutri-Score).
Darüber hinaus beeinflussen auch die Kriterien für den Einschluss der Studien sowie die Wahl der mathematischen Methoden und Modelle das Ergebnis. So sind die gleichen Forscher in einer früheren Analyse zu anderen Ergebnissen gekommen. Damals hatten Nilson und Mitarbeiter die Zahl der vermeidbaren Todesfälle in Brasilien noch auf 57.000 geschätzt, jetzt sind es nur noch etwas weniger als die Hälfte. Bemerkenswert ist auch, dass Länder, in denen die meisten Studien zur Risikoberechnung durchgeführt wurden, darunter Spanien, Italien und Frankreich, nicht Gegenstand der Analyse waren.
Für eine kausale Beziehung zwischen dem häufigen Verzehr hochverarbeiteter Fertigprodukte und dem erhöhten Sterberisiko spricht allerdings die Tatsache, dass die Assoziationen – ohne Ausnahme – streng dosisabhängig waren, was in epidemiologischen Studien als sicherer Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang gilt.
Bei allen berechtigten Einwänden sollte man auch berücksichtigen, dass die NOVA-Klassifikation die derzeit beste verfügbare Methode darstellt, um den Einfluss hochverarbeiteter Fertigprodukte auf das Sterberisiko sowie den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu ermitteln. Aufgrund seiner einfachen und praxisnahen Anwendbarkeit wurde das NOVA-Konzept in den vergangenen zehn Jahren in zahlreichen Beobachtungsstudien eingesetzt. Deren Ergebnisse flossen in Metaanalysen ein, die wiederum in sogenannten Umbrella Reviews zusammengefasst wurden.
Im aktuellsten Umbrella Review aus dem vergangenen Jahr, basierend auf Daten von annähernd 9,9 Millionen Menschen, haben andere Autoren den häufigen Verzehr hochverarbeiteter Fertigprodukte ebenfalls mit einer erhöhten Sterblichkeit, Adipositas sowie 32 häufig vorkommenden, nicht übertragbaren Zivilisationserkrankungen in Verbindung gebracht. Darunter finden sich metabolische, kardiovaskuläre, gastrointestinale, respiratorische und mentale Erkrankungen sowie bösartige Neubildungen.
Die offenen Fragen bei der Interpretation von Beobachtungsstudien, Metaanalysen und Umbrella Reviews bedeuten also keineswegs, dass Fertigprodukte wie z. B. Eiscreme und Müsliriegel, Tütensuppen und Tiefkühlpizzen, Kartoffelchips und Kuchen, Softdrinks und Shakes, Weißbrot und Wurstwaren sowie Schmelzkäse und Süßigkeiten unschädlich oder gar gesund sind.
Kevin D. Hall war 2019 der erste, dem der wissenschaftliche Nachweis gelang, dass der Zusammenhang zwischen dem Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln und der Entwicklung von Übergewicht kausaler Natur ist. Auf Basis der NOVA-Klassifikation teilte er 20 freiwillige Probanden nach dem Zufallsprinzip in zwei Ernährungsregime ein. Die eine Hälfte der Teilnehmer erhielt eine Diät, die ausschließlich aus Fertigprodukten der Gruppe 4 der NOVA-Klassifikation bestand (Interventionsgruppe). Die andere Hälfte erhielt eine hinsichtlich Fett-, Eiweiß-, Kohlenhydrat-, Salz- und Ballaststoffgehalt identische Kost ohne irgendwelche ultraprozessierten Fertigprodukte. Ihre Ernährung bestand zu 80 % aus frischen Lebensmitteln der NOVA-Klassifikation 1 und nur zu 20 % aus isolierten Zutaten und konservierten Nahrungsmitteln der NOVA-Klassifikationen 2 und 3 (Kontrollgruppe). Nach zwei Wochen tauschten die beiden Gruppen ihren Speiseplan. Dabei stellte sich heraus: Die Probanden in der Interventionsgruppe konsumierten täglich etwa 500 kcal mehr und nahmen fast ein Kilogramm zu. In der Kontrollphase dagegen verloren sie innerhalb von zwei Wochen rund ein Kilogramm.
Die Studie war zwar klein und nur von kurzer Dauer, wurde jedoch methodisch sorgfältig durchgeführt, sodass Monteiros These, der hohe Anteil an Fertigprodukten sei für den allgemeinen Anstieg der Fettleibigkeit verantwortlich, als belegt gelten kann. Ein japanisches Forscherteam um Shoko Hamano von der Universität Tokio konnte die Ergebnisse von Hall fünf Jahre später in einer vergleichbaren Studie reproduzieren.
Die Gesundheit von Lebensmitteln nach dem Grad ihrer Verarbeitung einzuordnen und zu bewerten, geht nicht allein auf Monteiro zurück. Er hat das Konzept lediglich als erster in die epidemiologische Ernährungsforschung eingeführt. Schon in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts veröffentlichte der deutsche Arzt und Ernährungsmediziner Werner Kollath (1892–1970) sein bahnbrechendes Werk „Die Ordnung unserer Nahrung“, in dem er den Begriff Vollwert-Ernährung prägte. Er unterschied Lebensmittel bereits damals in sechs „Wertstufen“, abhängig von ihrem Verarbeitungsgrad von naturbelassenen und frischen Lebensmitteln bis hin zu isolierten Nahrungskomponenten wie reinem Zucker, Weißmehl, raffinierten Ölen und gehärteten Fetten, die er als minderwertige „Präparate“ bezeichnete.
