Laufen, bis der Knochen weint: Das Schienbeinkantensyndrom ist für Betroffene äußerst schmerzhaft. Wie ihr es richtig diagnostiziert und euren Patienten schnell wieder auf die Beine helft, erfahrt ihr hier.
Das Schienbeinkantensyndrom, auch mediales tibiales Stresssyndrom (MTSS) oder Shin Splint, ist eine meist sehr schmerzhafte Überlastungserscheinung am innenliegenden Rand des Schienbeins. Typischerweise klagen Patienten bei wiederholten, insbesondere stoßartigen Belastungen wie Laufen oder Springen über brennende, ziehende Schmerzen, die anfangs nur zu Trainingsbeginn auftreten, später aber auch in Ruhephasen bestehen bleiben können.
Die Pathophysiologie beinhaltet meist mikroskopische Faserrisse oder periostale Reizungen durch wiederholten Zug der Muskulatur, insbesondere des Musculus soleus und tiefer Flexoren am Periost des Tibiarandes. Die Bildgebung ist unspezifisch; teilweise sieht man periostale Reaktionen in der Ultraschalldiagnostik, im Kernspin dann Flüssigkeitsansammlungen im Bereich des Tibiaschaftes. Die wichtigste Differentialdiagnose ist die Stressfraktur. Die Diagnostik erfolgt klinisch durch Palpation der Tibiaränder, zusätzlich Beurteilungen der Beinachse mit Fußfehlstellungen.
Risikofaktoren sind häufig durchgeführte Sprünge (in Abhängigkeit von Intensität und Sprunghäufigkeit), muskuläre Dysbalancen (Schwäche) in den Unterschenkelmuskelgruppen und – besonders wichtig – Fehlstellungen wie Platt- oder Senkfuß, unzureichendes Schuhwerk und (zu) harte Untergründe.
20-jähriger Athlet, der sich auf die Triathlonsaison (erstmalige Langdistanz) vorbereitet. Zunehmende Laufbelastung in den ersten vier Wochen mit Steigerung von durchschnittlich 40 Wochenkilometern auf 160 Wochenkilometer. Zusätzlich intensives Krafttraining der unteren Extremitäten zur Vorbereitung auf die Radfahrbelastung.
Nach zwei Wochen beginnende Achillessehnenbeschwerden, im weiteren Verlauf ohne suffiziente Therapie der Achillessehnenbeschwerden Ausbildung eines ausgeprägten Shin-Splint-Syndroms mit zunächst notwendiger Reduktion und anschließend fast vollständiger Einstellung der Trainingsbelastung.
Bei Vorstellung zuächst klinische Untersuchung, Sonographie und Laufbandanalyse mit Detektion defezitärer/verkürzter Muskelgruppen. Intensives Dehnungstraining, lokale Kältetherapie, Behandlung mittels Stoßwelle und Laufstiltechniktraining, hierunter deutliche Beschwerdelinderung.
Wiedereinstieg in das Training nach etwa 9 Wochen, anschließend problemlose Aufbelastung.
Zur Therapie gehören eine (teilweise) Trainingspause, regelmäßige Kälte- und auch Stoßwellenbehandlungen (radial und fokussiert), die Einnahme von entzündungshemmenden Medikamenten bzw. topische Behandlungen mittels entzündungshemmender Salben sowie ein konsequentes Rehabilitationsprogramm mit Kräftigungs-, Dehnungs- und propriozeptiven Übungen. Eine stufenweise Belastungssteigerung unter physiotherapeutischer Anleitung beugt Rezidiven vor. Zusätzlich sind Einlagenanpassungen und eine Lauftechnikschulung sinnvoll.
Während der meist belastenden Trainingspause sollten die meist sportlichen Patienten dahingehend motiviert werden, die Phase der Regeneration als Chance zur Optimierung von Technik und Muskelstabilität zu nutzen. Ein gut und sinnvoll aufgebautes Programm kann nicht nur Schmerzen lindern, sondern langfristig eine effizientere und verletzungsresistentere Laufökonomie fördern.
Innovative Therapiemaßnahmen sind Infiltrationen am Tibiarand mit Eigenblutpräparaten (plättchenreiches Plasma, PRP). Für eine gute Diagnostik ist im leistungsorientierten Sport eine Laufbandanalyse mit lichtoptischer Beinachsenbeurteilung ebenfalls zielführend.
Bildquelle: Brian Wangenheim, Unsplash