Ein Krebspatient entwickelt auffällige Blutzuckerwerte. Zieht ihr die richtigen Schlüsse? Was das zugehörige Krankheitsbild ausmacht und wie ihr es erkennt.
Moderne Immuntherapien, insbesondere Checkpoint-Inhibitoren, haben die Behandlung zahlreicher Krebserkrankungen revolutioniert. Doch wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten: Die Aktivierung des Immunsystems kann schwerwiegende endokrine Nebenwirkungen hervorrufen – bis hin zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie der Hypophysitis oder einem insulinpflichtigen Autoimmun-Diabetes. In einer gemeinsamen Pressekonferenz haben die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) über die Krankheitsbilder aufgeklärt und fordern konsequente Stoffwechselkontrollen und spezialisierte Behandlungseinheiten in onkologischen Zentren.
Checkpoint-Inhibitoren setzen dort an, wo Tumore das Immunsystem lahmlegen: Sie blockieren bestimmte molekulare „Checkpoints“ wie CTLA-4 oder PD-1, die Immunzellen inaktivieren. So werden T-Zellen wieder aktiv und greifen Tumorzellen an – mit beeindruckenden Erfolgen, etwa bei malignem Melanom oder Nierenzellkarzinom. Doch dieselbe Immunaktivierung kann auch gesunde, hormonbildende Organe attackieren. „In bis zu 40 Prozent der Fälle sind Schilddrüse, Hypophyse oder Nebennieren betroffen“, so Prof. Dr. Andreas Fritsche, Lehrstuhl für Ernährungsmedizin und Prävention an der Universität Tübingen auf der Pressekonferenz. Als besonders gefährlich hebt er die durch Immunangriff ausgelöste Entzündung des Pankreas hervor, bei der Betazellen irreversibel zerstört werden.
Dann berichtet er von einem aktuellen Fall: „Erst heute hatte ich einen Patienten mit vorbestehendem Typ-2-Diabetes, steht unter Behandlung mit Metformin, achtet auf Bewegung und Diät. Nun bekam er ein Lymphom, wurde daraufhin mit Checkpoint-Inhibitoren und Kortison behandelt und entwickelte einen Blutzuckerwert von 400 mg/dl. Nun steht man als Behandler vor der Frage: Kann es sein, dass sein Typ-2-Diabetes sich unter Kortison verschlechtert hat oder hat er einen Checkpoint-Inhibitor-assoziierten Diabetes mellitus (CIADM) entwickelt?“ Im zweiten Fall könne der Patient eine Ketoazidose bekommen, wäre also ein Notfall und bräuchte Insulin. Es sei sehr wichtig, dass Ärzte dieses Krankheitsbild bei onkologischen Patienten nicht übersehen.
Der Checkpoint-Inhibitor-assoziierte Diabetes mellitus ist ein neuartiger, insulinpflichtiger Autoimmun-Diabetes, der sich meist innerhalb der ersten drei Monate nach Therapiebeginn manifestiert. Er ähnelt dem Typ-1-Diabetes, geht aber stets mit einem absoluten Insulinmangel einher – bei etwa 40 Prozent der Patienten lassen sich Autoantikörper nachweisen. Typisch ist ein akuter Beginn mit Ketoazidose, der rasches Handeln erfordert.
„CIADM darf keinesfalls mit einem Typ-2-Diabetes verwechselt werden“, warnt Fritsche. Lebensrettend sei nur eine intensivierte Insulintherapie im Basal-Bolus-Schema. Das heißt, es müssen sowohl das Grundbedürfnis an Insulin als auch die Insulinspitzen zu den Mahlzeiten abgedeckt werden. Diese komplexe Therapieform setzt voraus, dass Betroffene umfassend geschult und engmaschig begleitet werden.
Neben dem Pankreas können auch andere endokrine Organe unter einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren leiden: Eine Hypophysitis (etwa 7 % der Patienten) kann zu Ausfällen mehrerer hormoneller Regelkreise führen – etwa des Cortisol-, TSH- oder Gonadotropin-Systems. Zirka 1–2 % der Behandelten entwickeln einen CIADM. Bei einem angenommenen Kollektiv von 100.000 Behandelten entspricht das bis zu 2.000 schwer erkrankten Menschen.
Zusätzlich treten häufig Schilddrüsenfunktionsstörungen auf – sowohl Hyper- als auch Hypothyreosen – die weitere Differenzialdiagnostik und interdisziplinäre Behandlung erfordern.
Fritsche warnt Ärzte zur Vorsicht, denn nach den typischen Diabetes-Symptomen suche man unter Umständen vergeblich bei den onkologischen Patienten. Wichtig sei, dass behandelnde Ärzte regelmäßig den Blutzucker und den HBA1c – vor und spätestens 3 Monate nach der Therapie – bestimmen. Auch solle man den C-Peptid-Spiegel messen: „Wenn keins da ist, dann ist es wahrscheinlich ein CIADM“. Autoantikörper seien leider oft negativ. Die Erkrankung ist erst seit ein paar Jahren überhaupt bekannt, vieles müsse noch erforscht werden. Im Vergleich zu einem Typ-1-Diabetes entwickele sich jedenfalls häufiger und schneller eine gefährliche Ketoazidose, Ärzte sollten also wachsam sein. Auch sprächen bisherige Daten dafür, dass ein CIADM nach Abschluss der Therapie nicht reversibel ist.
DDG und DGE fordern, an allen onkologischen Zentren Endokrinologie-/Diabetes-Units einzurichten. Denn hormonelle Fehlfunktionen der Schilddrüse, Nebennieren, Hirnanhangsdrüse oder des Pankreas, treten auch in Kombination auf. Diese Kombination verschiedener hormoneller Störungen erschwert die Stoffwechselkontrolle und macht eine individuelle, engmaschige Betreuung erforderlich. „Gerade bei älteren Krebspatienten mit mehreren Erkrankungen kann die Behandlung dadurch besonders anspruchsvoll werden“, erklärt der Experte. „Deshalb brauchen wir in Krebszentren spezialisierte Teams, die diese komplexen Krankheitsbilder sicher versorgen können.“
Wie wichtig eine spezialisierte Versorgung ist, zeigen aktuelle Auswertungen: Kliniken mit einer Zertifizierung der DDG weisen bei Patienten mit Diabetes alsHauptdiagnose eine geringere Krankenhaussterblichkeit auf – und das, obwohl sie häufig Menschen mit einer höheren Krankheitslast behandeln.
Bildquelle: Midjourney