Viele tausend Jahre hindurch blieb das menschliche Körpergewicht bemerkenswert stabil. Adipositas, Hypertonie, Dyslipidämie, Fettleber, Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall waren eine Ausnahmeerscheinung. Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte eine abrupte Veränderung ein. Die pandemische Ausbreitung der Adipositas nahm ihren Ursprung in den USA. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs stieg auch die Zahl der übergewichtigen Deutschen rapide an.
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind derzeit fast ein Viertel der Erwachsenen adipös – das entspricht etwa 18 Millionen Menschen. Der Grund für die starke Zunahme von Übergewicht, Fettleibigkeit und Wohlstandskrankheiten sind nach Ansicht der Wissenschaft überall auf der Welt derselbe: der zunehmende Konsum von industriell stark verarbeiteten Fertigprodukten und gesüßten Getränken. Übergewicht und Adipositas sind wiederum der ideale Nährboden für die Entwicklung zahlreicher Folgeerkrankungen und ein erhöhtes Sterberisiko.
Was hat sich verändert im Vergleich zur Ernährung im vorindustriellen Zeitalter? Noch im 18. Jahrhundert wurden die meisten Lebensmittel überwiegend in naturbelassener oder schonend verarbeiteter Form verzehrt. Die Verarbeitungstechniken beschränkten sich vorwiegend auf die Zerkleinerung bzw. Zerlegung sowie das Kochen, Backen und Braten pflanzlicher und tierischer Lebensmittel. Die Haltbarkeit der Nahrung wurde durch Fermentieren, Trocknen, Räuchern oder Pökeln verlängert. Allen Verarbeitungsprozessen war jedoch eins gemeinsam: Die Integrität der Lebensmittel, ihre Matrix bzw. Textur, blieb dabei weitgehend erhalten. Ihre ursprüngliche Herkunft ließ sich leicht zurückverfolgen und war in der Regel mit bloßem Auge erkennbar.
Heute lassen sich Lebensmittel mit modernen Verarbeitungstechniken in ihre molekularen Bestandteile zerlegen, chemisch oder enzymatisch modifizieren, nach Bedarf neu zusammensetzen, mit Farb- und Aromastoffen anreichern, mit Emulgatoren und Verdickungsmitteln stabilisieren, mit Antioxidantien konservieren und in jede beliebige Form bringen. Gleichzeitig werden die meisten Ballast- und Vitalstoffe entfernt sowie die natürliche Lebensmittelmatrix vollständig zerstört. Die industrielle Lebensmittelverarbeitung erzeugt auf diese Weise eine Art Babynahrung für Erwachsene. Unsere Kalorien stammen heute zunehmend aus Komponenten, die in ihrer Beschaffenheit, Zusammensetzung und Energiedichte nie Bestandteil der menschlichen Ernährung waren.
Durch die industrielle Lebensmittelverarbeitung werden wesentliche Schritte der menschlichen Verdauung bereits vorweggenommen. Zahlreiche Inhaltsstoffe verzehrfertiger Industrienahrung werden als Monomere ohne nennenswerte Verdauungsarbeit bereits im oberen Abschnitt des Dünndarms in den Blutkreislauf aufgenommen und unmittelbar dem Energie- und Baustoffwechsel des Körpers zugeführt. Durch die raschere Zugänglichkeit der fraktionierten Nährstoffe werden die körpereigenen Regulationsmechanismen für Hunger und Sättigung überrannt bzw. unterlaufen. Das gilt insbesondere für den Konsum stark zucker-, stärke-, fett- und salzhaltiger Fertigprodukte.
Auch wenn es für hochverarbeitete Fertigprodukte bisher keine allgemein verbindliche lebensmittelrechtliche Definition gibt, so lassen sie sich doch anhand einiger typischer Merkmale leicht charakterisieren. Dazu gehören ein hoher Gehalt an freien Zuckern, gehärteten Fetten, raffinierten Ölen, Aminosäuren-Mischungen, eine hohe Energiedichte, die Beimengung zahlreicher synthetischer Zusatzstoffe (E-Nummern) sowie eine hohe Salzkonzentration. Gleichzeitig enthalten sie wenig bis keine Ballast- und Vitalstoffe. Darunter fallen leider auch zahlreiche vegetarische bzw. vegane Ersatzprodukte mit Siegeln und Zertifikaten für biologischen Anbau, Freilandhaltung und klimafreundliche Produktion.
UPFs lassen sich auch daran erkennen, dass sie in aufwändigen Plastik- oder Leichtmetallverpackungen angeboten werden, eine Nährwerttabelle sowie ein Zutatenverzeichnis auf ihrer Verpackung tragen müssen und häufig mit plakativen Gesundheitsversprechen beworben werden. Man sollte sich also von der Vorstellung verabschieden, dass alles, was in einem modernen Supermarkt angeboten wird, gesund ist. Etwa 90 % des dort angebotenen Sortiments ist industriell hergestellt und gehört den NOVA-Gruppen zwei bis vier an.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien liefern solide Belege für den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von UPF und dem Auftreten von Adipositas, Wohlstandskrankheiten und einer erhöhten Sterblichkeit. Die daraus abgeleiteten Vorschläge und Maßnahmen der medizinischen Fachgesellschaften, Verbraucherschutzorganisationen und Selbsthilfegruppen zur Prävention liegen auf dem Tisch.
Das Problem ist also nicht die Erkenntnis – sondern die Umsetzung! Solange die Ernährungs-, Verbraucher- und Gesundheitspolitik ihrer Fürsorgepflicht zum Schutz der Bevölkerung jedoch nicht nachkommt, ist jeder weiterhin auf sich selbst gestellt.
Bildquelle: Erstellt mit Midjourney