Mit dem DiGA-Erstattungsmodell wollte Deutschland digitale Innovation fördern. Der Haken: Zwar kommen viele neue Gesundheits-Apps auf den Markt, doch die wenigsten erfüllen die hohen Standards. Haben wir ein Qualitätsproblem?
Gesundheits-Apps erleben einen Boom: Allein im Jahr 2024 waren weltweit rund 337.000 Apps zur Gesundheitsförderung, Prävention oder Behandlung verfügbar, Tendenz steigend. Das Spektrum reicht von einfachen Fitness-Trackern und Ernährungscoaches bis hin zu hoch spezialisierten digitalen Therapien für bestimmte Krankheitsbilder.
Um dieses gewaltige Potenzial im Gesundheitswesen zu nutzen, hat die Bundesregierung 2019 mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz den weltweit ersten strukturierten Erstattungsweg für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) geschaffen. Seit 6. Oktober 2020 können Ärzte und Psychotherapeuten solche Anwendungen auf Rezept verordnen. Für App-Entwickler öffnet sich ein Markt mit über 74 Millionen gesetzlich Versicherten – eigentlich ein starker Anreiz, um hochwertige digitale Gesundheitslösungen zu entwickeln, könnte man denken.
Tatsächlich zeigte eine neue Analyse des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung – auf Basis von App-Store-Daten, dass Firmen diese Chance durchaus wahrnehmen. Seit Einführung der DiGA-Regelung ist die Zahl deutschsprachiger Gesundheits-Apps stark angestiegen, je nach Analysemethode um bis zu 1.700 neue Apps innerhalb von zwei Jahren. Der finanzielle Anreiz, in den deutschen Markt einzutreten, scheint vorhanden zu sein.
Nur kamen vor allem mehr Apps auf den Markt, aber nicht zwangsläufig bessere. Die Bandbreite der Indikationen hat sich kaum erweitert. Statt innovativer Lösungen für bislang unterversorgte Krankheitsbilder entstanden vor allem Angebote in Bereichen wie Prävention, Lebensstil, psychische Gesundheit und Rehabilitation. Mit anderen Worten: Die Masse ist gewachsen, die inhaltliche Vielfalt jedoch nicht. Seltene Leiden stehen nach wie vor nicht im Mittelpunkt.
Viele der neu auf den Markt gebrachten Gesundheits-Apps basieren nicht auf belastbaren wissenschaftlichen Daten. Nur in Ausnahmefällen gibt es durch Fachleute begutachtete Studien in medizinischen Journalen (Peer Review). Dabei ist genau das ein zentrales Kriterium für die dauerhafte Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis und damit für Verordnungen zu Lasten der Krankenkassen.
Auch beim Datenschutz gibt es Defizite. Trotz der hohen Anforderungen im DiGA-Prozess sammeln viele Apps weiterhin Nutzerdaten zu Werbezwecken – ein Widerspruch zu den Grundprinzipien einer vertrauenswürdigen digitalen Gesundheitsversorgung.
Zwar ist der wirtschaftliche Anreiz für den Markteintritt groß, doch viele Anbieter scheuen den aufwendigen, evidenzbasierten Zulassungsprozess. Eine vorläufige Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis ist zwar unter erleichterten Bedingungen möglich. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die App bei genauerer Betrachtung auch qualitativ hochwertig oder wirksam ist. So haben Firmen bis Mai 2025 genau 231 Anträge zur Aufnahme ihrer Apps in das DiGA-Verzeichnis gestellt. Doch aktuell sind nur 70 Apps tatsächlich gelistet.
Fast zwei Drittel der Anträge wurden entweder abgelehnt oder von den Herstellern selbst zurückgezogen. Zehn Anwendungen mussten nach Ablauf der einjährigen Erprobungsphase wieder entfernt werden – meist, weil Entwickler keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis erbringen konnten.
Alles in allem sind die regulatorischen Anforderungen in Deutschland hoch, möglicherweise sogar zu hoch. Neben technischen Anforderungen und der Einhaltung strenger Datenschutzvorgaben müssen Anbieter auch einen medizinischen Nutzen oder eine relevante Verbesserung der Versorgung nachweisen, in der Regel durch klinische Studien.Die komplexe Zulassung von DiGA in Deutschland. Quelle: BfArM.
Das macht Sinn, um die Qualität zu sichern. Doch gerade für kleinere Start-ups stellt dieser Aufwand eine erhebliche Hürde dar, selbst wenn sich der Markteintritt dank GKV-Erstattung durchaus lohnen kann. Im Durchschnitt liegt der Preis pro Verordnung bei über 400 Euro.
Trotz aller Herausforderungen gilt unser DiGA-Modell international als wegweisend. Länder wie Belgien und Frankreich haben ähnliche Erstattungsmechanismen eingeführt. Die bisherigen Erfahrungen aus Deutschland zeigen: Eine staatlich finanzierte Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen kann Innovationen erleichtern – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen.
Dazu gehört eine ausgewogene Balance zwischen Innovationsförderung und Qualitätssicherung. Hier bringen die Autoren der Analyse mehrstufige Modelle ins Gespräch: geringere Einstiegshürden und Erstattungsmöglichkeiten für niedrigschwellige, aber sinnvolle Anwendungen, kombiniert mit klaren, evidenzbasierten Anforderungen für höherpreisige DiGA.
Bleibt als Fazit: Die Einführung der DiGA-Regelung hat den Markt für digitale Gesundheitsanwendungen in Bewegung gebracht, ohne automatisch zu mehr hochwertigen Lösungen zu führen. Die bestehenden regulatorischen Anforderungen sind grundsätzlich sinnvoll, doch sie sollten differenzierter gestaltet werden, um qualitätsgesicherte Innovationen gezielter zu fördern.
Die größten Hürden für DiGA in Deutschland
QuelleJanssen et al.: Market Entry of Digital Health Providers after the Introduction of a New Reimbursement Pathway. ZEW, 2025. online
Bildquelle: Eastman Childs, Unsplash